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Johnny Puma riss die Augen auf, spürte die Angst und drehte sich im Bett um. Er hatte niemanden kommen hören, vernahm jetzt aber ein Keuchen dicht an seinem Ohr. War das Coco? Oder machte hier jemand Liebe? Eigentlich klang das nicht nach Geldeintreibern. Früher hatte einmal ein Pärchen hier im Haus gewohnt, die Verwaltung meinte damals wohl, die beiden bräuchten einander wirklich, weshalb sie von der Vorschrift abgewichen waren, nur Männer im Hospiz wohnen zu lassen. Es war schon möglich, dass er sie gebraucht hatte, jedenfalls finanzierte sie seinen Drogenkonsum, indem sie sich durch alle Zimmer fickte, bis die Verwaltung genug davon hatte und sie rausschmiss.

Das Keuchen kam von dem Neuen. Er lag auf dem Boden von Johnny abgewandt, und aus den Kopfhörern, die er aufgesetzt hatte, drangen ein synthetischer Rhythmus und eine roboter­artige, monotone Stimme. Der Junge machte Liegestütze. Warum man die heute Push-ups nannte, wusste Johnny nicht. Zu seinen besten Zeiten hatte er hundert davon geschafft. Auf einem Arm. Der junge Mann war stark, daran gab es keinen Zweifel, aber die Körperspannung machte ihm Mühe, und sein Rücken bog sich bereits etwas durch. Im Licht, das durch die Gardine fiel und auf  die Wand traf, sah er ein Bild, das der junge Mann aufgehängt haben musste. Ein Mann in Polizeiuniform. Und im Fensterrahmen sah er noch etwas anderes. Ohrringe.

Wenn die so teuer waren, wie sie aussahen, konnten sie die Lösung von Pumas Problem sein. Schließlich kursierten Gerüchte, dass Coco morgen aus dem Hospiz auszog und seine Laufburschen bereits unterwegs waren. Sollte das stimmen, blieben Johnny nur noch wenige Stunden, um das Geld zu beschaffen. Eigentlich hatte er vorgehabt, in eine der sommerlich leerstehen­den Wohnungen in Bislett einzusteigen. Er brauchte einfach nur zu klingeln und abzuwarten, auf welcher Etage sich niemand meldete. Aber dafür musste er erst noch ein paar Kräfte sammeln. Die Fensterbrettlösung wäre viel einfacher und sicherer.

Er fragte sich, ob er es unbemerkt aus dem Bett bis zu den Ohrringen schaffen konnte, wies den Gedanken aber von sich. Körperspannung hin oder her, Johnny riskierte so oder so eine ge­hörige Tracht Prügel, und da reichte ihm schon der Gedanke. Oder sollte er den Neuen ablenken, ihn irgendwie aus dem Zimmer locken und dann zuschlagen? Johnny sah plötzlich in die Augen des jungen Mannes. Er hatte sich umgedreht und machte jetzt Bauchtraining. Sit-ups. Lächelte.

Johnny signalisierte, dass er etwas sagen wollte, und der junge Mann nahm den Kopfhörer ab. Johnny bekam ein paar Worte mit, »… now I’m clean«, ehe er selbst zu reden begann:

»Könntest du mir nach unten ins Café helfen? Du musst nach dem Training ja auch was essen. Wenn dein Körper kein Fett und nicht genug Kohlenhydrate kriegt, beginnt er, die eigenen Muskeln abzubauen, weißt du. Und das wäre ja nicht gerade der Sinn der Sache, oder?«

»Danke für den Tipp, Johnny. Ich will aber erst noch duschen. Du kannst dich aber schon mal bereitmachen.« Der Junge stand auf. Steckte die Ohrringe in seine Hosentasche und ging in Richtung Gemeinschaftsdusche.

Verdammt! Johnny schloss die Augen. Schaffte er das? Er musste einfach. Nur zwei Minuten. Er zählte die Sekunden. Dann setzte er sich auf die Bettkante. Nahm Anlauf. Stand auf. Nahm die Hose vom Stuhl. Als er sie gerade anziehen wollte, klopfte es an der Tür. Bestimmt hatte sein Zimmergenosse die Schlüssel vergessen. Er hinkte zur Tür und öffnete sie. »Du musst immer an die …«

Eine mit Schlagring bewaffnete Faust hämmerte auf seine Stirn ein, und er taumelte nach hinten. Die Tür schlug ganz auf, und herein kamen Coco und zwei seiner Jungs. Die zwei Laufburschen warfen sich auf Johnny und hielten ihn fest. Coco gab ihm einen Kopfstoß, so dass sein Kopf nach hinten schlug und gegen das obere Bett knallte. Als er die Augen wieder öffnete, starrte er direkt in Cocos hässliche, mascaraumrahmte Augen und auf die glänzende Spitze einer Ahle.

