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Es splitterte und krachte laut, als der Rammbock die Tür direkt unter dem Schloss traf. Der Dritte drückte die Tür auf und warf etwas in den Raum, das wie zwei Handgranaten aussah. Dann drehten sie sich um und hielten sich die Ohren zu. Mein Gott, die konnten doch nicht …? Der Lichtschein aus der Türöffnung war so grell, dass die drei Polizisten auf dem hell erleuchteten Flur Schatten warfen, und Marthas Ohren waren taub von dem Knall. Dann stürmten die Männer das Zimmer.

»Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist, Mädchen!«

Die dumpfen Worte kamen von dem Polizisten, der vor ihr stand. Vermutlich schrie er sie an.

Martha blieb ein paar Sekunden stehen und sah ihn an. Er trug wie die anderen die schwarze Uniform des Sondereinsatzkommandos Delta sowie eine schusssichere Weste. Dann wich sie nach hinten durch die Tür ins Treppenhaus zurück. Lehnte sich an die Wand. Wühlte in ihren Taschen. Sie hatte noch immer die Visitenkarte, als wäre ihr die ganze Zeit über bewusst gewesen, dass sie diese noch einmal brauchte. Sie wählte die Nummer, die unter dem Namen stand.

»Ja?«

Stimmen sind ein seltsam präzises Thermometer. Simon Kefas klang müde, gestresst. Aber nicht nach der Befriedigung, die eine wichtige Festnahme mit sich bringen sollte. Aus den Hintergrundgeräuschen schloss sie überdies, dass er nicht unten vor dem Haus auf der Straße stand, sondern irgendwo in einem Raum, umgeben von anderen Menschen.

»Sie sind hier«, sagte sie. »Sie haben Granaten geworfen.«

»Entschuldigung?«

»Hier ist Martha Lian aus dem Ila-Hospiz. Das SEK ist hier. Sie greifen uns an.«

In der Pause, die folgte, hörte sie eine Lautsprecherdurchsage, jemand wurde auf irgendeine postoperative Station gerufen. Der Kommissar war im Krankenhaus.

»Ich komme sofort«, sagte er.

Martha beendete die Verbindung, öffnete die Tür und ging wieder auf den Flur, wo mehrere Walkie-Talkies krächzten.

Der Mann richtete seine Waffe auf sie. »He, was habe ich eben gesagt?«

Eine metallische Stimme meldete durch sein Walkie-Talkie: »Wir bringen ihn jetzt raus.«

»Erschießen Sie mich, wenn Sie müssen, aber ich bin die Leiterin hier im Haus, und ich habe keinen Durchsuchungsbeschluss gesehen«, sagte Martha und ging an ihm vorbei.

Im selben Moment kamen sie aus Zimmer 323. Er trug Handschellen, und die beiden Polizisten hatten ihn in die Mitte genommen. Er trug nur eine etwas zu große weiße Unterhose und sah seltsam verwundbar aus. Trotz seines muskulösen Oberkörpers wirkte er dünn, eingefallen, fertig. Aus einem Ohr lief ein dünnes Rinnsal Blut.

Er hob den Blick. Sah Martha in die Augen.

Dann waren sie an ihr vorbei und auf dem Weg nach unten.

Es war zu Ende.

Martha atmete erleichtert auf.

Nachdem sie zweimal an die Tür geklopft hatte, öffnete Betty mit der Personalkarte die Tür der Suite. Wie gewöhnlich machte sie extra langsam, damit der Gast, sollte er doch anwesend sein, Zeit genug hatte, eine eventuell peinliche Situation zu vermeiden. Es gehörte zum Stil des Plaza Hotels, dass die Angestellten nicht sahen oder hörten, was nicht gesehen oder gehört werden sollte. Bettys Stil war das allerdings nicht. Ganz im Gegenteil. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass Bettys Neugier ihr eines Tages noch echte Schwierigkeiten bereiten würde. Gut, das war wirklich so gekommen, mehr als einmal. Aber als Empfangsdame war es ihr auch von Nutzen gewesen, denn niemand sonst im Haus hatte eine derart gute Nase für Hotelbetrüger wie sie. Es war beinahe ihr Markenzeichen geworden, dass sie Menschen entlarvte, die vorhatten, umsonst zu wohnen, zu essen und zu trinken. In diesen Fällen ging sie gerne sehr aktiv vor. Betty hatte nie ein Hehl aus ihren Ambitionen gemacht. Während ihres letzten Mitarbeitergesprächs mit dem Chef hatte sie dieser für ihre Aufmerksamkeit gelobt, aber betont, dass sie diskret agieren müsse und immer erst an die Interessen des Hotels denken solle. Er hatte gesagt, dass sie es weit bringen könnte und die Rezeption für jemanden wie sie nur eine Etappe auf dem Weg nach oben war.

