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Simon wandte sich dem Fächerahorn rechts zu und drückte die Äste zur Seite. Kari verfolgte seine Suche nach der Hülse aufmerksam.

»Sieh mal einer an«, sagte er leise, nahm das Handy heraus, hielt es vor sich, und das digital simulierte Geräusch einer auslösenden Kamera erklang. Er zerdrückte etwas Erde zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie zu Boden rieseln. Dann ging er die Treppe zu ihr hoch und zeigte ihr das Bild, das er aufgenommen hatte.

»Ein Schuhabdruck«, sagte sie.

»Vom Mörder«, ergänzte er.

»Sicher?«

»Ich würde sagen, die Schulstunde ist jetzt beendet, Kefas. Geht das in Ordnung?«

Sie drehten sich um. Bjørnstad wirkte wütend. Hinter ihm standen drei Kriminaltechniker, darunter Nils.

»Dauert nicht mehr lang«, sagte Simon und wollte wieder ins Haus gehen. »Ich denke, wir sollten nur noch kurz …«

»Ich denke, Sie sind fertig«, sagte der Kripos-Beamte und versperrte ihm breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen den Weg. »Blumen in Einschusslöchern gehen mir einfach zu weit, verstanden? Auf Wiedersehen.«

Simon zuckte mit den Schultern. »In Ordnung, wir haben wohl auch so genug, um unsere eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Viel Glück bei der Suche nach dem Attentäter, Leute.«

Bjørnstad lachte kurz. »Wollen Sie Ihrer jungen Kollegen imponieren, oder warum sprechen Sie von einem Attentat?« Er drehte sich zu Kari um. »Tut mir leid, dass die Wirklichkeit nicht ganz so aufregend ist, wie Opa es gerne hätte. Das hier ist doch nur wieder ein ganz normaler, ganz durchschnittlicher Mord.«

»Da irren Sie sich«, sagte Simon.

Bjørnstad stemmte die Hände in die Hüften. »Meine Eltern haben mir beigebracht, Respekt vor dem Alter zu haben. Ich gewähre Ihnen noch zehn Sekunden Respekt, dann sind Sie hier verschwunden.« Einer der Techniker lachte.

»Gutes Elternhaus«, sagte Simon.

»Neun Sekunden.«

»Die Nachbarn geben an, einen Schuss gehört zu haben.«

»Ach ja?«

»Die Grundstücke hier oben sind riesig, und es ist weit bis zum nächsten Haus. Außerdem sind die Häuser gut isoliert. Wäre der Schuss drinnen im Haus gefallen, hätte man in der Nachbarschaft nichts Brauchbares gehört. Draußen hingegen liegen die Dinge anders …«

Bjørnstad legte den Kopf nach hinten, als wollte er Simon aus einem anderen Winkel betrachten: »Wie meinen Sie das?«

»Frau Iversen ist etwa so groß wie meine Kollegin Kari. Und wenn sie aufrecht gestanden hat und hier getroffen wurde …«, er zeigte auf Karis Brust, »und die Austrittswunde im Rücken etwas höher liegt, kann der Täter nur hier unten gestanden haben. Das passt dann auch zu dem Einschussloch etwas höher in der Wand, das ich mit der Margerite gekennzeichnet habe. Er muss etwas unterhalb von ihr gestanden haben, und beide müssen ­dabei ein Stück von der Wand entfernt gewesen sein. Agnete stand hier, wo wir jetzt stehen, während ihr Mörder dort unten vor der Treppe stand, auf den Fliesen. Deshalb hat die Nachbarin den Schuss gehört. Sie hörte aber keinen Schrei oder irgend­etwas anderes, nichts das auf einen Streit oder Gegenwehr hindeutete, weshalb ich von einem ziemlich raschen Verlauf ausgehe.«

Bjørnstad warf unwillkürlich seinen hinter ihm stehenden Kollegen einen Blick zu. Dann verlagerte er sein Gewicht von einem Bein auf das andere. »Sie meinen, dass er sie anschließend durch den Flur geschleppt hat?«

Simon schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, sie ist nach hinten getaumelt.«

»Und was lässt Sie das glauben?«

»Frau Iversen war, wie Sie richtig bemerkt haben, sehr ordentlich. Das Einzige, das hier im Haus schief hängt, ist dieses Bild da.«

Alle schauten zu der Stelle, auf die er zeigte. »Außerdem ist Nagellack am Rahmen, auf der Türseite. Ergo ist ihre Hand dagegengeschlagen, als sie nach hinten stolperte. Das passt auch zu dem Kratzer im Nagellack auf ihrem linken Mittelfinger.«

Bjørnstad schüttelte den Kopf. »Wenn sie in der Tür angeschossen worden wäre, müssten wegen der großen Austrittswunde überall im Flur Blutflecken sein.«

