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»Hm. Finden Sie, ich habe einen schlechten Atem, Kommissar Adel?«

»Nicht dass ich wüsste, aber wir haben ja auch nicht gerade …«

»Dann soll ich das nicht als Wink mit dem Zaunpfahl auffassen?«

Simon hielt drei Zahnbürsten hoch.

»Die sehen gebraucht aus«, sagte Kari. »Von wem haben Sie die?«

»Gute Frage«, sagte Simon, sah in den Umschlag und fischte einen Zettel mit dem Logo des Radisson Hotels heraus. Ein Absender fehlte. Auf dem Blatt war nur eine kurze handschrift­liche Notiz:

Überprüfen Sie die DNA. S.

Er reichte Kari das Blatt und die Zahnbürsten.

»Irgendein Verrückter«, sagte Kari. »Die haben in der Rechtsmedizin schon genug mit den Morden zu tun, da müssen die nicht auch noch …«

»Bringen Sie die hin«, sagte Simon.

»Was?«

»Die sind von ihm.«

»Wem?«

»S. Das ist Sonny.«

»Woher wissen Sie das …?«

»Lassen Sie das vorrangig behandeln.«

Kari sah ihn an. Simons Telefon klingelte.

»In Ordnung«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.

Sie war gerade am Aufzug angekommen, als Simon neben sie trat. Er hatte sich den Mantel angezogen.

»Aber erst fahren wir noch woandershin«, sagte er.

»Aha?«

»Das war Åsmund Bjørnstad. Es gibt schon wieder eine Leiche.«

Das hohle Flöten eines Raufußhuhns schallte aus dem Wald zu ihnen herüber.

Åsmund Bjørnstad hatte seine Arroganz vollständig abgelegt. Er war blass. Schon am Telefon hatte er Klartext geredet: »Wir brauchen Hilfe, Kefas.«

Simon stand mit Kari neben dem Beamten des Kriminalamts und sah durch das Zwingergitter auf die Reste der Leiche, die anhand einiger Kreditkarten inzwischen als Hugo Nestor identi­fiziert worden war. Gewissheit würden sie allerdings erst haben, wenn die Zähne mit den Röntgenbildern früherer Zahnarztuntersuchungen abgeglichen worden waren. Dass der Tote zum Zahnarzt gegangen war, verrieten Simon die Füllungen in dem freigelegten Kiefer. Die beiden Polizisten der Hundepatrouille hatten die Argentinischen Doggen weggebracht und eine ein­fache Erklärung für den Zustand der Leiche: »Die Hunde waren hungrig. Die sind nicht ausreichend gefüttert worden.«

»Nestor war der Chef von Kalle Farrisen«, sagte Simon.

»Ich weiß«, stöhnte Bjørnstad. »Hier ist die Hölle los, wenn die Presse davon Wind bekommt.«

»Wie haben Sie Lae gefunden?«

»Auf dem Hof waren zwei Streifenwagen. Sie haben nach einem Telefon gesucht«, sagte Bjørnstad.

»Ja, die habe ich rausgeschickt«, sagte Kari. »Jemand hatte uns eine SMS geschickt.«

»Zuerst haben sie Laes Handy gefunden«, sagte Bjørnstad. »Es lag oben auf dem Tor, als hätte man es da hingelegt, damit es gefunden wird. Dann haben sie das Haus durchsucht, Lae aber nicht gefunden. Als sie schon wieder fahren wollte, hat einer der Hunde angeschlagen und wollte in den Wald. Und da haben sie … das hier gefunden.« Er breitete die Arme aus.

»Lae?«, fragte Simon und nickte in Richtung des zitternden Mannes, der in eine Decke gehüllt hinter ihnen auf einem Baumstumpf saß.

»Er sagt, der Täter habe ihn mit einer Pistole bedroht, ihn hier eingeschlossen und ihm Portemonnaie und Handy abgenommen. Lae war anderthalb Tage eingesperrt. Er hat alles mit angesehen.«

»Und was sagt er?«

»Der ist wirklich fertig, er hat eine umfassende Aussage gemacht. Dass Nestor sein Kunde war und er ihm verbotene Hunde verkauft hat. Aber den Täter konnte er nicht richtig beschreiben. Es ist ja bekannt, dass Zeugen sich nicht an die Gesichter von Menschen erinnern können, die sie bedroht haben.«

»Oh doch, sie erinnern sich«, sagte Simon. »Und zwar für den Rest ihres Lebens. Aber sie sehen sie nicht so, wie wir anderen sie sehen. Deshalb sind die Beschreibungen falsch. Warten Sie hier.«

Simon ging zu dem Mann hinüber und setzte sich neben ihn auf einen Baumstumpf.

»Wie hat er ausgesehen?«, fragte Simon.

»Ich habe Ihnen doch schon eine Beschreibung gegeben …«

»Kann es dieser Mann gewesen sein?«, fragte Simon, zog ein Bild aus der Jackeninnentasche und zeigte es ihm. »Versuchen Sie, ihn sich ohne Bart und lange Haare vorzustellen.«

Der Mann sah sich das Bild lange an. Dann nickte er langsam. »Der Blick. Er hatte diesen Blick. Der wirkte so unschuldig.«

»Sicher?«

»Ganz sicher.«

»Danke!«

»Und er hat sich die ganze Zeit über bedankt, und als die Hunde Nestor angefallen haben, hat er geweint.«

Simon steckte das Bild wieder in seine Tasche. »Eine letzte Frage. Sie haben der Polizei gesagt, dass er Sie mit einer Pistole bedroht hat. In welcher Hand hielt er die Pistole?«

Der Mann blinzelte zweimal, als hätte er über diese Frage noch nie nachgedacht. »In der linken. Der war Linkshänder.«

Simon stand auf und ging zu Bjørnstad und Kari. »Es war Sonny Lofthus.«

»Wer?«, fragte Åsmund Bjørnstad.

