Выбрать главу

»Alles klar!«, sagte Coco mit einem Grinsen.

Johnny ließ sich auf das Bett sinken, schloss die Augen und hörte noch lange, nachdem Coco die Tür hinter sich geschlossen und über den Flur verschwunden war, sein Lachen.

»Mach dir keine Gedanken«, sagte der junge Mann. Johnny hörte ihn, obwohl er seine Stimme auszusperren versuchte. »Ich hätte an deiner Stelle das Gleiche getan.«

Aber du bist nicht ich, dachte Johnny und spürte, dass er immer noch einen Kloß im Hals hatte. Du warst früher nicht Johnny Puma und dann irgendwann nicht mehr.

»Gehen wir nach unten ins Café, Johnny?«

Der PC-Bildschirm war die einzige Lichtquelle. Und alle Geräusche kamen von der anderen Seite der angelehnten Tür. Else hantierte in der Küche, und ein Radio spielte leise. Sie stammte aus einer Bauernfamilie und musste immer etwas tun. Egal ob waschen, sortieren, umstellen, pflanzen, nähen, backen, die Arbeit war nie zu Ende. Wie viel sie am Tag zuvor auch getan hatte, am nächsten ging es weiter. Deshalb musste sie die Arbeit in gleichmäßigem Tempo erledigen, wollte sie zu viel, lief sie Gefahr, dar­an zu zerbrechen. Aber es waren beruhigende Geräusche, von jemandem, der in seinem Tun Sinn und Erfüllung fand, es klang nach Ruhepuls und Zufriedenheit. In gewisser Weise beneidete er sie. Andererseits war er auch hellhörig, registrierte schleifende Schritte oder ob etwas zu Boden ging. Dann wartete er ab. Verfolgte, ob sie alles unter Kontrolle hatte. Wenn alles gut war, fragte er auch nicht nach, sondern ließ sie glauben, er habe nichts von alledem bemerkt.

Er hatte sich ins Intranet des Morddezernats eingeloggt und die Berichte über Per Vollan gelesen. Kari war wirklich fleißig gewesen und effektiv. Aber es fehlte ihm trotzdem etwas. Selbst die akribischsten Polizeiberichte vermochten nicht das glühende Interesse eines Ermittlers zu verbergen, der mit Herz und Seele bei der Sache war. Karis Berichte waren beispielhaft, die reinsten Musterstücke: objektiv und nüchtern. Keine tenden­ziösen Fehltritte, keine dem Eifer geschuldete Voreingenommenheit. Aber eben leblos und kalt. Dann ging er die Zeugenaussagen durch, auf der Suche nach interessanten Namen unter Vollans Kontakten, aber auch da Fehlanzeige. Er starrte an die Wand. Dachte zwei Worte: Nestor. Eingestellt.

Schließlich googelte er Agnete Iversen.

Die Titelstorys der Zeitungen erschienen.

»Bekannte Immobilienmaklerin brutal ermordet.«

»Im eigenen Haus erschossen und ausgeraubt.«

Er klickte eine der Überschriften an. Hauptkommissar Åsmund Bjørnstad wurde zitiert, er hatte eine Pressekonferenz in der Zentrale von Kripos in Bryn abgehalten. »Das Team des Kriminalamts hat ermittelt, dass Agnete Iversen nicht in der Küche angeschossen wurde, wo man ihre Leiche gefunden hat, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon in der Tür ihres Hauses.« Und weiter unten: »Es deutet einiges darauf hin, dass es sich um Raub handelt, andere Motive sind zum derzeitigen Zeitpunkt aber noch nicht auszuschließen.«

Simon scrollte zu den älteren Artikeln. Sie waren fast ausschließlich in der Wirtschafts- und Finanzpresse erschienen. Agnete Iversen war die Tochter eines der größten Immobilien­besitzer von Oslo. Sie hatte ein Wirtschaftsdiplom von Wharton in Philadelphia und sie hatte schon in jungen Jahren die Verwaltung des Immobilienportfolios übernommen. Nach ihrer Heirat mit Iver Iversen, auch er Ökonom, hatte sie sich aber zurück­gezogen. Einer der Finanzjournalisten hatte sie als eine Art Verwalterin beschrieben, als Veredlerin, als jemanden, der seine Geschäfte ­effektiv und lohnend betrieben hatte, während ihr Mann als aggressiv galt, er kaufte und verkaufte in hohem Tempo, ging höhere Risiken ein, machte mitunter aber auch höhere Gewinne. Ein anderer Artikel, zwei Jahre alt, war mit einem Foto ihres Sohnes erschienen, Iver junior, unter der Überschrift »Millionenerbe lebt Jetset-Leben auf Ibiza«. Sonnengebräunt, lachend, weiße Zähne, rote Augen im Blitzlichtgewitter, verschwitzt vom Tanzen mit einer Champagnerflasche im einen und einer ebenso verschwitzten Blondine im anderen Arm. Vor drei Jahren dann wieder ein Artikel unter der Rubrik Finanzen: Iver senior reichte dem Osloer Finanzsenator die Hand, nachdem das Iversen-Imperium kommunale Immobilien im Wert von einer Milliarde Kronen gekauft hatte.

