Der Kunde drehte sich zu Fidel um. Er hatte etwas seltsam Abwesendes, als er mit lächelndem Blick wiederholte: »Ungehöriges Verhalten zu bestrafen ist mein Job.«
»Gut.«
»Warum ist der Käfig leer?« Der Kunde zeigte auf den Zwinger neben dem der Hunde.
»Ich hatte zwei Rüden. Wenn sie in einem Zwinger sind, bringen sie sich gegenseitig um.« Fidel nahm einen Schlüsselbund. »Komm und guck dir die Welpen an, die haben da drüben einen eigenen Zwing…«
»Sag mir erst …«
»Ja?«
»Ist es denn gehöriges Verhalten, wenn ein Hund einem Mädchen das Gesicht zerfetzt?«
Fidel blieb stehen. »Hä?«
»Sollen Hunde dafür eingesetzt werden, einem Menschen das Gesicht zu zerfetzen, der aus der Sklaverei fliehen will? Gehört sich das, oder soll das bestraft werden?«
»Jetzt mach mal halblang, die Hunde folgen bloß ihren Instinkten. Sie können nicht dafür bestraft werden, dass …«
»Ich rede nicht von den Hunden. Ich rede von ihren Haltern. Was meinst du, sollten die bestraft werden oder nicht?«
Fidel sah sich den Kunden genauer an. War der doch von der Polizei? »Natürlich, wenn es so einen Unfall gegeben hat …«
»Das war ganz sicher kein Unfall. Der Hundehalter hat dem Mädchen anschließend die Kehle durchgeschnitten und sie irgendwo im Wald entsorgt.«
Fidel umklammerte seine Mauser noch fester. »Davon weiß ich nichts.«
»Ich aber. Der Hundehalter heißt Hugo Nestor.«
»Also, was ist jetzt, willst du einen Hund oder nicht?« Fidel hob den Lauf des Gewehrs ein paar Zentimeter an.
»Der Hund war von dir. Und einige davor auch schon. Weil deine Hunde sich für so etwas eignen.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Weil ich zwölf Jahre in einem Käfig gesessen und zugehört habe, wenn Leute solche Geschichten erzählt haben. Hast du dich irgendwann mal gefragt, wie es ist, wenn man in einem Käfig sitzt?«
»Also …«
»Du darfst es jetzt mal ausprobieren.«
Der Hundezüchter schaffte es nicht, sein Gewehr in Stellung zu bringen, bevor der andere seine Arme und seinen Körper so fest umklammerte, dass Fidel die Luft wegblieb. Er registrierte aber noch das frenetische Bellen der Tiere, als er hochgehoben wurde, während der andere sich nach hinten fallen ließ und ihn im Bogen über sich warf. Als Fidel mit Nacken und Schulter zuerst auf dem Boden aufschlug, hatte der Kerl sich bereits umgedreht und setzte sich rittlings auf ihn. Fidel rang nach Atem und versuchte, sich zu befreien, als er plötzlich die Pistole entdeckte und erstarrte.
Vier Minuten später sah Fidel hinter dem Mann her, der wie auf dem Wasser zu gehen schien, als er im Nebel durch das Moor verschwand. Fidel hatte die Finger neben dem dicken Vorhängeschloss ins Gitter geschoben. Er war eingesperrt. Im Nachbarkäfig hatte Ghost Buster sich ruhig auf den Boden gelegt und die Augen auf ihn gerichtet. Der Mann hatte Fidel Wasser in eine Schale gegossen und ihm vier Dosen Hundefutter in den Zwinger geworfen. Handy, Schlüssel und seine Geldbörse hatte er ihm abgenommen.
Fidel schrie. Und die weißen Teufel antworteten sogleich mit Heulen und Kläffen. Aber die Zwingeranlage war so weit von jeder menschlichen Behausung entfernt, dass niemand ihn hörte oder sah.
Verdammt!
Als der Mann weg war, legte sich eine seltsame Stille über sie. Ein Vogel schrie. Dann hörte Fidel den ersten Regentropfen auf dem Blechdach.
Kapitel 27
Als Simon am Montagmorgen um 8.08 Uhr aus dem Aufzug trat und ins Morddezernat ging, dachte er an dreierlei: Else hatte im Bad gestanden und sich Wasser in die Augen gespritzt, ohne überhaupt zu merken, dass Simon im Schlafzimmer war und ihr zugesehen hatte. Er hatte Kari für einen Sonntag möglicherweise zu viel Arbeit aufgehalst, und er hasste Großraumbüros, insbesondere seit ein Freund von Else, ein Architekt, ihm gesagt hatte, es sei ein Mythos, mit Großraumbüros könne man Flächen einsparen, da man wegen der Lärmbelastung so viele Sitzungsräume und Pufferbereiche brauche, dass das auf der einen Seite Eingesparte auf der anderen wieder mehr als kompensiert werde.