Die Suite war eine der größten des Hotels mit einem wunderbaren Blick aus dem Wohnzimmer über ganz Oslo. Bartisch, Kochnische, Bad und separater Schlafraum mit extra Bad. Durch die Schlafzimmertür hörte sie die Dusche.

Eingecheckt hatte er unter dem Namen Fidel Lae, und Geldprobleme schien er auch keine zu haben. Der Anzug, den sie bei sich hatte, war von TIGER of Sweden. Der Gast hatte ihn am Morgen im Bogstadveien gekauft, und anschließend war der Anzug von einem Schneider angepasst und mit einem Kuriertaxi zum Hotel gebracht worden. In den anderen Jahreszeiten arbeitete das Hotel mit einem Lieferservice zusammen, aber im Sommer war es so ruhig, dass die wenigen Botengänge vom Rezeptionspersonal selbst erledigt wurden. Betty hatte gleich eingewilligt, diese Aufgabe zu übernehmen. Dabei hatte sie keinen konkreten Verdacht. Beim Einchecken hatte der Gast für zwei Nächte im Voraus bezahlt, und das war nicht die Vorgehensweise eines ­Hotelbetrügers. Es waren andere Dinge, die irgendwie nicht zusammenpassten. Schließlich sah er wirklich nicht aus wie die Typen, die sonst in der obersten Etage in den Suiten wohnten. Eher wie jemand, der auf der Straße hauste oder in einem Backpackerhotel abstieg. Auch dass er so unsicher gewirkt und sich beim Einchecken so konzentriert hatte, als hätte er noch niemals zuvor in einem Hotel gewohnt, hatte sie alarmiert. Als hätte er sich vorher alles angelesen. Das Tüpfelchen auf dem i war dann, dass er auch noch bar bezahlt hatte.

Betty öffnete die Schranktür im Wohnzimmer und registrierte, dass dort bereits ein Schlips und zwei Hemden hingen. Auch von TIGER, vermutlich im selben Laden gekauft. Auf dem Boden stand ein Paar neuer schwarzer Schuhe mit dem Eindruck Vass auf der Innensohle. Neben den Schuhen befand sich ein ­hoher, weicher Koffer mit Rädern. Er war fast so groß wie Betty. Eigentlich kannte sie diese Koffer nur aus dem Winter, wenn damit Snowboards transportiert wurden. Sie dachte einen Moment lang darüber nach, ob sie den Reißverschluss aufziehen sollte, drückte dann aber nur von außen gegen die Wand des Koffers. Der Stoff gab nach. Leer, jedenfalls war kein Snowboard darin. Neben dem Koffer lag etwas, das als Einziges im Schrank nicht neu aussah: eine rote Sporttasche mit dem Aufdruck des Osloer Ringerclubs.

Sie schloss die Schranktüren, ging zur Tür des Schlafzimmers und rief in den Raum hinein: »Herr Lae! Entschuldigung, Herr Lae?«

Die Dusche wurde abgedreht, gleich darauf tauchte ein Gesicht auf. Die nassen Haare waren nach hinten gestrichen und auf Kinn, Wangen und Augenbrauen war Rasierschaum.

