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Martha schien wirklich in sich zu gehen, ehe sie den Kopf schüttelte.

»Hm. Wissen Sie etwas über seine weiteren Pläne?«

»Er wollte wirklich Autofahren lernen.«

Simon seufzte und strich sich das Haar glatt. »Es ist Ihnen doch bewusst, dass Sie mit einer Anklage rechnen müssen, wenn Sie ihm helfen oder uns etwas vorenthalten?«

»Warum sollte ich das tun?«

Simon sah sie schweigend an. Sie wollte also bald heiraten. Warum sah sie dann so unglücklich aus?

»Na dann«, sagte er und stand auf.

Sie blieb sitzen und starrte auf ihren Schoß.

»Nur eins«, sagte sie.

»Ja?«

»Glauben auch Sie, dass er der kranke Mörder ist, für den ihn alle halten?«

Simon verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Nein«, sagte er.

»Nein?«

»Er ist nicht krank. Er bestraft Menschen. Er ist auf einer Art Rachefeldzug.«

»Aber Rache wofür?«

»Vermutlich geht es darum, dass sein Vater ein Polizist war, dem nachgesagt wurde, korrupt zu sein.«

»Er bestraft die Leute, sagen Sie …« Sie senkte die Stimme. »Ist die Strafe gerecht?«

Simon zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber er nimmt auf jeden Fall Rücksicht.«

»Rücksicht?«

»Er ist beim Gefängnisleiter am Arbeitsplatz, in seinem Büro aufgekreuzt. Das war verdammt dreist, und er hätte viel weniger Probleme gehabt, wenn er bei Franck zu Hause aufgekreuzt wäre.«

»Aber?«

»Aber dann wären auch Francks Frau und die Kinder in die Schusslinie geraten.«

»Unschuldige. Er will keine Unschuldigen treffen.«

Simon nickte langsam. Sah, dass in ihren Augen etwas vor­gegangen war. Wieder ein Funken glühte. Hoffnung. War das so einfach? War sie verliebt? Simon streckte sich. Sah zu der Altartafel auf, die den Erlöser am Kreuz zeigte. Dann schloss er die Augen und öffnete sie wieder. Verdammt. Das alles war eine verdammte Scheiße.

»Wissen Sie, was sein Vater, Ab, immer gesagt hat?«, fragte er und zog sich die Hose etwas hoch. »Er meinte, die Zeit der Gnade sei vorbei und der Tag des Jüngsten Gerichts längst angebrochen. Nur müssten wir diese Arbeit machen, da der Messias sich allem Anschein nach verspätet. Es gibt außer Sonny niemanden, der sie bestrafen kann, Martha. Die Osloer Polizei ist durch und durch korrupt, die schützt die Banditen. Ich glaube, Sonny tut das, weil er glaubt, es seinem Vater schuldig zu sein. Weil sein Vater für die Gerechtigkeit gestorben ist. Eine Gerechtigkeit, die über dem Gesetz steht.«

Er sah die andere Frau vor dem Beichtstuhl leise mit einem Pfarrer diskutieren.

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Martha.

»Ich? Ich verkörpere das Gesetz. Und deshalb muss ich Sonny dingfest machen. So einfach ist das.«

»Und diese Frau, Agnete Iversen, was hat die für ein Verbrechen begangen?«

»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich habe gelesen, dass ihr Schmuck gestohlen wurde.«

»Ja?«

»Waren dabei auch Perlenohrringe?«

»Das weiß ich nicht. Ist das wichtig?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ist es nicht. Ich denk noch mal darüber nach, ob mir was einfällt, was für Sie hilfreich sein könnte.«

»Gut«, sagte Simon und knöpfte sich die Jacke zu. Die harten Absätze näherten sich. »Wie ich sehe, gibt es bei Ihnen so einiges, worüber Sie nachdenken müssen.«

Martha sah rasch zu ihm auf.

»Bis zum nächsten Mal, Martha.«

Als Simon aus der Kirche trat, klingelte sein Handy. Er sah aufs Display. Es war eine Nummer aus Drammen.

»Kefas.«

»Hier ist Henrik Westad.«

Der Polizist, der den Mord an der Reedersfrau untersuchte.

»Ich bin in der Kardiologie des Buskeruder Zentralkrankenhauses.«

Simon kannte die Fortsetzung bereits.

»Leif Krognæss, der Zeuge mit dem Herzfehler. Sie dachten, er wäre außer Gefahr, aber …«

»Er ist ganz plötzlich gestorben«, sagte Simon, seufzte und drückte Zeigefinger und Daumen auf den Nasenrücken. »Er war allein im Zimmer, als es passierte. Und die Obduktion wird nichts Auffälliges ergeben. Und Sie rufen mich an, weil Sie nicht der Einzige sein wollen, der heute Nacht nicht schlafen kann.«

Keine Antwort von Westad.

