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»Wollen wir hier drinnen mit der Führung fortfahren, meine Damen und Herren?« Bjørnstad hielt ihnen die Tür auf und wartete, bis Kari und Simon über die Leiche in den Raum gestiegen waren.

»Die Stadtverwaltung hat diesen Raum an ein Büro vermietet, das angeblich junge Bands managt und Auftritte bucht.«

Simon bemerkte den leeren Safe. »Was, glauben Sie, ist hier passiert?«

»Eine Art Bandenkrieg«, sagte Bjørnstad. »Sie müssen gegen Ladenschluss zugeschlagen haben. Der Erste wurde erschossen, als er schon am Boden lag, wir haben die Kugel aus dem Fußboden geholt. Der andere hier auf der Türschwelle, auch da steckte die Kugel im Fußboden. Der Dritte musste den Safe öffnen. Sie haben das Geld und das Dope mitgenommen und den Dritten dann unten umgebracht, um ein Zeichen zu setzen, wer von jetzt an den Markt bestimmt.«

»Verstehe«, sagte Simon. »Und die leeren Hülsen?«

Bjørnstad lachte kurz. »Ach, wittert Sherlock Holmes etwa einen Zusammenhang mit dem Iversen-Mord?«

»Keine leeren Hülsen?«

Åsmund Bjørnstad sah von Simon zu Kari und wider zu Simon. Dann zog er mit einem breiten, triumphierenden Grinsen wie ein Zauberkünstler eine Plastiktüte aus seiner Jackentasche und hielt sie Simon vor die Nase. Sie enthielt zwei leere Geschosshülsen.

»Tut mir leid, wenn das Ihre Theorie zum Einsturz bringt, Opa«, sagte er. »Außerdem deuten die großen Einschusslöcher in den Leichen auf ein gröberes Kaliber hin als das, was bei Agnete Iversen zum Einsatz kam. Führung beendet. Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht.«

»Noch drei abschließende Fragen.«

»Nur zu, Kommissar Kefas.«

»Wo haben Sie die leeren Hülsen gefunden?«

»Neben den Leichen.«

»Wo sind die Waffen der Toten?«

»Sie hatten keine. Letzte Frage.«

»Hat der Polizeipräsident Sie gebeten, mit uns zusammenzuarbeiten und uns herumzuführen?«

Åsmund Bjørnstad lachte. »Über meinen Chef im Kriminalamt, vielleicht. Wir tun, was wir von unseren Chefs gesagt bekommen, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Simon. »Wenn wir nach oben wollen, tun wir das. Danke für die Führung.«

Simon und Kari ließen Bjørnstad zurück. Im Flur fragte Simon den Kriminaltechniker mit den roten Haaren, ob er ihm kurz seine Taschenlampe borgen könnte. Er ging zum Einschussloch in der Wand und leuchtete hinein.

»Habt ihr die Kugel rausgenommen, Nils?«

»Das muss ein altes Loch sein, da war keine Kugel mehr«, sagte der bärtige Mann, während er den Boden um den Toten herum mit einem einfachen Vergrößerungsglas absuchte.

Simon hockte sich hin, befeuchtete seine Fingerkuppen und drückte sie unter dem Loch auf den Boden. Er hob die Hand hoch und zeigte Kari seine Fingerkuppen. An der Haut klebten kleine Putzpartikel.

»Danke«, sagte Simon zu Nils, der kurz aufblickte, und nickend die Taschenlampe entgegennahm.

»Was war denn das?«, fragte Kari, als die Fahrstuhltüren sich hinter ihnen geschlossen hatten.

»Ich muss noch kurz nachdenken, gleich«, sagte Simon.

Kari war irritiert. Nicht weil sie das Gefühl hatte, dass ihr Chef sich vor ihr aufspielte, sondern weil sie ihm nicht folgen konnte. Und zurückzubleiben war etwas, das sie nicht gewohnt war.

Die Türen öffneten sich, und sie verließ den Aufzug, drehte sich aber gleich wieder um, weil Simon sich nicht gerührt hatte.

»Kann ich mir mal Ihre Murmel leihen?«, fragte er.

Sie seufzte und steckte die Hand in die Manteltasche. Er legte die kleine gelbe Murmel mitten auf den Fahrstuhlboden. Sie rollte erst langsam, dann immer schneller zum vorderen Rand und verschwand im Spalt zwischen Innen- und Außentür.

»Oh«, sagte Simon. »Da müssen wir wohl in den Keller und suchen.«

»Ist nicht so schlimm«, sagte Kari. »Ich habe zu Hause noch mehr.«

»Ich rede nicht von der Murmel.«

Kari folgte ihm, tappte aber noch immer im Dunkeln.