»Ich habe Ihren Anzug in den Schrank gehängt. Mir wurde gesagt, dass ich einen Brief entgegennehmen, frankieren und zur Post bringen soll?«

»Oh, ja, danke. Geben Sie mir eine Minute?«

Betty trat ans Fenster des Zimmers. Bewunderte die Aussicht auf die Oper und den Fjord. Die neuen Hochhäuser, die dicht an dicht standen wie die Latten eines Zauns. Den Ekeberg. Das Postgirogebäude und das Rathaus. Und die Schienen, die aus dem ganzen Land kamen und wie ein Nervenbündel unter ihr im Osloer Bahnhof zusammenliefen. Dann fiel ihr Blick auf einen Führerschein, der auf dem großen Schreibtisch lag. Er gehörte nicht Lae. Daneben lagen eine Schere und ein Passfoto von Lae mit der dominierenden Brille, ein eckiges schwarzes Gestell, die ihr schon beim Einchecken aufgefallen war. Am hinteren Rand des Schreibtisches lagen zwei gleiche und allem Anschein nach neue Aktenkoffer. Aus einem ragte die Ecke einer Plastiktüte ­heraus. Sie konnte den Blick nicht davon lassen. Auf dem durchsichtigen, aber stumpfen Plastik befanden sich auf der Innenseite Spuren von etwas Weißem.

Sie ging zwei Schritte zurück, so dass sie ins Schlafzimmer blicken konnte. Die Tür zum Bad war aufgegangen, und sie sah den Rücken des Gastes, der vor dem Spiegel stand. Er hatte sich ein Handtuch um die Hüften geschlungen und konzentrierte sich aufs Rasieren. Also hatte sie ein bisschen Zeit.

Sie versuchte, den Koffer mit der Plastiktüte zu öffnen. Er war verschlossen.

Sie sah sich das Zahlenschloss an. Die kleinen Metallrollen zeigten 0999. Das Schloss des anderen Koffers war auf 1999 eingestellt. Hatten die beiden Koffer den gleichen Code? Dann konnte sie es mit 1999 probieren. Eine Jahreszahl, vielleicht ein Geburtsdatum. Oder der Song von Prince. Aber dann musste dieser andere Koffer offen sein.

Im Bad wurde jetzt das Wasser angedreht. Er spülte sich das Gesicht ab. Sie sollte es nicht tun.

Sie hob den Deckel des zweiten Koffers an, und ihr stockte der Atem.

Unzählige Geldbündel, bis unter den Rand des Koffers gestapelt.

Betty hörte Schritte im Schlafzimmer, klappte den Koffer schnell zu und war mit drei raschen Schritten wieder an der Tür. Ihr Herz hämmerte.

Er kam aus dem Schlafzimmer und lächelte sie an. Aber er wirkte verändert, vielleicht lag es daran, dass er seine Brille nicht trug. Oder an dem blutigen Papierschnipsel über dem einen Auge. Im selben Augenblick wurde ihr klar, was anders war. Er hatte sich die Augenbrauen abrasiert. Wieso das denn? Das machte doch niemand? Sah man mal von Bob Geldoff in The Wall ab. Aber der war ja auch verrückt. Spielte jedenfalls einen Verrückten. War der Mann, der vor ihr stand, auch verrückt? Aber Verrückte hatten keine Koffer voller Geld, die glaubten nur ­daran, solche Koffer zu haben.

Er zog die Schreibtischschublade auf, nahm einen braunen Umschlag heraus und reichte ihn Betty.

»Könnten Sie den noch heute auf die Post bringen?«

»Das kriegen wir schon hin«, sagte sie und hoffte, dass er ihr ihre Nervosität nicht ansah.

»Vielen, vielen Dank, Betty.«

Sie blinzelte zweimal. Natürlich, das Namensschild.

»Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Lae«, sagte sie lächelnd und legte die Hand auf die Klinke.

