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»Waffen gibt es hier auch?«

Sie sah ihn von der Seite an. »Warum willst du das alles wissen?«

»Nur um einschätzen zu können, wie gefährlich es hier ist.«

»Alle Dealer im Haus haben Laufburschen, die auch als Geldeintreiber arbeiten. Und diese Leute sind bei dem, was sie tun, sehr kreativ. Sie benutzen alles von Baseballschlägern bis hin zu regulären Schusswaffen. Letzte Woche habe ich beim Ausräumen eines Zimmers eine Harpune unterm Bett gefunden.«

»Eine Harpune?«

»Ja, eine geladene Sting 65.«

Ihr Lachen überraschte sie selbst. Er antwortete mit einem Lächeln. Einem schönen Lächeln, wie es so viele einmal gehabt hatten.

Sie schloss die Tür des Zimmers 323 auf.

»Wir haben viele Zimmer wegen Feuerschäden schließen müssen, deshalb leben einige Bewohner zu zweit, bis die Schäden behoben sind. Dein Zimmergenosse heißt Johnny, die anderen nennen ihn Johnny Puma. Er leidet am Erschöpfungssyndrom und verbringt die meiste Zeit des Tags im Bett. Aber er ist ruhig und nett, du wirst keine Probleme mit ihm haben.«

Sie öffnete die Tür. Es war dunkel, die Gardine war vorgezogen, und sie machte das Licht an. Die Neonröhren blinkten zweimal, bevor sie sich einschalteten.

»Schön«, sagte der Mann.

Martha ließ den Blick durch den Raum schweifen. Es war das erste Mal, dass jemand einen Raum im Ila als schön bezeichnet hatte. Aber irgendwie hatte er ja recht. Das Linoleum war zwar verblichen und die himmelblauen Wände waren voller Löcher, Gekritzel und Zeichnungen, die sie nicht mehr wegbekamen, aber der mit einem Etagenbett, einem Schrank und einem niedrigen verkratzten Tisch möblierte Raum war sauber und hell. Die Farbe des Tisches blätterte ab, aber alles war ordentlich und funktional. Es roch nach dem Mann, der im unteren Bett lag und schlief. Der Neue hatte angegeben, noch nie eine Überdosis genommen zu haben, weshalb sie ihm ein Bett oben geben konnte. Die unteren Betten waren für Risikokandidaten reserviert, da es im Notfall unten leichter war, die Bewusstlosen vom Bett auf die Trage zu heben.

»Stimmt«, sagte Martha und reichte ihm den Schlüsselbund. »Ich bin dein Primärkontakt, das heißt, sollte etwas sein, wendest du dich an mich. Verstanden?«

»Danke«, sagte er, nahm den blauen Plastikanhänger entgegen und warf einen Blick darauf. »Vielen Dank.«

Kapitel 13

»Er kommt gleich«, rief die Frau am Empfang Simon und Kari zu, die auf einem Ledersofa unter einem gigantischen Gemälde warteten, das wohl einen Sonnenuntergang darstellen sollte.

»Das hat sie vor zehn Minuten auch schon mal gesagt«, flüsterte Kari.

»Allein Gott bestimmt, wie spät es im Himmel ist«, sagte Simon und schob sich Snus unter die Oberlippe. »Was, glauben Sie, kostet so ein Bild? Und warum hängt das gerade hier?«

»Der Einkauf von Bildern für öffentliche Einrichtungen ist nichts anderes als eine versteckte Subvention der nationalen Kunstszene in all ihrer Mittelmäßigkeit«, sagte Kari. »Den Einkäufern ist es in der Regel egal, was an den Wänden hängt, Haupt­sache, es passt zu Möbeln und Budget.«

Simon sah sie von der Seite an. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie sich hin und wieder anhören, als würden Sie Zitate aufsagen, die Sie zu Hause auswendig gelernt haben?«

Kari lächelte schief. »Und Snus ist nur ein schlechter Ersatz für Zigaretten. Ebenso gesundheitsgefährdend. Ich nehme mal an, dass Sie das Ihrer Frau zuliebe tun, weil auch ihre Kleider irgendwann nach Qualm gestunken haben?«

Simon schüttelte amüsiert den Kopf. Diesen modernen Humor verstand er wirklich nicht. »Guter Versuch, aber nein. Sie hat mich gebeten aufzuhören, weil sie mich so lange wie möglich bei sich haben will. Sie weiß gar nicht, dass ich Snus nehme. Ich habe die Dosen im Büro.«

»Lass Sie rein, Anne«, donnerte eine Stimme.

Simon sah hoch. Hinter der Schleuse stand ein Mann in Uniform und mit einer Mütze, die sogar dem weißrussischen Präsidenten gefallen hätte. Er trommelte mit den Fingern ungeduldig gegen die Stahltür.