»Ich habe wenig Zeit, Johnny«, sagte Coco in seinem gebrochenen Norwegisch. »Die anderen haben Geld, bezahlen aber nicht. Du hast nix, kannst aber als Beispiel dienen.«

»Beispiel?«

»Ich bin kein ungerechter Mann, Johnny. Du kommst doch auch mit einem Auge klar.«

»Aber … aber verdammt, Coco …?«

»Nicht bewegen, sonst geht das Auge auf dem Weg nach draußen kaputt. Wir wollen es den anderen verfickten Arschlöchern doch zeigen. Die müssen ja erkennen können, dass es ein richtiges Auge ist, klar?«

Johnny begann zu schreien, aber die Hand, die sich auf seinen Mund presste, erstickte alle Laute.

»Ruhig, Johnny. In den Augen sind gar nicht so viele Nerven. Es tut nicht weh, das verspreche ich.«

Johnny wusste, dass die Angst ihm die Kraft verleihen sollte, sich zu wehren. Stattdessen war er wie paralysiert. Johnny Puma, der früher einmal ganze Autos hochgehoben hatte, starrte ohnmächtig auf die sich nähernde Spitze des Werkzeugs.

»Wie viel?«

Die Stimme klang weich, war fast nur ein Flüstern. Alle drehten sich zur Tür um. Niemand hatte ihn kommen hören. Seine kurzen Haare waren nass, und er trug nur eine Jeans.

»Raus!«, fauchte Coco.

Der junge Mann blieb stehen. »Wie hoch sind die Schulden?«

»Raus! Sonst kriegst du als Erster das Messer zu spüren.«

Der Neuankömmling rührte sich noch immer nicht. Der Laufbursche, der Johnny den Mund zuhielt, ließ los, stand auf und ging auf ihn zu. »Der … der hat mir meine Ohrringe geklaut«, sagte Johnny. »Das stimmt! Er hat sie in der Hosentasche. Ich hatte mir die beschafft, um dich bezahlen zu können, Coco. Untersuch ihn nur, dann wirst du schon sehen. Bitte, bitte, Coco!« Johnny hörte die Tränen in seiner Stimme, aber selbst das war ihm in diesem Moment egal. Coco schien ohnehin nichts zu hören. Er starrte nur den jungen Mann an. Vermutlich gefiel diesem kranken Schwein, was er sah. Coco hielt den Laufburschen mit einer Handbewegung zurück und sagte leise lachend:

»Stimmt das, was unser Johnny hier sagt? Handsome!«

»Du kannst ja versuchen, es herauszufinden«, sagte der junge Mann. »Wenn ich du wäre, würde ich aber lieber sagen, wie viel er dir schuldet, das gibt weniger Ärger. Und weniger Dreck.«

»Zwölftausend«, sagte Coco. »Warum …?«

Er hielt inne, als der Mann die Hand in die Hosentasche schob, ein schmales Bündel Geldscheine herausnahm und sie ihm von oben hinzählte. Als es zwölf waren, gab er sie Coco und steckte das restliche Geld wieder in die Tasche.

Coco zögerte. Als haftete diesem Geld etwas Falsches an. Dann lachte er und riss das Maul mit den schrecklichen Goldzähnen auf, die er sich statt richtiger Zähne hatte machen lassen.

»Verrückt, echt verrückt!«

Er schnappte sich das Geld, zählte nach und hob den Blick.

»Sind wir damit klar?«, fragte der junge Mann. Anders als die Dealer auf der Straße, die zu viele Filme gesehen hatten, verzog er das Gesicht nicht zu einer steinernen Maske. Im Gegenteil, der junge Mann lächelte. Wie die Kellner gelächelt hatten, als Johnny noch auf Tournee gegangen war und immer in den feinsten Restaurants gegessen hatte. Sie hatten ihn sogar gefragt, ob das ­Essen recht sei.