Simon sah den Kommissar lange an. »Haben Sie nicht den Delta-Einsatz im Ila durchgeführt?«

Bjørnstad schüttelte den Kopf.

»Egal«, sagte Simon und nahm die Fotografie aus der Tasche. »Wir müssen eine Fahndung rausgeben, damit die Bevölkerung uns helfen kann. Die Nachrichtenredaktionen von NRK und TV2 brauchen dieses Foto.«

»Ich bezweifle, dass ihn jemand anhand dieses Fotos wiedererkennt.«

»Dann sollten sie ihm mit Hilfe von Photoshop die Haare schneiden und den Bart abrasieren, was weiß ich. Wie schnell kann das gehen?«

»Sie werden sich gleich darum kümmern, bestimmt«, sagte Bjørnstad.

»Wenn es noch in die Morgensendungen soll, muss es in einer Viertelstunde da sein«, sagte Kari, nahm das Handy und aktivierte die Kamerafunktion.

»Halten Sie das Bild hoch und wackeln Sie nicht. Wen kennen Sie bei NRK? Wem soll ich das schicken?«

Morgan Askøy knibbelte vorsichtig an einem trockenen Wundrand auf seinem Handrücken, doch dann bremste der Bus ganz plötzlich, so dass Morgan den Schorf abriss und ein kleiner Tropfen Blut hervorquoll. Er sah schnell weg, er konnte kein Blut sehen.

Morgan stieg am Staten aus, wo er jetzt seit zwei Monaten arbeitete. Er folgte einer Gruppe anderer Gefängnisangestellter, als ein Mann in Wärteruniform zu ihm aufschloss.

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen«, antwortete Morgan automatisch, sah ihn an, wusste aber nicht, wo er ihn hintun sollte. Trotzdem gingen sie weiter nebeneinanderher, als würden sie sich kennen. Vielleicht suchte er auch nur Kontakt.

»Sie sind nicht in der A-Abteilung«, sagte der Mann. »Oder sind Sie neu?«

»Ich bin in der B«, sagte Morgan, »seit zwei Monaten.«

»Ach so.«

Der Mann war jünger als die meisten anderen Uniformträger. Eigentlich gingen nur ältere Semester in Uniform nach Hause, als wären sie stolz darauf. Wie auch ihr Chef, Franck. Morgan wäre sich mit Uniform im Bus wie ein Idiot vorgekommen. Sicher hätten ihn dann alle angestarrt, und vielleicht wäre er sogar gefragt worden, wo er denn arbeitete. Im Staten. Im Gefängnis. Scheiße. Er warf einen Blick auf die Ausweiskarte des Mannes in Uniform. Sørensen.

Sie gingen Seite an Seite am Wachhäuschen vorbei, und Morgan nickte dem Personal zu.

Als sie sich dem Eingang näherten, nahm der Mann ein Handy aus der Tasche und blieb etwas zurück, vielleicht wollte er eine SMS schicken.

Die Tür war vor ihnen ins Schloss gefallen, so dass Morgan seinen Schlüssel herausholen musste. Er schloss auf. »Danke«, sagte Sørensen und schlüpfte vor ihm durch die Tür. Morgan folgte ihm und bog in Richtung Umkleide ab, während der Mann zusammen mit den anderen in die Schleuse ging.

Betty zog sich die Schuhe aus und ließ sich ins Bett fallen. Was für eine Nachtschicht! Sie war total fertig, war sich jedoch sicher, dass sie vermutlich trotzdem nicht gleich einschlafen würde. Versuchen musste sie es aber trotzdem. Und sollte es ihr gelingen, musste sie vorher die Schuldgefühle loswerden, dass sie der Polizei nicht gesagt hatte, was in Suite 4 vorgefallen war. Gemeinsam mit dem Sicherheitsassistenten hatte Betty überprüft, dass nichts kaputt oder gestohlen war. Dann räumte sie etwas auf und fand im Mülleimer eine benutzte Einmalspritze, als sie die halbe Zitrone wegwerfen wollte. Irgendwie brachte ihr Kopf gleich die seltsame Farbe der Zitrone mit der Spritze in Verbindung, und als Betty mit den Fingern über die Schale der Zitrone strich, entdeckte sie mehrere kleine Löcher. Sie drückte sich aus der Zitrone einen Tropfen in die Hand. Der Saft war trüb, als enthielte er Kalk. Sie probierte ihn sogar, ganz vorsichtig und nur mit der Zungenspitze, und schmeckte neben der Zitrussäure etwas Bitteres, Medizinartiges heraus. Sie musste einen Entschluss fassen. Gab es irgendeine Vorschrift, die besagte, dass Gäste keine komisch schmeckenden Zitronen auf ihrem Zimmer haben durften? Oder Einmalspritzen? Vielleicht litten sie ja an Diabetes oder anderen Krankheiten? Oder dass sie mit Besuchern auf ­ihren Zimmern keine seltsamen Spielchen spielen durften? Schließlich hatte sie den Inhalt des Mülleimers mit nach unten zur Rezeption genommen, ihn weggeworfen und dann einen kurzen, etwas abgeschwächten Bericht über den Lärm aus Suite 4 und den an das Klo gefesselten Mann geschrieben. Was hätte sie darüber hinaus noch tun sollen?