Dann drängte sich ihr eine Frage auf, ein Gedanke. Konnte sie in diesem Moment nicht auch einen ganz anderen Job machen? Besser bezahlt, selbständiger. Ohne seltsame Chefs und stinkende Leichen. Aber die Zeit würde kommen, sie musste einfach noch ein bisschen Geduld haben.

Sie fanden die Treppe, die Kellertür und den Zugang zum Fahrstuhlschacht. An der einfachen Stahltür mit einem Milchglasfenster hing ein Schild: AUFZUGKONTROLLE. ZUTRITT VER­BOTEN. Simon rüttelte an dem Türgriff.

»Laufen Sie nach oben in den Übungsraum und schauen Sie nach, ob Sie irgendein Kabel finden«, sagte Simon.

»Was für ein …?«

»Egal«, sagte er und lehnte sich an die Wand.

Sie schluckte ihren Ärger runter und ging über die Treppe nach oben.

Zwei Minuten später war sie mit einem Jack-Kabel zurück und sah zu, wie Simon die Stecker abriss und die Plastikummantelung von dem Metall zog. Dann bog er das Kabel zu einem U und schob es in Höhe des Griffs zwischen Fahrstuhltür und Rahmen. Ein lautes Knacken war zu hören, dann sprühten Funken. Er öffnete die Tür.

»Och«, sagte Kari. »Wo haben Sie denn das gelernt?«

»Als kleiner Junge habe ich so einiges aufgeschnappt«, sagte Simon und sprang nach unten auf das Fundament des Aufzugs, das einen halben Meter tiefer lag als der Kellerboden. Er sah im Fahrstuhlschacht nach oben. »Wäre ich nicht zur Polizei gegangen …«

»Ist das nicht ein bisschen riskant?«, fragte Kari und spürte, dass ihre Kopfhaut kribbelte. »Was, wenn der Fahrstuhl kommt?«

Aber Simon war bereits auf den Knien und suchte den Boden mit den Händen ab.

»Brauchen Sie Licht?«, fragte sie und hoffte, dass er die Nervosität in ihrer Stimme nicht bemerkte.

»Immer«, lachte er.

Ein spitzer Schrei entfuhr Kari, als es laut klickte und die ge­ölten Winden sich in Bewegung setzten. Aber Simon war schnell auf den Beinen und kletterte wieder in den Keller zurück. »Kommen Sie«, sagte er.

Sie hastete hinter ihm her nach oben und durch die Fabrik­türen nach draußen auf den gekiesten Vorplatz.

»Moment!«, sagte sie, bevor sie sich ins Auto setzte, das sie zwischen den aufgebockten Lastwagen abgestellt hatten. Simon blieb stehen und sah sie über das Wagendach hinweg an.

»Ich weiß«, sagte er.

»Was wissen Sie?«

»Dass es verdammt nervig ist, wenn der Partner ständig Alleingänge macht und einen nicht informiert.«

»Genau! Und deshalb sagen Sie mir jetzt …«

»Aber ich bin nicht Ihr Partner, Kari Adel«, sagte Simon. »Ich bin Ihr Chef und Ausbilder. Das kommt, wenn es so weit ist. Einverstanden?«

Sie sah ihn an. Der Wind blies seine dünnen Haare hin und her, und seine sonst so freundlichen Augen funkelten.

»Verstanden«, sagte sie.

»Fangen Sie.« Er öffnete eine Hand und warf ihr etwas über das Autodach zu. Sie legte die Hände zusammen und fing beide Gegenstände auf. Ihre gelbe Murmel und eine leere Hülse.

»Man kann Neues entdecken, wenn man Standort und Per­spektive verändert«, sagte er. »Blindheit kompensieren. Also, fahren wir.«

Sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Er ließ den Motor an und fuhr über den Kies auf das Tor zu. Sie sagte nichts. Wartete. Er hielt an, sah lange und gründlich nach rechts und links und fuhr dann auf die Straße. Wie es ältere Männer gerne machten. Kari hatte immer angenommen, das habe mit der geringeren Testosteronproduktion zu tun. Aber jetzt wurde ihr plötzlich bewusst, dass Vernunft möglicherweise auf Erfahrung beruhte – eine ganz neue Erkenntnis.

»Mindestens ein Schuss wurde schon im Fahrstuhl abgegeben«, sagte er und schob sich hinter einen Volvo.

Sie sagte noch immer nichts.

»Und Ihr Einwand lautet?«

»Dass das nicht zu den Funden am Tatort passt«, sagte Kari. »Dort haben wir nur die Kugeln gefunden, die die Opfer getötet haben, und die lagen direkt unter ihnen. Sie müssen am Boden gelegen haben, als die Schüsse abgegeben wurden, und das passt vom Winkel her nicht zu einem Schuss aus dem Fahrstuhl.«