Er ging zu Karis Platz.
»Früh da!«, sagte er.
Ein etwas verknittertes Morgengesicht sah ihn an. »Auch Ihnen einen guten Morgen, Simon Kefas.«
»Danke, gleichfalls. Etwas gefunden?«
Kari lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Obwohl sie gähnte, meinte Simon eine gewisse Zufriedenheit in ihrem Gesicht erkennen zu können.
»Was die Verbindung zwischen Iversen und Farrisen angeht, da konnte ich nichts finden. Dann sollte ich mich ja noch um die Urteile gegen Sonny Lofthus kümmern und nach möglichen anderen Verdächtigen suchen. Lofthus wurde wegen des Mordes an dem noch unbekannten, möglicherweise vietnamesischen Mädchen verurteilt. Sie starb an einer Überdosis, und die Polizei verdächtigte anfänglich Kalle Farrisen. Lofthus hat aber auch noch für einen anderen Mord eingesessen. An Oliver Jovic, einem Dealer, Kosovo-Serbe, der im Begriff war, sich in den Drogenmarkt zu drängen, bis er im Stensparken mit einer Colaflasche im Hals gefunden wurde.«
Simon schnitt eine Grimasse. »Halsschlagader?«
»Nee, nee, nicht so. Die Flasche ist ihm in den Hals gedrückt worden.«
»In den Hals?«
»Ja, mit der Öffnung voran. Dann geht das leichter. Ziemlich tief, so dass der Boden gegen die Innenseite der Zähne gepresst war.«
»Woher wissen Sie …?«
»Ich habe mir die Bilder angeguckt. Im Drogendezernat hielt man das erst für eine Insiderbotschaft, um potentiellen Konkurrenten zu zeigen, was passiert, wenn man zu viel vom Cocamarkt will.« Sie sah schnell zu Simon auf und fügte hinzu: »Coca wie in Kokain.«
»Danke, ich kenne die Terminologie.«
»Die Ermittlungen kamen damals irgendwie nicht weiter. Der Fall wurde zwar nie zu den Akten gelegt, aber es ist wenig passiert, bis Sonny Lofthus wegen des Mordes an dem asiatischen Mädchen verurteilt wurde. Da gestand er in einem Aufwasch auch noch den Mord an Jovic. Im Protokoll des Verhörs steht, dass er sich mit Jovic getroffen hat, um Schulden zu begleichen, aber nicht genug Geld hatte und Jovic ihn deshalb mit einer Pistole bedroht hat. Lofthus will ihn dann überwältigt und zu Boden geworfen haben. Die Polizei fand das glaubhaft, da Lofthus ja früher Ringer war.«
»Hm.«
»Interessant ist, dass die Polizei an der Flasche einen Fingerabdruck gefunden hat.«
»Und?«
»Und der war nicht von Lofthus.«
Simon nickte. »Und wie hat Lofthus das erklärt?«
»Er hat gesagt, er hätte die Flasche irgendwo aus einem Mülleimer in der Nähe genommen. Dass Junkies wie er das ständig machten.«
»Und?«
»Junkies sammeln keine Pfandflaschen. Damit kriegen sie nicht schnell genug das Geld für ihre tägliche Dosis zusammen. Außerdem stand im Bericht, dass der Abdruck auf dem Flaschenboden war und von einem Daumen stammte.«
Simon erkannte, auf was sie hinauswollte, wollte ihre Argumentation aber nicht kaputtmachen.
»Ich meine, wer drückt schon seinen Daumen beim Trinken auf den Flaschenboden? Will man aber jemandem eine Flasche in den Hals drücken …«
»Und Sie meinen, dass die Polizei damals nicht so gedacht hat?«
Kari zuckte mit den Schultern. »Ich denke, dass Morde zwischen Dealern für die Polizei noch nie erste Priorität hatten. Außerdem haben sie in ihrer Datei keinen Abdruck gefunden, der passte. Und wenn sie dann noch ein Geständnis für einen Mord kriegen, der schon eine Weile zurückliegt …«
»Dann nehmen sie das mit Kusshand und legen den Fall als aufgeklärt zu den Akten?«
»Arbeitet ihr nicht so?«
Simon seufzte. Ihr. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass das Ansehen der Polizei bei der Bevölkerung nach den Entwicklungen der letzten Jahre zwar langsam wieder stieg, aber noch immer nicht viel höher war als das der Bahn. Ihr. Kari schien froh zu sein, bereits jetzt einen Fuß außerhalb dieses Großraumbüros zu haben.