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»Cassius, schieß, verdammt …!«

Kalle vergaß in der Panik, dass Cassius nur Englisch sprach, aber dieser hatte ihn trotzdem verstanden und seine Pistole bereits auf das Dunkel im Fahrstuhl gerichtet und abgedrückt. Kalle spürte, wie sich seine Brust zusammenzog. Er war noch nie auf der falschen Seite einer Pistole gewesen, verstand aber mit einem Mal, warum diejenigen, auf die er seine Waffe gerichtet hatte, erstarrt waren, als hätte man sie mit Zement gefüllt. Die Schmerzen in der Brust breiteten sich aus, er konnte nicht mehr atmen, musste aber irgendwie den Rückzug antreten. Hinter der schusssicheren Tür gab es Luft, Sicherheit, ein Schloss, das er verriegeln konnte. Aber seine Hand gehorchte ihm nicht mehr, und er bekam den Schlüssel nicht ins Schloss. Es war genau wie im Traum, als bewegte er sich unter Wasser. Zum Glück deckte ihn der riesenhafte Cassius, der einen Schuss nach dem anderen abgab. Dann glitt der Schlüssel endlich in den Spalt, und Kalle drehte ihn herum, riss die Tür auf und schlüpfte hinein. Die nächsten Schüsse klangen anders, sie mussten aus dem Inneren des Fahrstuhls kommen. Er warf sich zur Seite, um die Tür zu schließen. Aber sie wurde durch Cassius blockiert, der seinen baumdicken Arm und seine Schulter in den Raum gestemmt hatte. Verdammt! Er versuchte, ihn nach draußen zu schieben, aber Cassius wollte hinein.

»Dann komm schon rein, du elendiger Feigling!«, fauchte Kalle und öffnete die Tür.

Der Afrikaner wälzte sich ihm entgegen, wie ein Hefeteig, den man aus der Schüssel kippte. Und blieb auf der Türschwelle liegen. Kalle starrte in die glasigen Augen. Sie quollen hervor wie bei einem zu schnell hochgeholten Tiefseefisch, und Cassius’ Mund öffnete und schloss sich.

»Cassius!«

Cassius’ Antwort war ein nasses Schmatzen, als eine große rosa Luftblase zwischen den Lippen des Afrikaners zerplatzte. Kalle stieß sich mit den Beinen an der Wand ab und versuchte, das schwarze Monster nach draußen zu drücken, damit er endlich wieder die Tür schließen konnte. Es war zwecklos. Dann beugte er sich hinunter und versuchte es in die andere Richtung. Aber der Mann war ganz einfach zu schwer. Gleich darauf hörte Kalle leichte Schritte. Die Pistole! Cassius war auf seinen Unterarm und seine Hand gefallen. Kalle setzte sich rittlings auf die Leiche und wühlte sich mit der Hand unter den toten Körper, aber nach jedem Fettwulst, den er überwunden hatte, legte sich ihm ein neuer in den Weg. Von der Pistole keine Spur. Er hatte den Arm bis zum Ellenbogen unter Cassius geschoben, als die Schritte draußen fast bei ihm waren. Er wusste genau, was passieren würde. Versuchte zu fliehen, aber es war zu spät. Die Tür knallte gegen seine Stirn, und alles wurde dunkel.

Als Kalle die Augen wieder öffnete, lag er auf dem Rücken und starrte einen Mann in einem Kapuzenpulli an. Er trug gelbe Gummihandschuhe und hatte seine Pistole auf ihn gerichtet. Kalle drehte den Kopf zur Seite, konnte aber außer Cassius, der noch immer auf der Schwelle lag, niemanden sehen. Aus seiner jetzigen Position sah er aber den Lauf der Pistole unter Cassius’ Körper hervorragen.

»Was willst du?«

»Dass du den Safe öffnest. Du hast sieben Sekunden.«

»Sieben?«

»Ich habe mit dem Zählen angefangen, als du noch bewusstlos warst. Sechs.«

Kalle rappelte sich auf. Ihm war schwindelig, er schaffte es aber bis zum Safe.

»Fünf.«

Er drehte das Kombinationsrädchen.

»Vier.«

Noch eine Ziffer, dann war der Safe offen und das Geld weg. Und für das Geld haftete er persönlich. So lauteten die Spiel­regeln.

»Drei.«

Er zögerte. Wenn er es nur bis zu Cassius schaffen würde!

»Zwei.«

Würde er wirklich schießen oder bluffte er nur?

»Eins.«

Der Mann hatte die beiden anderen umgebracht, ohne mit der Wimper zu zucken, ein dritter Mord spielte da keine Rolle mehr.

»So …« Kalle trat zur Seite. Er wollte den Stapel Geldscheine und die Drogentütchen gar nicht sehen.

