»Stimmt«, sagte Pelle und sah in den Rückspiegel. »Da haben Sie wirklich recht.«
In der Regel sorgte er dafür, dass die Kunden redeten. Er mochte es, wenn er während der kurzen Fahrt an ihrem Leben teilhaben konnte. Am Familienleben mit Frau und Kindern. Arbeit und Hauskredit. Sich die großen und kleinen Freuden und Sorgen einer Familie für einen Moment auszuborgen und nicht über sich selbst reden zu müssen, wie es so viele Taxifahrer taten. Irgendwie war auf seltsame Weise eine Art Vertrautheit zwischen ihnen entstanden, ja, er mochte es richtiggehend, mit diesem jungen Mann zu reden.
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Pelle. »Haben Sie die Richtige schon gefunden?«
Der junge Mann schüttelte lächelnd den Kopf.
»Oh? Niemanden, bei dem Ihr Herz schneller schlägt?«
Der Junge nickte.
»Doch! Wie schön, das ist sicher gut für Sie beide.«
Der Kopf des Jungen bewegte sich wieder in die andere Richtung.
»Nein? Sagen Sie nicht, dass die Frau Sie nicht will? Sie haben nicht gerade einen guten Eindruck gemacht, als Sie damals an die Hauswand gekotzt haben, aber jetzt … in diesem Anzug …«
»Danke«, sagte der Mann. »Aber ich fürchte, ich muss sie mir aus dem Kopf schlagen.«
»Warum? Haben Sie ihr gesagt, dass Sie sie lieben?«
»Nein, sollte man das tun?«
»Immer, am besten mehrmals täglich. Stellen Sie sich das wie Sauerstoff vor, der verliert auch nicht seinen guten Geschmack. Ich liebe dich, ich liebe dich, versuchen Sie es mal, dann verstehen Sie, was ich meine.«
Auf dem Rücksitz blieb es für eine Weile still, dann erklang ein Räuspern.
»Woher … weiß man, ob jemand einen liebt, Pelle?«
»Man weiß es einfach. Es ist die Summe all der kleinen Dinge, die man nicht greifen kann. Die Liebe umschließt einen wie eine Dampfdusche. Sie sehen die einzelnen Tropfen nicht, aber Ihnen wird warm. Und Sie werden nass und sauber.« Pelle lachte, überrascht und fast ein bisschen stolz auf die eigenen Worte.
»Und Sie duschen noch immer in ihrer Liebe und sagen ihr jeden Tag, dass Sie sie lieben?«
Pelle hatte das Gefühl, dass diese Fragen nicht spontan waren, sie klangen, als hätte dieser Mann sich vorgenommen, ihn das alles zu fragen. Vielleicht hatte es mit dem Bild von ihm und seiner Frau zu tun, das er ja auch schon auf einer der früheren Fahrten gesehen haben konnte.
»Oh ja«, sagte Pelle und spürte, dass er etwas im Hals hatte, irgendetwas saß quer. Er hustete hart und schaltete das Radio ein.
Die Fahrt nach Ullern dauerte eine Viertelstunde. Der junge Mann nannte Pelle eine Adresse in einer der Straßen, die in Kurven nach oben in Richtung Ullernåsen führten. Die Holzvillen dort erinnerten eher an Forts als an Einfamilienhäuser. Der Asphalt war nach dem Regen bereits wieder getrocknet.
»Halten Sie hier bitte an.«
»Aber die Einfahrt ist da vorne.«
»Ist schon gut hier.«
Pelle fuhr an den Straßenrand. Das Haus war von einer hohen weißen Mauer umgeben, auf der Glassplitter glänzten. Die riesige zweigeschossige Villa thronte oben in einem weitläufigen Garten. Von der Terrasse vor dem Haus war Musik zu hören, und in allen Fenstern brannte Licht. Auch der Garten war hell erleuchtet. Vor der Einfahrt standen zwei kräftige, breitschultrige Männer in schwarzen Anzügen, der eine hielt einen großen weißen Hund an der Leine.
»Wollen Sie zu einem Fest?«, fragte Pelle und rieb sich den schmerzenden Fuß. Manchmal meldeten sich diese Schmerzen ganz unvermittelt.
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Hier würde mich wohl niemand einladen.«
»Kennen Sie die Leute, die hier wohnen?«
»Nein, aber ich habe die Adresse erfahren, als ich im Gefängnis saß. Der Zwilling. Haben Sie schon mal von ihm gehört?«
»Nein«, sagte Pelle. »Aber da Sie ihn nicht kennen, kann ich ja sagen, dass ich es nicht richtig finde, wenn manche Menschen so viel Geld haben. Sehen Sie sich mal dieses Haus an! Mann, wir sind in Norwegen und nicht in den USA oder in Saudi-Arabien. Wir hier oben auf den kargen Felsen im Norden hatten immer etwas, was uns von den anderen Ländern unterschieden hat. Eine Art Gleichheit. Eine Art Gerechtigkeit. Und jetzt sind wir im Begriff, uns all das selbst zu nehmen.«
Aus dem Garten war Hundegebell zu hören.
