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»Finde ihn«, hatte Nestor gesagt. »Oder sorg dafür, dass niemand ihn findet.«

Fassten sie Lofthus, konnten sie ihn überreden, den Mord an Frau Morsand zu gestehen, bevor ihnen die Polizei in die Quere kam. Sie hatten da so ihre Methoden. Und brachten sie ihn um, waren die Indizien und biologischen Spuren an Frau Morsand nicht mehr zu entkräften. Andererseits stand Lofthus dann für weitere Fälle nicht mehr zur Verfügung. Alles hatte, wie immer, Vor- und Nachteile. Im Grunde aber eine simple Logik.

»Simon Kefas ist am Telefon«, meldete sich Inas Stimme durch die Sprechanlage.

Arild Franck schnaubte.

Simon Kefas.

Wieder so einer, dem nichts wichtiger war als sein eigenes Wohlbefinden. Ein rückgratloser Schwächling, der mit seiner Spielsucht mehr als einen über die Klinge hatte springen lassen. Angeblich sollte er sich verändert haben, seit er diese Frau kennengelernt hatte. Franck wusste allerdings besser als alle anderen, dass Menschen sich nie veränderten. Ja, über Simon Kefas wusste er wirklich alles, was er wissen musste.

»Sag ihm, dass ich nicht da bin.«

»Er will noch im Laufe des Tages einen Termin mit Ihnen. Es geht um Per Vollan.«

Vollan? Hatten sie seinen Tod nicht längst als Selbstmord abgehakt? Franck seufzte schwer und blickte zur Zeitung, die auf seinem Schreibtisch lag. Zum Glück war der Ausbruch nicht die Titelstory. Vermutlich war der Artikel aber nur deshalb auf den Innenseiten gelandet, weil die Redaktionen keine anständigen Bilder hatten. Diese Geier warteten sicher nur darauf, dass sie Phantombilder bekamen, auf denen der Mörder so richtig teuflisch aussah. Diesmal würden sie sehr enttäuscht sein.

»Arild?«

Es war eine unausgesprochene Regel, dass man ihn beim Vornamen nennen durfte, wenn niemand sonst zugegen war.

»Schau in meinen Kalender und mach einen Termin, Ina. Aber gib ihm nicht mehr als dreißig Minuten.«

Franck blinzelte in Richtung Moschee. Bald brach die sechsundzwanzigste Stunde an.

Lars Gilberg trat einen Schritt näher.

Der junge Mann lag auf einem aufgeklappten Pappkarton und hatte einen langen Mantel über sich gebreitet. Er war tags zuvor gekommen und hatte sich hinter die Büsche gesetzt, die zwischen dem Pfad und den dahinterliegenden Bäumen wuchsen. Er hatte einfach nur dagesessen, ruhig und stumm, als spielte er Verstecken mit jemandem, der doch nicht kommen würde. Wobei ja tatsächlich zwei Uniformierte mit einem Bild in der Hand vorbeigekommen waren und Gilberg genau gemustert hatten, ehe sie weitergegangen waren.

Als es am Abend zu regnen begonnen hatte, war der junge Mann zu ihm unter die Brücke gekommen. Ohne um Erlaubnis zu fragen. Das Problem war nicht, dass er das nicht durfte, sondern dass er nicht gefragt hatte. Und dass er eine Uniform trug. Lars Gilberg war sich nicht ganz sicher, was das für eine Uniform war, schließlich war er schon zu Beginn der Grundausbildung aus dem Militär geflogen, weshalb er nur die grünen Uniformen der Unteroffiziere kannte. »Ungeeignet« hatte damals die vage Begründung gelautet. Er hatte sich seither mehr als einmal gefragt, ob es überhaupt etwas gab, wofür er geeignet war. Und ob er jemals herausfinden würde, was das war. Vielleicht ja die Gabe, dass er sich immer wieder Geld für Drogen beschaffen und unter einer Brücke leben konnte.

Wie jetzt.

Der junge Mann schlief. Sein Atem ging ruhig. Lars Gilberg trat noch einen Schritt näher. Der Gang und die Hautfarbe des Mannes hatten ihm verraten, dass er Heroin nahm. Vielleicht hatte er ja etwas dabei.

Gilberg war so nah, dass er das Zucken im Augenwinkel und die Bewegung der Augäpfel sehen konnte. Er hockte sich hin und schob den Mantel vorsichtig zur Seite. Dann glitten seine Finger in die Brusttasche der Uniformjacke.

Es ging so schnell, dass Lars es nicht einmal bemerkte. Die Finger des jungen Mannes krallten sich um sein Handgelenk, und im nächsten Augenblick lag Lars mit dem Gesicht auf dem regennassen Boden, den Arm hinter seinem Rücken nach oben gebogen.

Eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr: »Was willst du?«

Sie klang nicht wütend, nicht aggressiv, nicht einmal ängstlich. Eher höflich, fast so, als fragte der Junge ihn, ob er ihm einen Gefallen tun dürfe. Lars Gilberg tat das, was er immer tat, wenn er ganz klar verloren hatte. Er gestand, ehe es noch schlimmer wurde.

»Ich wollte dir dein Dope klauen, oder dein Geld, falls du welches hast.«

Der Griff, mit dem der Mann ihn festhielt, war ihm mehr als bekannt. Das Handgelenk zum Unterarm gepresst, den Ellenbogen nach innen. Polizeigriff. Aber Gilberg wusste auch, wie die Fahnder sich bewegten, wie sie redeten. Er roch sie schon von weitem und wusste, dass dieser Mann keiner von ihnen war.

»Was nimmst du?«

»Murphy«, stöhnte Gilberg.

»Und wie viel kriegst du für einen Fünfziger?«

»Wenig, nicht viel.«

Der Griff löste sich, und Gilberg zog den Arm rasch nach vorn.

Dann glitt sein Blick zu dem jungen Mann und dem Schein, den dieser ihm hinhielt.

»Tut mir leid, aber mehr habe ich nicht.«

»Ich … äh … ich hab nichts zu verkaufen.«

»Der ist für dich. Ich habe aufgehört.«

Gilberg kniff ein Auge zusammen. Wie hieß das noch mal? War etwas zu gut, um wahr zu sein, war es in der Regel auch nicht wahr? Andererseits war dieser Kerl vielleicht einfach nur verrückt. Er schnappte sich den Fünfziger und steckte ihn in seine Tasche.

»Miete für den Schlafplatz«, sagte er.

»Ich habe gestern Bullen vorbeilaufen sehen«, sagte der Mann. »Kommen die hier oft lang?«

»Ab und an, in letzter Zeit aber ziemlich oft.«

»Du kennst nicht zufällig einen Ort, wo die … sich nicht so oft blicken lassen?«

Gilberg legte den Kopf zur Seite und musterte den anderen. »Wenn du den Bullen ganz aus dem Weg gehen willst, dann bemüh dich um ein Zimmer im Ila. Da dürfen sie nicht rein.«

Der Mann sah nachdenklich zum Fluss, ehe er langsam nickte. »Danke für die Hilfe, mein Freund.«

»Dafür nicht«, murmelte Gilberg verblüfft. Wirklich verrückt.

Wie zur Bestätigung begann der Mann sich auszuziehen. Gilberg rutschte zur Sicherheit ein Stückchen weg. Schließlich stand der Mann nur in Unterhose da und faltete Uniform und Hemd zusammen, bevor er beides um die Schuhe wickelte. Er bat Gilberg um eine Plastiktüte, in der er die Sachen verstaute, bevor er die Tüte unter einem Stein hinter den Büschen versteckte, wo er tags zuvor gesessen hatte.

»Ich achte schon drauf, dass die niemand findet«, sagte Gilberg.

»Danke, ich vertraue dir.« Lächelnd knöpfte der junge Mann den Mantel ganz zu, bis nicht einmal mehr seine nackte Brust zu sehen war.

Dann ging er über den Pfad davon. Gilberg sah ihm nach. Seine nassen Füße ließen das Wasser der Pfützen nach rechts und links spritzen.

Vertraue dir?

Vollkommen verrückt.

Martha betrachtete den Monitor in der Rezeption, auf dem die Überwachungsbilder aus dem Hospiz wiedergegeben wurden. Vor dem Eingang stand ein Mann und starrte in die Kamera. Er hatte noch nicht geklingelt, hatte das kleine Loch im Plexiglas über dem Klingelknopf noch nicht gefunden. Diesen Schutz hatten sie anbringen müssen, da viele, denen der Zutritt verwehrt war, erst einmal wild auf die Klingel hämmerten. Martha drückte den Knopf der Gegensprechanlage.

»Ja, was kann ich für Sie tun?«

Der junge Mann antwortete nicht. Martha hatte längst erkannt, dass er keiner der siebenundsechzig Bewohner war. Trotz der hohen Fluktuation, allein in den letzten vier Monaten waren hundert neue Bewohner hinzugekommen, kannte sie jedes ­Gesicht. Aber er gehörte eindeutig zur Zielgruppe des Ila: drogenabhängige Männer. Er sah zwar clean aus, aber sein abgemagertes Gesicht sprach Bände. Wie auch das Zucken in den Mundwinkeln. Der miserable Haarschnitt. Sie seufzte.