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Sie gingen zur Tür des Cafés, als draußen ein weiterer Rettungswagen vorbeiraste. Drei Rettungswagen, ihr lief es kalt den Rücken runter.

An der Tür des Cafés drehte sie sich noch einmal um, aber die beiden Männer waren bereits verschwunden.

»Dann haben Sie und Harnes Sonny sogar aus nächster Nähe gesehen?«, fragte Simon. Franck brachte ihn und Kari gerade nach unten.

Franck sah auf die Uhr. »Na ja, als wir durch die Tür drängten, haben wir einen jungen, kahlgeschorenen Mann in Uniform gesehen. Der Sonny, den wir kannten, trug immer ein dreckiges Hemd, hatte lange Haare und einen Bart.«

»Sie glauben also, dass es schwer sein wird, ihn zu finden, weil er jetzt so anders aussieht?«, fragte Kari.

»Die Bilder der Überwachungskamera sind nun mal von sehr schlechter Qualität.« Arild Franck drehte sich um und sah sie direkt an. »Aber wir werden ihn finden.«

»Blöd, dass wir nicht mit diesem Halden sprechen können«, sagte Simon.

»Tja, sein Gesundheitszustand hat sich tatsächlich von einem Tag auf den anderen verschlechtert«, sagte Franck und schleuste sie am Empfang vorbei nach draußen. »Ich werde mich bei Ihnen melden, sobald er wieder vernehmungsfähig ist.«

»Und Sie haben wirklich keine Idee, worüber der Flüchtige mit Per Vollan gesprochen haben könnte?«

Franck schüttelte den Kopf. »Vermutlich normale Seelsorge. Wobei Sonny ja selbst so etwas wie ein Seelsorger war.«

»Wie das?«

»Lofthus hat sich von den anderen Häftlingen ferngehalten. Er war neutral, gehörte keiner Fraktion an, wie sie sich im Gefängnis immer bilden. Und er redete nicht. Das ist doch wohl die Definition für einen guten Zuhörer, richtig? Er war hier so etwas wie ein Beichtvater für die Insassen, einer, dem sie alles anvertrauen konnten. An wen sollte er es auch weitergeben? Er hatte ja keine Vertrauten und außerdem noch eine lange Haftstrafe vor sich.«

»Was war das eigentlich für ein Mord, für den er einsaß?«, fragte Kari.

»Mord eben«, sagte Franck trocken.

»Ich meine …«

»Der grausamsten Sorte. Er hat einem asiatischen Mädchen eine Überdosis verpasst und einen Kosovo-Serben erstickt.« Franck hielt ihnen die Ausgangstür auf.

»Schrecklich, dass so ein schlimmer Finger jetzt auf freiem Fuß ist«, sagte Simon. Er war eigentlich kein Sadist, machte bei Arild Franck aber gerne eine Ausnahme. Nicht weil Franck als Mensch unausstehlich war, das war beinahe verzeihlich. Und auch nicht, weil der Mann seinen Job nicht gemacht hatte, schließlich war in den Reihen der Polizei bekannt, dass Franck und nicht der Gefängnisdirektor das Staten am Laufen hielt. Nein, es waren die Kleinigkeiten, diese sich auffällig häufenden Zufälle, sie hatten einen Verdacht in Simon geweckt, der schon so lange an ihm nagte, dass er fast zur Gewissheit geworden war. Er konnte es nicht beweisen, war sich aber beinahe sicher, dass Arild Franck korrupt war.

»Ich gebe ihm achtundvierzig Stunden, Herr Hauptkommissar«, sagte Franck. »Er hat weder Geld noch Verwandte oder Freunde. Er ist ein Einsiedler, der seit seinem achtzehnten Lebensjahr im Gefängnis gesessen hat. Das sind jetzt zwölf Jahre. Er kennt die Welt da draußen nicht, er weiß nicht, an wen er sich wenden soll, und er hat kein Versteck.«

Kari hatte auf dem Weg zum Auto Mühe, mit Simon Schritt zu halten. Der Hauptkommissar dachte über die achtundvierzig Stunden nach. Diese Wette reizte ihn. Er hatte an dem Jungen etwas wiedererkannt, ohne genau zu wissen, was. Vielleicht war es nur die Art, wie er sich bewegte. Vielleicht hatte er aber auch mehr geerbt.