»Betty, warten Sie …«

Sie spürte, wie das Lächeln erstarrte. Er hatte gesehen, dass sie den Koffer geöffnet hatte, und würde sie jetzt …

»Es ist vielleicht üblich … äh … Trinkgeld für einen solchen Service zu geben?«

Sie atmete erleichtert aus. »Überhaupt nicht, Herr Lae, machen Sie sich deshalb keine Gedanken.«

Erst im Aufzug spürte sie, wie verschwitzt sie war. Warum konnte sie ihre Neugier nur nicht im Zaum halten? Sie konnte kaum jemanden erzählen, dass sie die Sachen ihrer Gäste durchwühlte. Und es war ja nicht verboten, einen Koffer voll Geld zu haben. Schon gar nicht, wenn man Polizist war. Denn auf dem braunen Umschlag stand: Polizeipräsidium, z. Hd. Simon Kefas, Grønlandsleiret 44.

Simon Kefas stand im Raum 323 und sah sich um.

»Delta hat den Raum also gestürmt?«, fragte er. »Und den, der unten im Bett lag, mitgenommen? Johnny … wie hieß er noch mal?«

»Puma«, sagte Martha. »Ich habe angerufen, weil ich dachte, dass Sie vielleicht …«

»Nein, ich habe damit wirklich nichts zu tun. Und Johnny wohnt hier mit …?«

»Er nennt sich Stig Berger.«

»Hm, und wo ist dieser Stig Berger jetzt?«

»Keine Ahnung. Das weiß niemand. Die Polizei hat schon alle befragt. Aber … wenn nicht Sie den Angriff angeordnet haben, wer ist dann dafür verantwortlich?«

»Keine Ahnung«, sagte Simon und öffnete den Schrank. »Jeder Delta-Einsatz muss vom Polizeipräsidenten genehmigt werden, fragen Sie den. Sind das Stig Bergers Kleider?«

»Soweit ich weiß.«

Er hatte das Gefühl, sie log ihn an und wusste ganz genau, dass es Stigs Sachen waren. Simon nahm die blauen Joggingschuhe, die am Boden des Schranks standen. Größe 43. Dann stellte er sie zurück, machte den Schrank zu und entdeckte das Bild, das daneben an die Wand geheftet war. Jetzt waren alle Zweifel ausgeräumt.

»Er heißt Sonny Lofthus«, sagte Simon.

»Was?«

»Der andere Mieter. Er heißt Sonny Lofthus, und das ist ein Bild seines Vaters, Ab Lofthus. Sein Vater war Polizist. Und der Sohn wurde ein Mörder, der bis jetzt sechs Personen auf dem Gewissen hat. Sie dürfen sich gerne beim Polizeipräsidenten beschweren, aber ich denke, wir können davon ausgehen, dass der Auftritt von Delta durchaus berechtigt war.«

Er sah, wie ihr Gesicht erstarrte und sich ihre Pupillen zusammenzogen, als wäre es auf einmal viel zu hell geworden. Sie ­waren hier einiges gewohnt, aber dass sie einen sechsfachen Mörder beherbergt hatten, musste auch für Martha ein Schock sein.

Er hockte sich hin und zog etwas unter dem Etagenbett hervor.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Eine Blendgranate«, sagte er und hielt ihr einen olivgrünen Gegenstand hin, der wie der Griff eines Fahrradlenkers aussah. »Sie macht einen grellen Lichtblitz und knallt dabei mit rund hundertundsiebzig Dezibel. Nicht direkt gefährlich, aber durch die Detonation sind die Menschen anschließend für ein paar Sekunden blind, taub, schwindelig und orientierungslos, so dass die Einsatzkräfte tun können, was sie tun müssen. Aber bei der hier haben sie den Sicherungsstift nicht gelöst, folglich ist sie nicht explodiert. So ist das Leben, stehen Menschen unter Druck, machen sie Fehler. Nicht wahr?«

Er sah noch einmal zum Schrank hinüber und blickte dann sie an. Aber ihre Augen strahlten Ruhe und Sicherheit aus, und er konnte nichts in ihnen erkennen.

»Ich muss zurück ins Krankenhaus«, sagte Simon. »Rufen Sie mich an, wenn er wieder auftaucht?«

»Fehlt Ihnen etwas?«

»Wahrscheinlich«, sagte Simon. »Meine Frau ist eingeliefert worden. Sie droht zu erblinden.«

Er sah auf seine Hände und hätte fast hinzugefügt: Genau wie ich.