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»Wie meinen Sie das?«

Simon schloss die Augen. Schaffte er das? Noch einmal? Er holte tief Luft.

»Die ganze Polizei hielt Ab Lofthus für den Maulwurf. Die Kollegen waren der Meinung, dass es seit seinem Tod auch keine Maulwurfstätigkeit mehr gegeben hätte, keine seltsam fehlgeschlagenen Razzien, keine Spuren, Zeugen oder Verdächtigen, die plötzlich von den Listen verschwanden. Man nahm das als Beweis.«

»Aber?«

Simon zuckte mit den Schultern. »Ab war stolz auf seinen Job. Er war stolz, ein Teil des Polizeiapparats zu sein. Es ging ihm nicht darum, reich zu werden, für ihn zählte nur die Familie. Andererseits gab es aber auch keinen Zweifel, dass es einen Maulwurf gab.«

»Und das heißt?«

»Irgendjemand musste herausfinden, wer dieser Maulwurf war.«

Simon schnupperte wieder. Schweiß. Es roch nach Schweiß. Es musste erst vor kurzem jemand hier gewesen sein.

»Und wer?«, fragte sie.

»Tja. Jemand mit Ambitionen und jugendlichem Eifer, zum Beispiel.« Simon sah zu Kari. Über ihre Schulter hinweg. Zur Schranktür.

Schweiß. Furcht.

»Es ist niemand hier«, sagte Simon laut. »Gut. Gehen wir nach unten.«

Mitten auf der Treppe blieb Simon stehen und machte Kari ein Zeichen weiterzugehen. Er selbst wartete. Umklammerte lauschend den Griff seiner Waffe.

Stille.

Dann folgte er Kari.

Er ging in die Küche, nahm einen Stift und schrieb etwas auf einen Post-it-Block.

Kari räusperte sich. »Was meinte Franck eigentlich mit diesem Seitenhieb in Richtung Dezernat für Wirtschaftskriminalität?«

»Ach, am liebsten würde ich nicht darüber reden«, sagte Simon, löste den Zettel vom Block und klebte ihn auf die Kühlschranktür.

»Hatte das was mit dem Spielen zu tun?«

Simon sah sie scharf an und ging.

Sie las, was er geschrieben hatte.

Ich kannte Deinen Vater. Er war ein guter Mann, und ich glaube, er würde das Gleiche auch über mich sagen. Ruf mich an, und ich verspreche Dir, dass Du auf sichere und anständige Weise wieder eingeliefert wirst. Simon ­Kefas, Tel. 550106573. simon.kefas@oslo-pol.no

Dann eilte sie ihm nach.

Markus Engseth hörte, wie der Motor gestartet wurde, und traute sich endlich wieder zu atmen. Er hockte zwischen den Anziehsachen, den Rücken gegen die Wand des Schranks gedrückt. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie solche Angst gehabt. Er roch den Gestank. Sein T-Shirt klebte auf der Haut vor lauter Schweiß. Und trotzdem. Irgendwie war es auch toll gewesen. Wie ein Sprung vom Zehner im Frognerbad, wenn man im freien Fall dachte, dass man schlimmstenfalls starb. Was so schlimm ja auch nicht wäre.

Kapitel 15

»Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?«, fragte Tor Jonasson.

Das war seine Standardformel. Er war zwanzig Jahre alt, das Durchschnittsalter seiner Kunden betrug fünfundzwanzig, und die Produkte im Laden waren vor maximal fünf Jahren erfunden worden. Deshalb fand Tor Jonasson diese altmodische Ansprache lustig. Allerdings schien er mit dieser Art Humor seinen aktuellen Kunden nicht zu erreichen. Er hatte sich die Kapuze seines Pullis so weit in die Stirn gezogen, dass sein Gesicht im Dunkeln lag.

»Ich brauche so ein Handy, bei dem man nicht ermitteln kann, woher der Anruf kommt.«

Dealer. Klar. Nur die fragten nach so was.

»Bei diesem iPhone hier können Sie die eigene Nummer unterdrücken«, sagte der junge Ladenbesitzer und nahm ein weißes Telefon vom Regal. »Die Nummer wird dann bei dem, den Sie anrufen, nicht angezeigt.«

Der Kunde verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und zog seine rote Tasche etwas weiter hoch auf die Schulter. Tor nahm sich vor, ihn nicht aus den Augen zu lassen, solange er im Geschäft war.

»Ich meine so ein Ding, das man ohne Vertrag nutzen kann«, sagte der Mann. »Niemand kann den Anruf zurückverfolgen. Nicht mal die Telefongesellschaft.«

Oder Polizei, dachte Jonasson. »Sie meinen ein anonymes Prepaidtelefon. Wie sie es in The Wire benutzen.«

»Bitte?«

»The Wire. Die Fernsehserie. Damit die Ermittler vom Drogendezernat die Anrufe nicht zu irgendwelchen Leuten zurückverfolgen können.«

Tor spürte die Verwirrung des anderen. Mein Gott. Ein Dealer, der »Bitte?« sagte und The Wire nicht kannte?