»Ich glaube, Sie sind ein kluger Mann, Pelle.«
»Ach, ich weiß nicht. Warum waren Sie im Gefängnis?«
»Um Frieden zu finden.«
Pelle betrachtete das Gesicht des Mannes im Spiegel. Irgendwie kam es ihm so vor, als hätte er dieses Gesicht schon einmal woanders gesehen, nicht nur hier in diesem Taxi.
»Lassen Sie uns hier wegfahren«, sagte der Mann.
Als Pelle wieder nach vorne sah, bemerkte er, dass der Mann mit dem Hund auf sie zukam. Beide hatten den Blick auf das Auto gerichtet und waren so mit Muskeln bepackt, dass sie kaum geradeaus laufen konnten.
»Okay«, sagte Pelle und setzte den Blinker. »Wohin?«
»Haben Sie sich von ihr verabschiedet?«
»Was?«
»Von Ihrer Frau.«
Pelle blinzelte. Er sah, dass sich der Mann und der Hund näherten. Die Frage hatte ihn wie ein Faustschlag in den Magen getroffen. Er warf noch einmal einen Blick auf den Mann auf dem Rücksitz. Wo hatte er ihn schon einmal gesehen? Dann hörte er das Knurren. Der Hund hatte sich bereits zum Sprung zusammengekauert. Er hatte den Mann schon einmal gefahren, wahrscheinlich war es das. Die Erinnerung an eine Erinnerung. Zu der auch sie geworden war.
»Nein«, sagte Pelle und schüttelte den Kopf.
»Dann war es keine Krankheit?«
»Nein.«
»Ein Unfall?«
Pelle schluckte. »Ja. Ein Autounfall.«
»Wusste sie, dass Sie sie lieben?«
Pelle öffnete den Mund, merkte aber, dass er nichts über die Lippen bringen würde, und nickte nur.
»Es tut mir leid, dass sie Ihnen genommen wurde, Pelle.«
Er spürte die Hand des Mannes auf seiner Schulter. Und plötzlich war es so, als strahlte sie eine Wärme aus, die sich in Pelles Brust, in seinem Bauch und in den Armen und Beinen ausbreitete.
»Wir sollten fahren, Pelle.«
Pelle wurde sich erst jetzt bewusst, dass er die Augen geschlossen hatte, und als er sie wieder öffnete, kam der Mann mit dem Hund gerade um das Auto herum. Pelle gab Gas, ließ die Kupplung kommen und hörte das wütende Bellen des Hundes hinter ihnen.
»Wohin fahren wir?«
»Wir besuchen einen Mann, der sich des Mordes schuldig gemacht hat«, sagte der Mann und zog die rote Tasche zu sich herüber. »Aber erst müssen wir etwas abliefern.«
»Zu wem also?«
Der junge Mann lächelte seltsam traurig. »Zu jemandem, von dem ich mir vorstellen könnte, ein Bild am Armaturenbrett zu haben.«
Martha stand an der Arbeitsplatte und goss Kaffee in die Thermoskanne. Sie versuchte, die Stimme ihrer Schwiegermutter auszusperren und stattdessen zu hören, worüber die anderen Gäste im Wohnzimmer redeten. Aber es war unmöglich, ihre Stimme war zu fordernd, zu eindringlich:
»Anders ist ein sensibler Mann, weißt du. Viel gefühlvoller als du. Du bist die Starke von euch beiden. Deshalb musst du auch die Initiative ergreifen und …«
Ein Auto blieb vor dem Haus stehen. Ein Taxi. Ein Mann in einem eleganten Anzug stieg aus, in der Hand eine Aktentasche.
Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde stehenbleiben. Es war er.
Er öffnete das Gartentor und ging über den kurzen gekiesten Weg zur Haustür.
»Entschuldige mich«, sagte Martha, stellte die Thermoskanne mit einem Knall ins Spülbecken und versuchte, möglichst unauffällig die Küche zu verlassen.
Es waren nur wenige Meter, trotzdem rang sie nach Atem, als sie die Tür aufriss, bevor er klingeln konnte.
»Wir haben Gäste«, flüsterte sie mit einer Hand auf der Brust. »Und du wirst gesucht. Was willst du?«
Er sah sie mit seinen so verdammt klaren grünen Augen an. Er hatte sich die Augenbrauen abrasiert.
»Ich will dich um Verzeihung bitten«, sagte er. Leise und ruhig. »Und ich will dir den geben. Für das Hospiz.«