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Kari verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts.

»Iver Iversen junior«, stellte sich der junge Mann vor, der sie am Empfang abholte. Er begrüßte erst Simon und dann Kari mit einem festen Händedruck. »Sie haben einen Termin mit meinem Vater.«

Der junge Mann mit der kecken Frisur wirkte auf Simon, als würde er gerne lachen und wäre jederzeit zu einem Spaß bereit. Ganz offensichtlich waren der Schmerz und die Trauer, die jetzt in seinem Blick lagen, vollkommen neu für ihn. Er wirkte in dem großen Büro deplatziert und verloren.

»Hier entlang, bitte.« Er schien von seinem Vater über den Besuch der Polizei informiert worden zu sein und nahm wie sein alter Herr an, dass es um die Ermittlungen im Mordfall seiner Mutter ging.

Vom Büro aus sah man über den alten Westbahnhof und den Fjord. Neben der Tür stand eine Glasvitrine mit dem detailgetreuen Modell eines Wolkenkratzers in Form einer Colaflasche.

Der Vater sah wie eine ältere Ausgabe seines Sohns aus. Der gleiche ordentliche Pony, glatte, gesunde Haut und helle, etwas trübe Augen. Großgewachsen, gerade Haltung, ein festes Kinn und ein direkter Blick. Er wirkte freundlich und sah Simon mit fast jugendlicher Herausforderung an. Wie selbstsicher diese ­Typen aus dem Osloer Westen wirkten, dachte der Kommissar, als wären sie alle in derselben Form gegossen worden, egal ob Widerstandskämpfer, Polarforscher, Kontiki-Besatzung oder Polizeipräsidenten.

Iver senior bat Simon, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst hinter seinen Schreibtisch. Hinter ihm hing ein altes Schwarz-weißfoto von einem herrschaftlichen Stadthaus. Eindeutig Kristiania im 19. Jahrhundert, aber Simon konnte das Bild nicht wirklich zuordnen.

Simon wartete, bis der Sohn das Büro verlassen hatte, und kam dann gleich zur Sache.

»Vor zwölf Jahren wurde dieses Mädchen hier tot in einem Hinterhof im Osloer Viertel Kvadraturen gefunden. So sah sie aus, als wir sie fanden.«

Simon legte das Foto vor Iversen auf den Tisch und beobachtete genau das Gesicht des Maklers, als dieser das Bild studierte. Keine größere Reaktion.

»Ein junger Mann namens Sonny Lofthus hat damals den Mord gestanden«, sagte Simon.

»Ja und?« Noch immer keine Reaktion.

»Das Mädchen war schwanger.«

Reaktion. Er blähte die Nasenlöcher, und seine Pupillen weiteten sich.

Simon wartete ein paar Sekunden, eher er die zweite Stufe der Rakete zündete.

»Die Ergebnisse der DNA-Proben, die wir von den Zahnbürsten in Ihrem Haus genommen haben, zeigen, dass jemand aus Ihrem Hausstand der Vater des ungeborenen Kindes ist.«

Die Halsschlagader schwoll an, die Gesichtsfarbe änderte sich, und seine Augen blinzelten nun unkontrolliert.

»Sie benutzen die rote Zahnbürste, nicht wahr, Herr Iversen?«

»W… woher wissen …?«

Simon lächelte kurz und warf einen Blick auf seine Hände. »Ich habe eine junge Kollegin, sie wartet vorne am Empfang. Ihr Kopf ist ein bisschen flinker als meiner. Sie ist zu der einfachen, aber logischen Schlussfolgerung gelangt, dass bei einer Ähnlichkeit der DNA zu dem Fötus auf nur zwei von drei Zahnbürsten nicht der Sohn des Hauses der Vater sein kann. Dann gäbe es nämlich eine Ähnlichkeit mit allen in der Familie. Es kommt also nur das andere männliche Mitglied der Familie in Frage. Sie.«

Iver Iversen wurde blass, und seine gesunde Hautfarbe verschwand schließlich ganz.

»Sie werden bestimmt das Gleiche erleben, wenn Sie erst in meinem Alter sind«, sagte Simon tröstend. »Die Jungen überholen uns beim Denken.«

»Aber …«

»Nun, das ist das Problem mit dieser DNA. Da gibt es kaum Spielraum für ein Aber …«

Iversen öffnete den Mund und versuchte sich gewohnheitsgemäß an einem aufgesetzten Lächeln. Normalerweise machte er, wenn ein Gespräch an einen derart schwierigen Punkt kam, einen erlösenden, entwaffnenden Scherz, um dem Ganzen die Spitze zu nehmen, das Bedrohliche, aber jetzt gelang ihm das nicht. Sein Kopf war leer.

