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Sie versuchte, den Koffer mit der Plastiktüte zu öffnen. Er war verschlossen.

Sie sah sich das Zahlenschloss an. Die kleinen Metallrollen zeigten 0999. Das Schloss des anderen Koffers war auf 1999 eingestellt. Hatten die beiden Koffer den gleichen Code? Dann konnte sie es mit 1999 probieren. Eine Jahreszahl, vielleicht ein Geburtsdatum. Oder der Song von Prince. Aber dann musste dieser andere Koffer offen sein.

Im Bad wurde jetzt das Wasser angedreht. Er spülte sich das Gesicht ab. Sie sollte es nicht tun.

Sie hob den Deckel des zweiten Koffers an, und ihr stockte der Atem.

Unzählige Geldbündel, bis unter den Rand des Koffers gestapelt.

Betty hörte Schritte im Schlafzimmer, klappte den Koffer schnell zu und war mit drei raschen Schritten wieder an der Tür. Ihr Herz hämmerte.

Er kam aus dem Schlafzimmer und lächelte sie an. Aber er wirkte verändert, vielleicht lag es daran, dass er seine Brille nicht trug. Oder an dem blutigen Papierschnipsel über dem einen Auge. Im selben Augenblick wurde ihr klar, was anders war. Er hatte sich die Augenbrauen abrasiert. Wieso das denn? Das machte doch niemand? Sah man mal von Bob Geldoff in The Wall ab. Aber der war ja auch verrückt. Spielte jedenfalls einen Verrückten. War der Mann, der vor ihr stand, auch verrückt? Aber Verrückte hatten keine Koffer voller Geld, die glaubten nur ­daran, solche Koffer zu haben.

Er zog die Schreibtischschublade auf, nahm einen braunen Umschlag heraus und reichte ihn Betty.

»Könnten Sie den noch heute auf die Post bringen?«

»Das kriegen wir schon hin«, sagte sie und hoffte, dass er ihr ihre Nervosität nicht ansah.

»Vielen, vielen Dank, Betty.«

Sie blinzelte zweimal. Natürlich, das Namensschild.

»Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Lae«, sagte sie lächelnd und legte die Hand auf die Klinke.

»Betty, warten Sie …«

Sie spürte, wie das Lächeln erstarrte. Er hatte gesehen, dass sie den Koffer geöffnet hatte, und würde sie jetzt …

»Es ist vielleicht üblich … äh … Trinkgeld für einen solchen Service zu geben?«

Sie atmete erleichtert aus. »Überhaupt nicht, Herr Lae, machen Sie sich deshalb keine Gedanken.«

Erst im Aufzug spürte sie, wie verschwitzt sie war. Warum konnte sie ihre Neugier nur nicht im Zaum halten? Sie konnte kaum jemanden erzählen, dass sie die Sachen ihrer Gäste durchwühlte. Und es war ja nicht verboten, einen Koffer voll Geld zu haben. Schon gar nicht, wenn man Polizist war. Denn auf dem braunen Umschlag stand: Polizeipräsidium, z. Hd. Simon Kefas, Grønlandsleiret 44.

Simon Kefas stand im Raum 323 und sah sich um.

»Delta hat den Raum also gestürmt?«, fragte er. »Und den, der unten im Bett lag, mitgenommen? Johnny … wie hieß er noch mal?«

»Puma«, sagte Martha. »Ich habe angerufen, weil ich dachte, dass Sie vielleicht …«

»Nein, ich habe damit wirklich nichts zu tun. Und Johnny wohnt hier mit …?«

»Er nennt sich Stig Berger.«

»Hm, und wo ist dieser Stig Berger jetzt?«

»Keine Ahnung. Das weiß niemand. Die Polizei hat schon alle befragt. Aber … wenn nicht Sie den Angriff angeordnet haben, wer ist dann dafür verantwortlich?«

»Keine Ahnung«, sagte Simon und öffnete den Schrank. »Jeder Delta-Einsatz muss vom Polizeipräsidenten genehmigt werden, fragen Sie den. Sind das Stig Bergers Kleider?«

»Soweit ich weiß.«

Er hatte das Gefühl, sie log ihn an und wusste ganz genau, dass es Stigs Sachen waren. Simon nahm die blauen Joggingschuhe, die am Boden des Schranks standen. Größe 43. Dann stellte er sie zurück, machte den Schrank zu und entdeckte das Bild, das daneben an die Wand geheftet war. Jetzt waren alle Zweifel ausgeräumt.

»Er heißt Sonny Lofthus«, sagte Simon.