Die Tür wurde aufgeschoben. Dann stand eine Tasse dampfender Tee vor ihm.

»Wie dunkel es hier ist«, sagte Else und legte ihre Hände auf seine Schultern. Massierte ihn. Oder stützte sich auf.

»Ich warte noch immer darauf, dass du mir den Rest erzählst«, sagte Simon.

»Den Rest von was?«

»Was der Doktor gesagt hat.«

»Ich habe dich doch angerufen und dir alles erzählt, wirst du vergesslich, Schatz?« Sie lachte leise und drückte ihre weichen Lippen auf seinen Kopf. Er hatte wirklich manchmal den Verdacht, dass sie ihn liebte.

»Du hast gesagt, dass er nicht viel tun könne«, sagte Simon.

»Ja.«

»Aber?«

»Was aber?«

»Ich kenne dich zu gut, Else, das ist nicht alles.«

Sie zog sich etwas zurück. Nur eine Hand blieb auf seinen Schultern liegen. Er wartete.

»Er hat gesagt, dass sie in den USA jetzt mit einer ganz speziellen Art Operation begonnen haben. Und dass es für die Leute, die nach mir kommen, Hoffnung gibt.«

»Nach dir?«

»Wenn die Operation Routine geworden ist. Das kann aber noch Jahre dauern. Heute ist das noch eine wahnsinnig komplizierte Sache, die ein Vermögen kostet.«

Simon schwang sich so schnell auf seinem dreibeinigen Stuhl zu ihr herum, dass sie einen weiteren Schritt zurückweichen musste. Er nahm ihre Hände.

»Aber das sind doch fantastische Neuigkeiten! Wie viel?«

»Viel mehr, als Menschen mit einer Behindertenrente und einem Polizeilohn zahlen können.«

»Else, hör mir mal zu. Wir haben keine Erben. Und uns gehört dieses Haus. Wir müssen unser Geld doch für nichts anderes ausgeben. Wir sind sparsam …«

»Hör auf, Simon. Du weißt ganz genau, dass wir kein Geld haben. Und dieses Haus ist belastet.«

Simon schluckte. Sie hatte das Problem nicht beim Namen genannt – Spielschulden. Sie war viel zu rücksichtsvoll, um ihn an seine früheren Sünden zu erinnern. Er nahm ihre Hände in die seinen.

»Mir wird schon was einfallen. Ich habe Freunde, die uns Geld leihen können, vertrau mir. Wie viel?«

»Du hattest Freunde, Simon. Aber du redest ja mit keinem mehr. Ich habe dir immer gesagt, dass du die Kontakte pflegen musst, sonst sind sie irgendwann weg.«

Simon seufzte. Zuckte mit den Schultern. »Ich habe dich.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht genug, Simon.«

»Doch, das bist du.«

»Ich will nicht genug sein.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Stirn. »Ich bin müde, ich gehe schlafen.«

»Okay, aber wie viel kostet das denn jetzt …?«

Sie hatte das Zimmer schon verlassen.

Simon sah ihr nach. Dann schaltete er den PC aus und griff zum Telefon. Warf einen Blick auf das Telefonverzeichnis. Alte Freunde. Alte Feinde. Einige von ihnen nützlich, die meisten total überflüssig. Er wählte die Nummer von einem aus der zweiten Kategorie. Feind. Nützlich.

Fredrik Ansgar war wie erwartet überrascht über den Anruf, tat aber so, als freute er sich, und willigte in ein Treffen ein. Er gab nicht einmal vor, keine Zeit zu haben.

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, blieb Simon im Dunkeln sitzen und starrte auf das Telefon. Er dachte an den Traum. Sein Augenlicht. Sie sollte sein Augenlicht bekommen. Dann wurde ihm klar, welches Muster er auf dem Telefon fixierte. Es war der Schuhabdruck im Blumenbeet.

»Das Essen ist gut«, sagte Johnny und wischte sich den Mund ab. »Und du willst wirklich nichts?«

Der junge Mann schüttelte lächelnd den Kopf.

Johnny sah sich um. Das Café war ein größerer Raum im Erdgeschoss des Hospizes mit of­fener Küche, einem Büfet und einer Selbstbedienungstheke. Im Moment waren alle Tische besetzt. Gewöhnlich schloss das Café bereits früh am Tag, aber da der eigentliche Junkietreffpunkt, das Café der Stadtmission, zur Zeit renoviert wurde, waren die Öffnungszeiten geändert worden und auch hausfremden Gästen wurde Zutritt gewährt. Die meisten hatten aber irgendwann einmal hier gewohnt, und Johnny kannte alle Gesichter.