Kapitel 14

Johnny Puma drehte sich im Bett um und musterte seinen neuen Zimmerkameraden. Er hatte keine Ahnung, wer auf das Wort Zimmerkamerad gekommen war, diese Bezeichnung war vermutlich nirgendwo so unpassend wie hier im Ila. Zimmerfeind wäre passender gewesen. Bis jetzt hatte noch jeder, der mit ihm auf dem Zimmer gewesen war, ihn ausgeraubt oder es wenigstens versucht. Und umgekehrt. Deshalb hatte er sich all seine Habseligkeiten, also eine wasserdichte Geldbörse mit dreitausend Kronen und einen doppelten Plastikbeutel mit drei Gramm Amphetamin, an die Außenseite seines Schenkels geklebt. Er war dort so behaart, dass er selbst im Tiefschlaf jeden Diebstahlsversuch bemerken würde. Womit seine beiden Lebensthemen der letzten zwanzig Jahre auch schon genannt wären: Amphetamin und Schlaf. Johnny Puma waren so ziemlich alle Diagnosen gestellt worden, mit denen man seit Ende der 1970er Jahre entschuldigen konnte, weshalb man lieber feierte als arbeitete, lieber prügelte und fickte, statt eine Familie zu gründen und Kinder zu erziehen, und sich lieber mit Drogen zuknallte, statt ein mörderisch langweiliges Leben in Nüchternheit zu führen. Die letzte Diagnose war allerdings zu seiner Bestimmung geworden: ME. Myalgische Enzephalomyelitis. Chronische Erschöpfung. Und das bei Johnny Puma, dem bärenstarken Gewichtheber, dem Mittelpunkt eines jeden Festes, dem gefragtesten Umzugsmann von ganz Lillesand! Jeder, der das hörte, musste erst einmal lachen. Angefangen hatte es mit einer kaputten Hüfte, mit Schmerzmitteln, die nicht wirkten, gefolgt von Schmerzmitteln, die dann wie wahnsinnig wirkten … womit es auch schon um ihn geschehen war. Inzwischen bestand sein Leben aus langen Tagen im Bett, unterbrochen von kurzen intensiven Phasen, in denen er all seine Energie darauf konzentrieren musste, sich die nötigen Drogen zu beschaffen. Oder Geld, um die jetzt schon beunruhigend hohen Schulden zu bezahlen, die er bei Coco, dem litauischen Drogenbaron des Hospizes, einer halboperierten Transe, hatte.

Johnny sah der Gestalt am Fenster an, dass sie sich auf die immer gleiche, nicht enden wollende Jagd vorbereitete. Auf den Stress. Die Arbeit.

»Kannst du die Gardine zuziehen, Kumpel?«

Der andere gehorchte, und der Raum wurde angenehm dunkel.

»Was nimmst du für Zeug?«

»Heroin.«

Hier im Haus nannten sie Heroin nur Dope. Allenfalls Shit, H, Brown Sugar oder Boy. Oder Superboy, wenn es um das neue Wunderpulver ging, das der Typ, der wie der verschlafene Zwerg aus Schneewittchen aussah, unten an der Nybrua vertickte. Heroin sagte man nur noch im Knast. Außer man war neu. Obwohl die wirklich blutigen Anfänger oft China White oder Caballo sagten oder irgendeinen anderen Mist, den sie irgendwo im Fernsehen gehört hatten.

»Ich kann dir guten, billigen Stoff besorgen, du brauchst dich um nichts zu kümmern.«

Johnny sah, dass sich etwas an der Gestalt am Fenster veränderte. Er kannte das. Manche Junkies auf Entzug brauchten nur an Dope zu denken, um high zu werden. Es sollte sogar wissenschaftlich nachgewiesen worden sein, dass es Veränderungen im Drogenzentrum des Gehirns gab, kurz bevor man sich einen Schuss setzte. Bei vierzig Prozent Provision auf das Dope, das er beim Häuptling aus der 306 kaufte, waren drei oder vier Tütchen Speed für ihn selbst drin. Das war allemal besser, als erst wieder in der Nachbarschaft klauen zu gehen.

»Nein. Danke. Wenn du schlafen willst, kann ich auch wieder gehen.«

Die Stimme am Fenster war so leise, dass Johnny sich wunderte, wie sie durch den konstanten Lärm des Ila dringen konnte. Durch diese Mischung aus Geschrei, Musik, Gefeilsche und Straßenlärm. Ob er das nur gesagt hatte, weil er ihn ausrauben oder den Stoff finden wollte, der an seinem Oberschenkel klebte?

»Ich schlafe nie, ich mache höchstens mal kurz die Augen zu, verstanden, Kumpel?«

Der Mann nickte. »Ich geh trotzdem raus.«

Nachdem die Tür hinter seinem neuen Zimmerfeind ins Schloss gefallen war, kam Johnny Puma auf die Beine. Zwei Minuten später hatte er das obere Bett und den Schrank durchsucht. Nichts. Absolut nichts. Ein Anfänger konnte der Typ also nicht sein, er trug alles am Körper.

Markus Engseth hatte Angst.

»Und, machst du dir jetzt in die Hose?«, fragte der größere der beiden Jungs, die vor ihm standen.