»Jetzt, nachdem dieser Bummelzug …«, der Polizist tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, »… etwas mehr Zeit zum Nachdenken hatte, bin auch ich ein Stück weitergekommen. Als Erstes war da natürlich der Gedanke, dass ein verheirateter Mann wie Sie selbstverständlich das beste Motiv der Welt gehabt hätte, eine schwangere Frau aus dem Weg zu räumen, die ihm nur Schwierigkeiten machen konnte. Nicht wahr?«

Iversen antwortete nicht, spürte aber, dass sein Adamsapfel für ihn das Wort ergriffen hatte.

»Damals haben natürlich auch die Zeitungen das Bild der jungen Frau abgedruckt. Die Polizei wollte wissen, ob jemand die Tote identifizieren konnte. Und wenn ihr Liebhaber und Vater ihres Kindes in einer solchen Situation schweigt und der Polizei nicht einmal einen anonymen Tipp gibt, bestätigt das natürlich einen gewissen Verdacht. Meinen Sie nicht auch?«

»Ich wusste nicht …«, begann Iversen, hielt dann aber inne. Bereute es. Und bereute wiederum, dass seine Reue so deutlich zu erkennen war.

»Sie wussten nicht, dass sie schwanger war?«, fragte der Polizist.

»Nein!«, sagte Iversen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich meine, ich wusste … ich weiß nichts davon. Ich würde jetzt gerne meinen Anwalt anrufen.«

»Sie müssen etwas darüber wissen. Aber ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, dass Sie nicht alles wissen. Ich glaube, Ihre Frau Agnete wusste alles. Nicht wahr?«

Kefas. Hauptkommissar, hatte er sich nicht so vorgestellt? Iver Iversen griff zum Hörer seines Telefons. »Ich glaube, Sie haben nicht einen einzigen Beweis, und ich denke, dass dieses Treffen jetzt beendet ist, Herr Kefas.«

»Was Ersteres angeht, haben Sie recht. Beim zweiten Punkt irren Sie sich hingegen. Dieses Treffen ist nicht beendet. Sie wissen nämlich ganz genau, welche Brücken Sie einreißen, wenn Sie jetzt dieses Telefonat führen. Die Polizei hat keine Beweise gegen Ihre Frau, wohl aber derjenige, der sie erschossen hat.«

»Und woher soll er die haben?«

»Weil er damals der Sündenbock war, und weil er überdies seit zwölf Jahren als Beichtvater aller Kriminellen hier in der Stadt arbeitet. Er weiß alles.« Kefas beugte sich auf seinem Stuhl vor und klopfte mit dem Zeigefinger bei jeder Silbe auf die Tischplatte: »Er weiß, dass Kalle Farrisen dieses Mädchen getötet hat und dass dieser Mord im Auftrag von Agnete Iversen geschah. Er weiß das, weil er selbst für diesen Mord gebüßt hat. Die Tatsache, dass er nichts gegen Sie unternommen hat, ist der Grund, weshalb ich an Ihre Unschuld glaube. Der einzige Grund. Aber greifen Sie ruhig zum Telefon, dann machen wir alles streng nach Vorschrift. Dann verhaften wir Sie unter dem Verdacht der Beihilfe zum Mord, sagen der Presse alles, was wir über Sie und das Mädchen wissen, und unterrichten Ihre Geschäftskontakte darüber, dass Sie wohl eine Weile unabkömmlich sind. Natürlich werden wir auch Ihrem Sohn sagen müssen, dass … ja, was sollen wir Ihrem Sohn sagen?«

Was dem Sohn sagen? Simon wartete. Ließ die Frage einsinken, sich festsetzen. Sie war wichtig für das, was folgen sollte. Er musste Iversen Zeit geben, die ganze Dimension zu erkennen, die Konsequenzen, damit er für Alternativen offen sein konnte, die ihm noch vor zwei Minuten vollkommen abwegig erschienen waren. Genau wie Simon, deshalb war er schließlich hier.

Simon sah Iversens Hand fallen und hörte seine unsichere, heisere Stimme: »Was wollen Sie?«

Simon richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Sie sagen mir jetzt alles, was Sie wissen. Wenn ich Ihnen glaube, muss nicht unbedingt etwas geschehen. Agnete hat ihre Strafe ja bereits bekommen.«

»Ihre Strafe …!« Die Augen des Witwers blitzten auf, erloschen aber wieder, als sie Simons kühlem Blick begegneten.

»Okay. Agnete und ich … unsere Ehe war nicht so gut. Nicht in dieser Hinsicht. Ein Kontaktmann von mir hatte Mädchen. Asia­tische Mädchen. So bin ich Mai begegnet. Sie … sie hatte etwas, das ich brauchte. Es war nicht ihre Jugend, nicht ihre Unschuld, das alles war mir egal … sie strahlte eine Einsamkeit aus, wie ich sie von mir selber kannte.«