»Die waren auch da«, sagte Simon. »Aber der Täter hat sie weggewischt. Sie haben ja selbst gesehen, dass auf der Klinke keine Fingerabdrücke waren. Nicht einmal die der Familie. Nicht weil Agnete Iversen gerade zum Großreinemachen angesetzt und die Klinke geputzt hatte, kaum dass Mann und Sohn das Haus verlassen hatten, sondern weil der Mörder keine Spuren hinter­lassen wollte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Boden ­gewischt hat, weil er in das Blut getreten ist und Abdrücke hinterlassen hat. Bestimmt hat er anschließend auch seine Schuhsohlen abgewischt.«

»Ach ja?«, sagte Bjørnstad, den Kopf noch immer nach hinten gelehnt, jetzt aber nicht mehr ganz so breit grinsend. »Und all das schließen Sie einfach so aus dem Blauen?«

»Wenn man Schuhsohlen abwischt, entfernt man nicht das Blut, das noch im Profil steckt«, sagte Simon und sah auf die Uhr. »Das tritt aber aus, wenn man zum Beispiel eine Weile auf einem dicken Teppich steht, die Fasern saugen das Blut dann wie Löschpapier auf. Im Schlafzimmer werden Sie einen kleinen länglichen Blutfleck auf dem Teppich finden. Ich denke, Ihre Blutspezialisten stimmen mir zu, Bjørnstad.«

In der Stille, die folgte, hörte Kari das Motorengeräusch eines Wagens, der oben auf der Straße von den Beamten angehalten wurde. Erregte Stimmen, eine davon von einem jungen Mann. Ehemann und Sohn waren im Anmarsch. »Wie dem auch sei«, sagte Bjørnstad mit gequälter Leichtigkeit. »Warum das Opfer erschossen wurde, ist nicht essentiell. Es handelt sich in jedem Fall um Raubmord und nicht um ein Attentat. Es scheint, als hätten wir gleich jemanden hier, der uns bestätigen kann, dass Schmuck gestohlen worden ist.«

»Das mag ja sein«, sagte Simon. »Aber wenn ich jemanden ausrauben wollte, würde ich ihn mit ins Haus nehmen und so lange bedrohen, bis er mir zeigt, wo die wirklich wertvollen Sachen versteckt sind, oder bis er mir die Kombination des Safes verrät. Dass es in einem Haus wie diesem einen Safe gibt, weiß sicher auch der dümmste aller Einbrecher. Stattdessen erschießt er sie bereits hier, wo die Nachbarn es hören können. Nicht weil er Panik hatte, die Art, wie er seine Spuren beseitigt hat, zeigt, wie kaltblütig er ist. Nein, er ist so vorgegangen, weil er weiß, dass er nicht viel Zeit braucht und längst wieder verschwunden sein wird, wenn die Polizei kommt. Im Grunde will er nämlich gar nicht viel mitnehmen, oder? Nur so viel, dass ein etwas zu junger Ermittler aus gutem Hause etwas zu früh zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es ein Raubmord war, und schon sucht niemand mehr nach dem eigentlichen Motiv.«

Simon musste sich eingestehen, dass er die Stille und das Er­röten Bjørnstads genoss. Er war da ganz einfach gestrickt. Aber ­Simon Kefas war kein boshafter Mann. Und deshalb ließ er die Schlussreplik aus, auch wenn sie ihm auf der Zunge brannte: Ist es in Ordnung, wenn wir sagen, dass der Unterricht jetzt beendet ist, Bjørnstad?

Schließlich war es durchaus möglich, dass Åsmund Bjørnstad mit etwas mehr Zeit und Erfahrung ein guter Ermittler wurde. Kluge Menschen konnten schließlich auch Demut lernen.

»Interessante Theorie, Kefas«, sagte Bjørnstad. »Ich werde die im Hinterkopf behalten. Aber die Zeit läuft und …« Ein knappes Lächeln. »Und vielleicht haben Sie ja auch noch was anderes zu tun?«

»Warum haben Sie dem Hauptkommissar nicht alles gesagt?«

Simon manövrierte den Wagen vorsichtig durch die engen Kurven vom Holmenkollåsen nach unten in die Stadt.

»Alles?«, fragte Simon unschuldig. Kari musste lächeln. Der Charme der alten Männer.

»Sie haben erkannt, dass die leere Hülse irgendwo in diesem Strauch gelandet sein muss. Sie haben keine Hülse, dafür aber einen Schuhabdruck gefunden, von dem Sie ein Foto gemacht haben. Und die Erde stimmte mit der überein, die wir im Flur gefunden haben, nicht wahr?«

»Ja.«

»Und warum haben Sie ihm diese Informationen vorenthalten?«