Simon stand auf.

»Mal sehen, ob wir die anschließend auch wieder rauslassen«, sagte Arild Franck.

Die Frau am Empfang verdrehte die Augen. Diesen Witz hatte sie offenbar schon häufiger gehört.

»Nun, wie fühlt es sich an, wieder ganz unten in der Gosse zu sein?«, fragte Franck, als er sie durch die Schleuse und zur Treppe führte. »Sie sind doch im Dezernat für Wirtschaftskriminalität, ach nee, wie dumm von mir, da sind Sie ja gefeuert worden.«

Simon versuchte nicht einmal, über diese wohlüberlegte Be­leidigung zu lachen. »Wir sind wegen Per Vollan hier.«

»Habe ich gehört. Ich dachte, der Fall ist abgeschlossen.«

»Wir schließen keine Fälle ab, bei denen es noch offene Fragen gibt.«

»Irgendwelche neuen Erkenntnisse?«

Simon verzog den Mund und deutete so ein Lächeln an. »Per Vollan war noch am Tag seines Todes hier und hat mit Häftlingen gesprochen, ist das richtig?«

Franck öffnete die Tür seines Büros. »Vollan war Gefängnispastor, ich gehe davon aus, dass er seinen Job gemacht hat, ja. Ich kann im Besuchsprotokoll nachsehen, wenn Sie wollen.«

»Ja, danke. Und dann wüssten wir auch gerne, mit wem er gesprochen hat.«

»Ich habe leider keine Übersicht darüber, mit wem er alles spricht. Dokumentiert werden nur die offiziellen Termine.«

»Wir wissen auf jeden Fall von einem, mit dem er an diesem Tag Kontakt hatte«, sagte Kari.

»Ach ja?« Franck nahm hinter dem Schreibtisch Platz, der ihn seine ganze Karriere über begleitet hatte. Es gab keinen Grund, öffentliche Mittel zu verschwenden. »Junge Frau, Sie können schon mal die Kaffeetassen aus dem Schrank hinter sich nehmen, während ich das Besuchsprotokoll überprüfe. Wenn Sie denn so lange bleiben wollen.«

»Danke, ich brauche kein Koffein«, sagte Kari. »Sein Name ist Sonny Lofthus.«

Franck sah sie ausdruckslos an.

»Wir haben uns gefragt, ob wir ihn vielleicht sprechen könnten?«, sagte Simon und nahm unaufgefordert Platz. Dann schaute er Franck direkt in das inzwischen rot angelaufene Gesicht. »Ach nee, wie dumm von mir, der ist ja ausgebrochen.«

Simon beobachtete, wie Franck versuchte, eine Antwort zusammenzuschustern, kam ihm aber zuvor: »Wir interessieren uns dafür, weil das Gespräch und der anschließende Ausbruch den Todesfall noch verdächtiger machen.«

Franck zupfte an seinem Hemdkragen herum. »Wie kommen Sie darauf, dass sie miteinander gesprochen haben?«

»Alle Polizeiverhöre werden in einer gemeinsamen Datenbank gespeichert«, sagte Kari, die noch immer stand. »Als ich einen Suchlauf für Per Vollan gemacht habe, tauchte sein Name in einem Verhör auf, das nach dem Ausbruch geführt worden ist. Mit einem Häftling namens Gustav Rover.«

»Rover ist gerade entlassen worden. Er wurde verhört, weil er sich unmittelbar vor dem Ausbruch mit Sonny Lofthus getroffen hatte. Wir wollten wissen, ob Lofthus etwas gesagt hat, das uns vielleicht einen Anhaltspunkt liefert, was er vorhat.«

»Wir? Uns?« Simon zog seine grauen Augenbrauen hoch. »Es ist doch wohl ausschließlich Sache der Polizei, Ausbrecher zu stellen, nicht wahr?«

»Lofthus ist mein Gefangener, Kefas.«

»Rover konnte Ihnen, wie es aussieht, nicht helfen«, sagte Simon. »Aus seiner Aussage geht aber hervor, dass er Per Vollan begegnet ist, als er aus der Zelle kam. Und dass Vollan zu Lofthus wollte.«

Franck zuckte mit den Schultern. »Ja, und?«

»Wir fragen uns nun, worüber sie gesprochen haben könnten. Und warum der eine gleich darauf ermordet wurde und der andere aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.«

»Das kann doch ein Zufall gewesen sein.«

»Selbstverständlich. Kennen Sie Hugo Nestor, Franck? Auch genannt der Ukrainer?«

»Den Namen habe ich schon einmal gehört.«

»Ach, haben Sie? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, dass Nestor mit diesem Ausbruch in Verbindung steht?«