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»Dreihundert?«, fragte Pelvis.

Kalle schüttelte den Kopf und drückte auf den Fahrstuhlknopf.

Knut Schrøder legte die Gitarre auf den Verstärker.

»Zigarette!«, sagte er und ging zur Tür.

Er wusste, dass sich die anderen in der Band resigniert ansahen. Schon wieder Zigarettenpause? Sie hatten in drei Tagen einen Gig im Jugendzentrum, und die traurige Wahrheit war, dass sie wie die Besessenen üben mussten, wollten sie sich nicht komplett blamieren. Verdammte Yuppies, sie rauchten nicht, tranken kaum Bier und hatten noch nie einen Joint gesehen, geschweige denn geraucht. Wie sollte denn so Rock entstehen?

Er zog die Tür hinter sich zu. Sie spielten wieder das gleiche Lied, jetzt halt ohne ihn. Der Sound war tight, hatte aber keinen soul. Nicht wie mit ihm. Bei diesem Gedanken musste er über sich selbst lächeln. Auf dem Weg nach draußen kam er am Fahrstuhl und den beiden leeren Übungsräumen vorbei. Es war exakt wie bei dem Highlight der DVD Hell Freezes Over von den Eagles – Knuts heimliche Lieblings-DVD. Die Szene, in der sie mit dem Burbank Philharmonic Orchestra proben, das hochkonzentriert »New York Minute« vom Blatt spielt, während Don Henley sich zur Kamera umdreht, die Nase rümpft und flüstert: »… but they don’t have the blues …«

Vor dem Übungsraum, dessen Tür immer offen stand, weil das Schloss kaputt und die Scharniere verzogen waren, so dass die Tür sich gar nicht mehr schließen ließ, hielt er inne. Drinnen stand jemand mit dem Rücken zu ihm. Früher war hier ständig eingebrochen worden. Junkies auf der Jagd nach Musikequipment, das sie schnell zu Geld machen konnten. Aber das war besser geworden, seit oben das Managementbüro eingezogen war und die neue solide Tür mit dem Zahlencode spendiert hatte.

»Hallo, Sie da!«

Der Mann drehte sich um. Es war schwer zu sagen, was er für einer war. Jogger? Nein. Er trug zwar einen Kapuzenpulli und eine Jogginghose, aber gute schwarze Schuhe. Und so schlecht kleideten sich nur Junkies. Aber Knut hatte keine Angst, warum auch? Er war so groß wie Joey Ramone und hatte auch die gleiche Lederjacke. »Was machen Sie hier, Mann?«

Der Typ lächelte ihn an. Kein Rocker also. »Versuche hier ein bisschen aufzuräumen.«

Das klang so weit plausibel. In kommunalen Übungsräumen wurde in der Regel alles kaputtgemacht oder geklaut, und niemand kümmerte sich darum. Das Fenster war noch immer mit schallisolierenden Platten verkleidet, aber ansonsten gab es nur noch eine ausrangierte Basstrommel, auf deren Frontseite jemand in gotischen Buchstaben The Young Hopeless geschrieben hatte. Auf dem Boden lagen Kippen, kaputte Gitarrensaiten, ein einsamer Drumstick und eine Rolle Klebeband. Dazwischen stand ein Tischventilator, den der Schlagzeuger bestimmt gebraucht hatte, um nicht zu sehr ins Schwitzen zu kommen. Plus eine Jack Stringsite, die Knut natürlich gecheckt hatte, aber die auch kaputt war. Aber egal, diese Stringsites gehörten der Vergangenheit an und waren unzuverlässig, die Zukunft war drahtlos, und Mama hatte Knut versprochen, ihm ein drahtloses Equipment für seine Gitarre zu kaufen, wenn er mit dem Rauchen aufhörte, was ihn zu dem Song »She Sure Drives A Hard Bargain« inspiriert hatte.

»Wird bei der Stadt so spät noch gearbeitet?«, fragte Knut.

»Wir überlegen, wieder mit den Proben anzufangen.«

»Wir?«

»The Young Hopeless.«

»Oh, gehörst du zu denen?«

»Ich war der Schlagzeuger, vor dem, der zuletzt gespielt hat. Ich dachte, ich hätte zwei von den anderen Bandmitgliedern gesehen, aber die sind irgendwie nach oben verschwunden.«

»Nee, da oben ist so eine Musikmanagementbude.«

»Echt? Vielleicht können die uns ja mal nützlich werden.«

»Ich glaube nicht, dass die neue Kunden annehmen. Wir haben da mal vorgesprochen, sind aber ziemlich schroff zum Teufel gejagt worden«, sagte Knut grinsend, nahm eine Zigarette aus der Packung und steckte sie sich zwischen die Lippen. Vielleicht rauchte der Typ ja auch und würde ihm draußen Gesellschaft leisten, mit ihm über Musik und das alles reden.