»Was?«

»Der andere Mieter. Er heißt Sonny Lofthus, und das ist ein Bild seines Vaters, Ab Lofthus. Sein Vater war Polizist. Und der Sohn wurde ein Mörder, der bis jetzt sechs Personen auf dem Gewissen hat. Sie dürfen sich gerne beim Polizeipräsidenten beschweren, aber ich denke, wir können davon ausgehen, dass der Auftritt von Delta durchaus berechtigt war.«

Er sah, wie ihr Gesicht erstarrte und sich ihre Pupillen zusammenzogen, als wäre es auf einmal viel zu hell geworden. Sie ­waren hier einiges gewohnt, aber dass sie einen sechsfachen Mörder beherbergt hatten, musste auch für Martha ein Schock sein.

Er hockte sich hin und zog etwas unter dem Etagenbett hervor.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Eine Blendgranate«, sagte er und hielt ihr einen olivgrünen Gegenstand hin, der wie der Griff eines Fahrradlenkers aussah. »Sie macht einen grellen Lichtblitz und knallt dabei mit rund hundertundsiebzig Dezibel. Nicht direkt gefährlich, aber durch die Detonation sind die Menschen anschließend für ein paar Sekunden blind, taub, schwindelig und orientierungslos, so dass die Einsatzkräfte tun können, was sie tun müssen. Aber bei der hier haben sie den Sicherungsstift nicht gelöst, folglich ist sie nicht explodiert. So ist das Leben, stehen Menschen unter Druck, machen sie Fehler. Nicht wahr?«

Er sah noch einmal zum Schrank hinüber und blickte dann sie an. Aber ihre Augen strahlten Ruhe und Sicherheit aus, und er konnte nichts in ihnen erkennen.

»Ich muss zurück ins Krankenhaus«, sagte Simon. »Rufen Sie mich an, wenn er wieder auftaucht?«

»Fehlt Ihnen etwas?«

»Wahrscheinlich«, sagte Simon. »Meine Frau ist eingeliefert worden. Sie droht zu erblinden.«

Er sah auf seine Hände und hätte fast hinzugefügt: Genau wie ich.

Kapitel 28

Hugo Nestor liebte das Vermont. Eine der wenigen Restaurant-Bar-Nachtclub-Kombinationen, die tatsächlich in allen drei ­Bereichen gelungen war. Die Klientel waren die Reichen und Schönen, die Reichen und Nicht-Schönen und die Nicht-Reichen, aber Schönen, eine Mischung aus Promis, mittelerfolgreichen Finanzleuten und Nachtarbeitern der Unterhaltungsbranche. Und – nicht zu vergessen – erfolgreichen Kriminellen. In den Neunzigern hatten hier die Tveita-Gang und andere Banden, die es auf Geldtransporte, Banken und Poststellen abgesehen hatten, verkehrt, ihre 6-Liter-Flaschen Dom Perignon getrunken und die besten Stripperinnen aus Kopenhagen einfliegen lassen, um auf den Séparée-Tischen ein bisschen Unterhaltung zu haben. Norwegischen Stripperinnen fehlte damals noch das gewisse Etwas, meinten sie. Sie hatten den Damen mit Strohhalmen das Kokain in alle nur erdenklichen Öffnungen geblasen, bevor sie selbst auf ähnliche Weise zugriffen, während die Kellner unablässig Austern, Périgord-Trüffel und Foie gras von Gänsen auftischten, die in etwa so behandelt worden waren, wie sie mit sich selbst verfuhren. Mit anderen Worten, das Vermont war ein Ort mit Stil und Tradition. Ein Ort, an dem Hugo Nestor und seine Leute jeden Abend an ihrem Séparée-Tisch sitzen und dabei zusehen konnten, wie die Welt da draußen langsam vor die Hunde ging. Ein Ort, an dem Geschäfte gemacht wurden und ­Finanzleute mit Kriminellen verkehren konnten, ohne dass die Polizeispitzel zu genau hinschauten.

Deshalb war die Anfrage des Mannes, der an ihrem Tisch saß, nicht ganz ungewöhnlich. Er war hereingekommen, hatte sich umgesehen und sich dann zielstrebig einen Weg durch die Menschenmenge gebahnt, bis er von Bo aufgehalten wurde, gerade als er über das rote Tau steigen wollte, das ihr Revier markierte. Nachdem er ein paar Worte mit Bo gewechselt hatte, war der zu Nestor gekommen und hatte ihm ins Ohr geflüstert:

»Er will ein asiatisches Mädchen. Er kommt im Auftrag eines Klienten, der gut bezahlt.«

Nestor legte den Kopf zur Seite und nippte an seinem Champagner. Einen der Aussprüche des Zwillings hatte er sich zu eigen gemacht: Money can buy you champagne. »Was meinst du, ist er ein Polizeispitzel?«

»Nein.«

»Würde ich auch sagen. Biete ihm einen Stuhl an.«

Der Kerl trug einen teuer aussehenden Anzug, ein frisch ge­bügeltes Hemd und einen Schlips. Helle Augenbrauen über einer markanten, exklusiven Brille. Nein, Moment, keine Augenbrauen.