»Pack alles da rein«, befahl der Typ und reichte ihm eine rote Sporttasche.

Kalle tat, was von ihm verlangt wurde. Weder langsam noch schnell. Er stopfte den Inhalt in die Tasche und zählte auto­matisch mit. Hunderttausend Kronen. Zweihunderttausend Kronen …

Als er fertig war, bat der Typ ihn, die Tasche vor ihm auf den Boden zu werfen. Kalle tat auch das. Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass der Typ jetzt schießen musste, sollte das seine Absicht sein. Hier. Er wurde nicht mehr gebraucht. Kalle machte zwei Schritte in Richtung Cassius. Musste jetzt alles auf diese Pistole setzen.

»Wenn du das lässt, werde ich dich nicht erschießen«, sagte der Typ.

Verdammt, konnte der Gedanken lesen?

»Leg die Hände hinter den Kopf und geh nach draußen auf den Flur.«

Kalle zögerte. Wollte der ihn wirklich am Leben lassen? Er stieg über Cassius.

»Lehn dich an die Wand, die Hände über dem Kopf.«

Kalle gehorchte wieder. Drehte den Kopf zur Seite. Der andere hatte schon Pelvis’ Waffe sichergestellt und kniete nun neben Cassius. Kalle ließ er nicht aus den Augen. Er nahm auch Cassius’ Pistole an sich.

»Hol bitte die Kugel da vorne aus der Wand.« Als der Typ den Arm ausstreckte, wusste Kalle plötzlich, wo er ihn schon mal gesehen hatte. Am Fluss, es war der Jogger. Er musste ihnen gefolgt sein. Kalle schaute hoch und erahnte in der Wand das verformte Hinterteil einer Pistolenkugel. Eine feine, wie auf den Putz aufgesprühte Blutspur führte von der Wand zu Pelvis’ Kopf. Die Kugel hatte nicht mehr viel Fahrt gehabt, Kalle konnte sie mit dem Fingernagel aus der Wand knibbeln.

»Hierher«, sagte der Typ und nahm die Kugel mit der freien Hand entgegen. »Und jetzt musst du meine andere Kugel finden und die beiden Geschosshülsen. Du hast dreißig Sekunden.«

»Und was, wenn die in Cassius steckt?«

»Das glaube ich nicht. Neunundzwanzig.«

»Guck dir dieses Monster doch mal an!«

»Achtundzwanzig.«

Kalle warf sich auf die Knie und suchte. Mann, warum hatte er sich keine helleren Lampen geleistet?

Bei dreizehn hatte er vier von Cassius’ Hülsen gefunden und eine von dem anderen. Bei sieben hatte er die andere Kugel gefunden, die auf sie abgefeuert worden war. Sie musste tatsächlich durch Cassius Körper geschlagen sein und die Stahltür getroffen haben, denn in dem Metall war eine kleine Delle.

Als der Countdown runtergezählt war, fehlte ihm noch immer die letzte Geschosshülse. Er schloss die Augen und spürte, wie das eine, etwas zu kleine Lid über das Auge kratzte, während er Gott anflehte, doch noch einen weiteren Tag leben zu dürfen. Dann hörte er den Schuss, spürte aber keine Schmerzen. Er öffnete die Augen und kniete noch immer auf allen vieren auf dem Boden.

Der Typ nahm die Mündung von Pelvis’ Pistole von Cassius.

Verdammt, dieser Typ hatte mit Pelvis’ Pistole noch einmal auf Cassius geschossen! Er wollte wirklich kein Risiko eingehen und ging jetzt zu Pelvis, richtete Cassius’ Pistole auf die Einschusswunde, justierte den Winkel und feuerte.

»Verdammt!«, schrie Kalle und hörte das Weinen in seiner eigenen Stimme.

Der Typ legte die beiden anderen Pistolen in die rote Tasche und zeigte mit seiner auf Kalle. »Komm, Aufzug fahren!«

Der Fahrstuhl. Das Glas. Das war seine Chance. Dort drinnen musste er ihn überwältigen.

Sie traten ein, und im schwachen Flurlicht konnte Kalle erkennen, dass auch auf dem Fahrstuhlboden Glassplitter lagen. Er wählte einen länglichen Splitter aus, der ihm geeignet erschien. Wenn die Türen erst geschlossen waren und es stockfinster wurde, musste er sich nur bücken, die Scherbe nehmen und sie in einer glatten Bewegung … Er musste das hinkriegen …

Die Türen schlossen sich, und der Typ schob die Pistole unter seinen Gürtel. Perfekt! Es würde wie das Schlachten eines Huhns sein. Es wurde dunkel. Kalle bückte sich. Seine Finger fanden die Scherbe. Er richtete sich auf. Und war gefangen.