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»Danke für die Hilfe.«

Er sah dem Mann nach, der über den Kies in Richtung Tor ging. Plötzlich blieb er stehen, drehte um und kam noch einmal zurück.

»Scheiße, Mann, ich habe den Code für das Schloss im Handy gespeichert«, sagte er mit einem betretenen Lächeln.

»Und der Akku ist leer … 666S. Ich bin da draufgekommen, weißt du, wofür dieser Code steht?«

Der Typ nickte. »Das ist der Polizeicode von Arizona für Selbstmord.«

Knut blinzelte mehrmals. »Wirklich?«

»Darauf kannst du wetten, das S steht für suicide. Habe ich von meinem Vater gelernt.«

Knut sah den Typen durch das Tor in die helle Sommernacht verschwinden, während eine Windböe das hohe Gras am Zaun hin und her schwingen ließ, wie die Arme des Publikums bei einer blöden Ballade. Suicide. Verdammt, das war noch viel, viel cooler als 666 Satan!

Pelle sah in den Rückspiegel und rieb sich das schmerzende Bein. Das war doch alles Mist. Und zu dem ganzen Scheiß passte die Adresse, die ihm der Fahrgast auf dem Rücksitz gerade genannt hatte. Das Ila-Wohnheim. Vorläufig änderte sich deshalb nichts an Pelles mehr oder minder festem Standplatz in Gamlebyen.

»Sie meinen das Hospiz?«, fragte Pelle.

»Ja, wenn Sie so wollen.«

»Dahin fahre ich nur, wenn ich im Voraus bezahlt werde. Tut mir leid, aber ich habe da schlechte Erfahrungen gemacht.«

»Natürlich, entschuldigen Sie, daran habe ich nicht gedacht.«

Pelle studierte den Fahrgast, oder besser gesagt, potentiellen Fahrgast, während dieser seine Hosentaschen durchsuchte. Pelle saß jetzt schon seit dreizehn Stunden in der Taxe, trotzdem würde er erst in ein paar Stunden zurück zu seiner Wohnung in der Schweigaards gate fahren, den Wagen abstellen, sich mit den zusammensteckbaren Krücken, die unter dem Sitz lagen, die Treppe nach oben wuchten und endlich ins Bett fallen und schlafen. Hoffentlich ohne zu träumen. Wobei es natürlich auf die Träume ankam. Sie konnten Himmel oder Hölle sein, das wusste man vorher nie. Der Fahrgast reichte ihm einen Fünfziger und eine Handvoll Münzen.

»Das sind nur gut hundert Kronen, das reicht nicht.«

»Hundert reichen nicht?«, fragte der nicht mehr ganz so potentielle Fahrgast aufrichtig überrascht.

»Sie sind wohl lange nicht mehr Taxi gefahren?«

»Stimmt. Können Sie mich dann so weit fahren, wie das Geld reicht?«

»Sicher«, sagte Pelle, legte das Geld ins Handschuhfach, weil der Mann nicht gerade so aussah, als bräuchte er eine Quittung, und gab Gas.

Martha war allein im Raum 323.

Sie hatte in der Rezeption gesessen. Erst hatte Stig und dann Johnny das Haus verlassen. Stig hatte die schwarzen Schuhe getragen, die sie ihm gegeben hatte.

Die Hausordnung gestattete es ihnen, ohne Vorwarnung und Genehmigung jederzeit die Zimmer zu durchsuchen, sobald sie den Verdacht hatten, dass dort Waffen aufbewahrt wurden. Die Regeln verlangten aber auch, dass diese Durchsuchung von jeweils zwei Mitarbeitern durchgeführt wurde. Regeln. Manchmal musste man sich über die eben hinwegsetzen. Marthas Blick fiel auf die Kommode. Und dann auf den Schrank.

Sie begann mit der Kommode.

Nichts als Kleider. Johnnys Kleider. Was Stig gehörte, wusste sie.

Dann öffnete sie die Schranktüren.

Die Unterwäsche, die sie Stig gegeben hatte, lag ordentlich ­zusammengefaltet auf dem Schrankbrett. Der Mantel hing auf ­einem Bügel. Auf der Hutablage stand die rote Sporttasche, mit der sie ihn hatte kommen sehen. Sie streckte die Arme nach oben, um sie herunterzunehmen, als ihr Blick auf die blauen Joggingschuhe fiel, die ganz unten standen. Sie ließ die Tasche los, bückte sich und nahm die Schuhe. Hielt die Luft an. Umklammerte sie. ­Koaguliertes Blut. Dann drehte sie die Sohlen nach oben.

Atmete aus und spürte, wie ihr Herz triumphierte.