»Die gibt es nur in den USA, bei uns in Norwegen nicht. Seit 2005 muss sich hier jeder ausweisen, auch beim Kauf eines Prepaidhandys. Die werden alle auf jemanden eingetragen.«

»Auf jemanden?«

»Ja, auf den Namen des Käufers. Oder seiner Eltern, sollten die das gekauft haben.«

»Okay«, sagte der Mann. »Geben Sie mir das billigste Telefon, das Sie haben. Mit Prepaidkarte.«

»Geht in Ordnung«, sagte der Ladenbesitzer, ließ das »mein Herr« weg, legte das iPhone beiseite und nahm ein kleineres Handy. »Das ist nicht das allerbilligste, hat dafür aber Internetzugang. Tausendzweihundert Kronen mit Karte.«

»Internetzugang?«

Tor musterte sein Gegenüber noch einmal. Er konnte nicht viel älter als er selbst sein, wirkte aber komplett verloren. Tor schob sich mit zwei Fingern eine Haarsträhne hinters Ohr. Diese Geste hatte er sich nach der ersten Staffel von Sons of Anarchy antrainiert. »Sie können mit dem Telefon auch im Internet surfen.«

»Das kann ich doch in einem Internetcafé machen.«

Tor Jonasson lachte. Vielleicht hatten sie doch den gleichen Humor. »Mein Chef hat mir gerade erst neulich erzählt, dass dieser Laden hier noch vor ein paar Jahren ein Internetcafé war. Vermutlich das letzte der Stadt …«

Der Mann schien zu zögern. Dann nickte er. »Okay. Ich nehme es.« Er legte einen Stapel Hunderter auf den Tisch.

Die Scheine waren steif und staubig, als hätten sie irgendwo längere Zeit gelegen. »Dann brauche ich, wie gesagt, Ihren Ausweis.«

Der Mann nahm einen Ausweis aus der Tasche und reichte ihn über den Tresen. Tor sah sofort, dass er sich gründlich geirrt hatte. Dieser Mann war kein Dealer. Ganz im Gegenteil. Er tippte den Namen in den PC. Helge Sørensen. Dann gab er die Adresse ein und reichte dem Gefängniswärter das Wechselgeld.

»Haben Sie auch Batterien für den hier?«, fragte der Mann und hielt ihm einen runden silbernen Apparat hin.

»Was ist das?«, fragte Tor.

»Ein Discman«, sagte der Mann. »Sie verkaufen Kopfhörer dafür.«

Tor sah zu der Reihe von Kopf- und Ohrhörern, die über den iPods hingen. »Tue ich das?«

Tor öffnete die Rückseite des Museumsstücks und drückte die alten Batterien heraus. Dann nahm er zwei Sanyo AA-Batterien, legte sie in den Apparat und drückte auf Play. Ein hohes Summen kam aus dem Kopfhörer.

»Diese Batterien sind aufladbar.«

»Dann sind die nicht einfach tot wie die anderen?«

»Doch, aber sie können von den Toten wiederauferstehen.«

Tor glaubte im Schatten der Kapuze ein Lächeln zu erkennen. Schließlich schob der Mann die Kapuze etwas zurück und setzte sich die Kopfhörer auf.

»Depeche Mode«, sagte er und lächelte breit, ehe er sich umdrehte und aus dem Laden marschierte.

Tor Jonasson war überrascht, wie freundlich das Gesicht unter der Kapuze gewirkt hatte. Dann ging er zum nächsten Kunden und fragte, womit er dem Herrn dienen könne. Erst in der Mittagspause kam er darauf, warum ihn das Gesicht unter der Kapuze so überrascht hatte. Nicht weil der Mann ihm sympathisch gewesen war, sondern weil er dem auf dem Ausweis so gar nicht ähnlich sah.

Was ließ ein Gesicht sympathisch wirken? fragte sich Martha und musterte den jungen Mann durch die Klappe der Rezeption. Oder war es nur das, was er gerade gesagt hatte. Die meisten, die an die Rezeption kamen, wollten bloß geschmierte Brote oder Kaffee, wenn sie es nicht darauf anlegten, über ihre eingebildeten oder tatsächlichen Probleme zu reden. Oder sie brachten einen Becher gebrauchter Spritzen, die hauseigene Währung, um sie gegen saubere, frische Kanülen einzutauschen. Dieser Neue aber war zu ihr gekommen, um ihr zu erzählen, dass er über ihre Aufnahmefrage nachgedacht hatte. Ob er Zukunftspläne habe. Denn die hätte er schon irgendwie. Er wollte sich einen Job suchen. Das ginge aber leider nicht ohne anständige Kleidung, zum Beispiel einen Anzug. Er meinte im Kleiderlager einen gesehen zu haben und wüsste gerne, ob er eventuell …