Simon steckte das Telefon in seine Tasche. Der Wind hatte ­zugenommen, und er sah zu dem Himmel zwischen den Häuser­dächern auf. Er konnte es noch nicht sehen, spürte es aber deutlich an seinen zunehmenden Kopfschmerzen. Ein Tiefdruck­gebiet war im Anmarsch.

Das Motorrad, das vor Rover stand, sollte bald schon von den ­Toten wiederauferstehen. Es war eine Harley-Davidson Heritage Softtail, Baujahr 1989, mit einem großen Vorderrad, wie Rover es liebte. Als Rover das Motorrad bekommen hatte, war die 1340-ccm-Maschine in einem bedauernswerten Zustand gewesen, da sein Besitzer sie nicht mit der Geduld und Sorgfalt behandelt hatte, die eine H-D im Gegensatz zu ihren etwas robusteren ­japanischen Vettern brauchte. Rover hatte die Kurbelwelle, die Radlager und die Kolbenringe ersetzt und die Ventile geschliffen. Aus dem trägen 43-PS-Motorrad war so eine 1700-ccm-­Maschine mit 119 PS geworden. Rover wischte sich gerade die ­öligen Finger an der Kathedrale ab, die auf seinen Unterarm ­tätowiert war, als er merkte, dass sich das Licht veränderte. Sein erster Gedanke galt dem Wetter. Es sollten im Laufe des ­Tages Wolken aufziehen. Doch als er aufblickte, sah er den Schatten und die sich im offenen Garagentor abzeichnende Silhouette.

»Ja?«, rief Rover und wischte sich die Hände weiter ab.

Der Mann kam lautlos wie ein Raubtier auf ihn zu. Rover kalkulierte kurz, wie weit es bis zur nächsten Waffe war. Zu weit. Aber dann sollte das eben so sein. Mit diesem Leben war er fertig. Es war Bullshit, dass es schier unmöglich war, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in sein altes Leben zurückzukehren. Man musste es nur wollen. Ganz einfach. Was man wirklich wollte, schaffte man auch. War dieser Wille aber nur eine Art Selbstbetrug, um sich in ein besseres Licht zu rücken, steckte man im Handumdrehen wieder in der Scheiße.

Der Mann war jetzt so nah, dass Rover sein Gesicht erkennen konnte. War das nicht …?

»Hallo, Rover.«

Er war es.

Er streckte ihm eine vergilbte Visitenkarte von Rovers Motorradwerkstatt entgegen.

»Die Adresse stimmte. Du hast gesagt, du könntest mir eine Uzi besorgen?«

Rover starrte ihn an und wischte sich weiter die Hände ab. Er hatte Zeitung gelesen. Die Bilder im Fernsehen gesehen. Und jetzt starrte er nicht den jungen Mann aus der Zelle im Staten an, sondern seine eigene Zukunft. Die Zukunft, die er sich ausgemalt hatte.

»Du hast Nestor ausgeschaltet«, sagte Rover und zog einen Lappen zwischen seinen Fingern durch.

Der junge Mann antwortete nicht.

Rover schüttelte den Kopf. »Das bedeutet, dass jetzt nicht nur die Polizei hinter dir her ist, sondern auch der Zwilling.«

»Ich weiß, dass ich in Schwierigkeiten stecke«, sagte der Mann. »Ich kann gleich wieder gehen, wenn dir das lieber ist.«

Vergebung. Hoffnung. Eine weiße Weste. Ein neuer Start. Die meisten machten das kaputt, leisteten sich immer wieder die gleichen Fehler und fanden ständig einen Vorwand, alles an die Wand zu fahren. Sie wussten es selbst nicht, gaben sich Mühe, hatten aber verloren, bevor sie überhaupt aus den Startlöchern gekommen waren. Weil sie nicht wirklich wollten. Aber Rover wollte. Daran sollte es nicht scheitern. Er war jetzt stärker. Klüger. Aber wer aufrecht ging, riskierte natürlich auch, auf die Schnauze zu fliegen.

»Lass uns das Garagentor zumachen«, sagte Rover. »Ich glaube, es gibt Regen.«

Kapitel 34

Regen hämmerte gegen die Windschutzscheibe, als Simon den Zündschlüssel abzog und vom Parkplatz zum Eingang des Krankenhauses spurten wollte. Direkt vor seinem Auto stand ein blonder Mann in einer Art Frack. Der Regen spritzte von der Motorhaube hoch, so dass Simon ihn nicht richtig erkennen konnte. Dann wurde die Tür auf der Fahrerseite geöffnet, und ein anderer, ein dunkelhaariger Mann bat ihn mitzukommen. Simon sah auf die Uhr des Armaturenbretts. Vier. Zwei Stunden vor Ablauf der Frist.