Die Sohlen waren vollständig sauber. Nicht der kleinste Fleck war im Profil zu erkennen.

»Was machst du da?«

Martha schwang mit klopfendem Herzen herum. Legte die Hand auf die Brust. »Anders!«

Sie beugte sich vor und lachte: »Mein Gott, hast du mir einen Schrecken eingejagt.«

»Ich habe unten gestanden und auf dich gewartet«, sagte er sauer und schob die Hände in seine kurze Lederjacke. »Es ist bald halb elf.«

»Tut mir leid, ich hab die Zeit vergessen. Wir haben die Info bekommen, dass einer der Bewohner möglicherweise eine Waffe hat, und dann haben wir natürlich die Pflicht, das zu überprüfen.« Martha war so aufgedreht, dass die Lüge ganz von allein kam.

»Pflicht?«, schnaubte Anders. »Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit, ein bisschen über Pflichten nachzudenken. Die meisten Menschen denken an Familie und Zuhause, wenn sie von Pflichten sprechen. Und nicht an eine Arbeit wie … wie diese hier.«

Martha seufzte. »Anders, nicht schon wieder …« Sie stellte die Schuhe an ihren Platz zurück.

Aber er war bereits richtig in Fahrt, manchmal brauchte er dafür nur ein paar Sekunden: »Du hast noch immer das Angebot, bei Mutter in der Galerie zu arbeiten. Und ich bin vollkommen ihrer Meinung. Es wäre bestimmt gut für deine persönliche Entwicklung, wenn du dich mal mit interessanteren Menschen umgeben würdest und nicht mit diesem … Abschaum.«

»Anders!« Martha erhob die Stimme, spürte aber, dass sie zu müde war, um sich richtig zur Wehr zu setzen. Sie ging zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Es ist nicht richtig, diese Menschen als Abschaum zu bezeichnen. Das darfst du nicht. Und ich habe dir das schon so oft gesagt: Deine Mutter und ihre Kunden brauchen mich nicht.«

Anders zog den Arm weg. »Was die Leute hier brauchen, bist nicht du, sondern endlich eine andere Politik. Wir müssen aufhören, die mit Samthandschuhen anzufassen und ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Diese Junkies sind doch die heiligen Kühe der Nation, verdammt.«

»Ich will diese Diskussion nicht mehr führen, Anders. Kannst du nicht schon nach Hause fahren, ich komme mit einem Taxi nach, wenn ich fertig bin.«

Aber Anders verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Türrahmen. »Welche Diskussion willst du eigentlich führen, Martha? Ich versuche ja auch schon lange, mit dir über ein Datum zu reden …«

»Anders, nicht jetzt.«

»Doch, jetzt! Meine Mutter muss den Sommer planen und …«

»Nicht jetzt, habe ich gesagt.« Sie wollte ihn durch die Tür schieben, aber er wich nicht von der Stelle und versperrte ihr den Weg.

»Was ist das denn für eine Antwort? Schließlich sollen sie bezahlen …«

Martha schlüpfte unter seinem Arm hindurch auf den Flur und ging.

»He!« Sie hörte die Tür ins Schloss fallen. Anders lief ihr nach, packte ihren Arm, riss sie herum und zog sie an sich. Sie roch das teure Aftershave, das er von seiner Mutter zu Weihnachten bekommen hatte, das Martha aber nicht ausstehen konnte. Ihr Herz blieb fast stehen, als sie seinen finsteren, leeren Blick sah.

»Du lässt mich nicht einfach so stehen«, fauchte er.

Sie hielt sich automatisch die Hand zum Schutz vors Gesicht und nahm seine plötzliche Verwirrung wahr.

»Was soll das denn?«, flüsterte er mit eisiger Stimme. »Glaubst du etwa, ich will dich schlagen

»Anders, ich …«

»Zweimal«, fauchte er, und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. »Zweimal in neun Jahren, Martha. Und du behandelst mich wie einen … wie einen verdammten … Schläger

»Lass mich los, das tut …«

Hinter ihr war ein Räuspern zu hören. Anders ließ ihren Arm los, starrte wütend über ihre Schulter und spuckte die Worte aus:

»Was ist los, Junkie, willst du vorbei, oder was?«

Sie drehte sich um. Es war er. Stig. Er stand einfach nur da und wartete. Ließ seinen ruhigen Blick von Anders zu ihr wandern. In ihm lag eine Frage. Die sie mit einem Nicken beantwortete. Es war alles in Ordnung.

Er nickte zurück und ging vorbei. Die zwei Männer musterten sich, als er sich an Anders vorbeischob. Sie waren gleich groß. Anders breiter, mit mehr Muskeln.