»Ich geh trotzdem mal hoch und seh nach«, sagte der Schlagzeuger.

Der Typ wirkte eigentlich eher wie ein Sänger als ein Schlagzeuger. Vielleicht keine schlechte Idee, mit den Leuten da oben zu reden, denn Charisma hatte er … Vielleicht ließen sie ja auch Knut rein, wenn sie diesem Typen die Tür öffneten.

»Ich komme mit hoch und zeig dir, wo das ist.«

Der Mann schien erst etwas zu zögern, nickte dann aber. »Danke.«

In dem großen langsamen Lastenaufzug hatte Knut Zeit genug, dem anderen zu erklären, warum der Mesa/Boogie-Verstärker so genial war. Die erste Vorstufe konnte die zweite übersteuern, und daraus entstand eine geile Verzerrung, die für Rock genau richtig war.

Sie traten aus dem Fahrstuhl, und Knut bog nach links ab und zeigte auf eine blaue Metalltür – die einzige auf der ganzen Etage. Der Typ klopfte an. Es vergingen ein paar Sekunden, dann öffnete sich eine kleine Luke, und ein Paar blutunterlaufene Augen sahen sie an. Genau wie beim letzten Mal.

»Was wollt ihr?«

Der Typ beugte sich zur Luke vor, er wollte wohl sehen, was hinter dem Mann war.

»Könnten Sie sich vorstellen, The Young Hopeless zu vertreten und ein paar Gigs für uns zu buchen? Wir sind eine der Bands, die unten proben.«

»Verpisst euch und lasst euch hier nicht mehr blicken, kapiert?«

Der Typ stand noch immer dicht vor der Luke, seine Augen gingen hin und her.

»Wir sind ziemlich gut, mögen Sie Depeche Mode?«

Aus dem Zimmer hinter den blutunterlaufenen Augen war eine Stimme zu hören. »Wer ist da, Pelvis?«

»Irgendeine Band.«

»Schick sie zum Teufel, Mann! Mach schon, ich will um elf nach Hause!«

»Ihr habt meinen Chef gehört, Jungs.«

Die Luke schloss sich.

Knut ging die vier Schritte zum Fahrstuhl zurück und drückte auf den Knopf. Die Türen öffneten sich widerwillig, und er trat ein, aber der andere war stehen geblieben und betrachtete den Spiegel, den die Leute vom Büro an der Wand oberhalb der Fahrstuhltür angebracht hatten. Er zeigte aus irgendeinem Grund ihre Metalltür. Klar, dies hier war nicht gerade die beste Gegend, aber so was war selbst für Musikmanager ziemlich paranoid. Aber vielleicht lagerten sie da drinnen ja auch ihre fetten Gagen. Er hatte gehört, dass die großen norwegischen Bands für die größten Festivalauftritte bis zu einer halben Million bekamen. Sie mussten einfach üben. Wenn er nur diesen Radiosender von sich überzeugen konnte. Und eine neue Band fand. Was mit Soul. Vielleicht war das ja auch etwas für diesen Typen da? Er war endlich in den Fahrstuhl getreten, hielt jetzt aber die Hand vor den Sensor, so dass sich die Türen nicht schlossen. Dann nahm er sie weg und musterte die Leuchtstoffröhren im Innern des Aufzugs. Nee, vielleicht doch nicht. Er hatte schon mit genug Verrückten gespielt.

Er ging nach draußen, um seine Zigarette zu rauchen, während der Typ zurück in den Probenraum ging, um weiter aufzuräumen.

Er hatte es sich auf der Ladefläche eines Lastwagens bequem gemacht, als der Mann dann doch rauskam.

»Die anderen scheinen sich verdammt zu verspäten, aber ich kann sie nicht erreichen. Mein Akku ist leer«, sagte er und hob ein Handy hoch, das richtig neu aussah. »Ich geh mal Zigaretten kaufen.«

»Kannst eine von mir haben«, sagte Knut und hielt ihm sein Päckchen hin. »Was für ein Schlagzeug hast du? Nein, lass mich raten! Du bist bestimmt old school. Ludwig?«

Der Typ lächelte. »Danke, nett von dir, aber ich brauche Marlboro.«

Knut zuckte mit den Schultern. Er respektierte es, wenn jemand auf seine Marke schwor, ob es nun Trommeln oder Zigaretten waren. Aber Marlboro? War das nicht so, als wollte man nichts anderes als Toyota fahren?

»Peace, man«, sagte Knut. »Bis dann.«