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»Unten auf dem Weg hat ein Auto gehalten und dann kehrtgemacht.«

»Ist jemand ausgestiegen?«, fragte Bo. Ohrhörer, Leitung und Mikrofon waren so diskret, dass sie von draußen und im Gegenlicht nicht zu sehen waren.

»Das konnten wir nicht erkennen, aber das Auto entfernt sich jetzt wieder. Vielleicht hatte sich nur jemand verfahren.«

»Okay, aber seid alle auf der Hut.«

Bo zog die schusssichere Weste zurecht. Er nahm nicht an, dass Lofthus überhaupt dazu kam, einen Schuss abzufeuern, wollte aber trotzdem kein Risiko eingehen. Er hatte zwei Männer draußen im Garten platziert, die Lofthus packen sollten, wenn er durchs Tor kam oder über den Zaun kletterte, und einer wartete im Flur hinter der unverschlossenen Eingangstür. Alle anderen Zugänge zum Haus waren verriegelt. Sie waren seit fünf Uhr nachmittags hier und wurden bereits müde, dabei hatte die Nacht gerade erst begonnen. Aber der Gedanke an Sylvester würde ihn schon wach halten. Der Wunsch, diesen Kerl zu erledigen. Denn kommen würde er. Wenn nicht in dieser Nacht, so morgen oder in der Nacht danach. Bo hatte sich schon oft dar­über gewundert, dass der Große – jemand, der überhaupt nicht menschlich war – sich so gut mit den Menschen auskannte. Was die normalen Menschen antrieb, wo ihre Schwächen lagen, welche inneren Motive sie hatten und wie sie unter dem Einfluss von Stress und Angst reagierten. Mit nur wenigen Informationen über ihr Temperament, ihre Laster und ihre Intelligenz konnte er ihre nächsten Schritte mit überraschender oder, wie er selbst sagte, enttäuschender Sicherheit vorhersagen. Leider lautete die Order des Großen, den jungen Mann sofort zu töten. Sie wollten keine Gefangenen, die Liquidierung würde rasch und viel zu schmerzfrei sein.

Bo setzte sich etwas anders hin, als er ein Geräusch hörte. Noch ehe er sich umgedreht hatte, kam ihm der Gedanke, dass er selbst nicht die Fähigkeit des Großen hatte, die nächsten Schritte eines Widersachers vorherzusagen. Damals nicht, als er Sylvester zurückgelassen hatte, und jetzt auch nicht.

Der Junge hatte sich ein blutiges Tuch um die Stirn gewickelt und stand in der Seitentür, die vom Wohnzimmer direkt in die Garage führte.

Wie zum Henker war er dort reingekommen, sie hatten die ­Garage doch gerade erst abgeschlossen? War er von hinten aus dem Wald gekommen? Eine Garagentür aufzubrechen war für einen Junkie vermutlich ein Leichtes. Das eigentliche Problem aber war die Waffe, die er in der Hand hielt. Sie erinnerte frappierend an eine Uzi, die israelische Maschinenpistole, die Blei im Kaliber 9x19 ausspuckte, und das schneller als jedes Exekutionskommando.

»Sie sind nicht Yngve Morsand«, sagte Sonny Lofthus. »Wo ist der?«

»Er ist hier«, sagte Bo, der den Kopf zum Mikrofon gedreht hatte.

»Wo?«

»Er ist hier«, wiederholte Bo etwas lauter. »Im Wohnzimmer.«

Sonny Lofthus sah sich um, während er mit gezückter Maschinenpistole auf Bo zuging, den Finger am Abzug. Er schien das 36er-Magazin geladen zu haben. Dann blieb er stehen. Vielleicht hatte er den Ohrhörer und das dünne Kabel mit dem Mikrofon bemerkt.

»Sie haben mit jemand anderem gesprochen«, sagte der junge Mann und schaffte es gerade noch, einen Schritt zurückzuweichen, als Stan mit gezogener Pistole in den Raum stürzte. Bo packte seine Ruger und hörte das trocken klackernde Husten der Uzi. Hinter ihm zersprang das Glas der Panoramascheibe. Weißer Polsterstoff quoll aus den Möbeln, und Holzsplitter spritzten aus dem Parkettboden. Der Kerl verfeuerte seine Kugeln großzügig und nicht gerade zielgerichtet. Trotzdem konnte eine Uzi zwei Pistolen locker in Schach halten, so dass Bo und Stan auf dem Boden hinter den nächsten Sofas Schutz suchten. Es wurde still. Bo lag auf dem Rücken, die Pistole im Doppelgriff, falls das Gesicht des Kerls über der Sofalehne auftauchte.

»Stan!«, rief er. »Schnapp ihn dir!«

Keine Antwort.

»Stan!«

»Mach’s doch selbst!«, schrie Stan hinter seinem Sofa an der anderen Wand. »Mann, der hat eine scheiß Uzi!«

Es klickte im Ohrhörer: »Was ist los, Chef?«

Im selben Moment hörte Bo das Geräusch eines Wagens, der angelassen wurde. Der Motor heulte laut auf. Morsand hatte seinen stattlichen Mercedes 280 CE Coupé, Baujahr 1982, mit nach Oslo zur Party des Zwillings genommen, aber der Wagen seiner Frau – ein süßer kleiner Honda Civic – war noch da. Ohne Frau, die hatte Morsand ja ermordet, dafür allem Anschein nach aber mit steckendem Schlüssel. Machte man das hier draußen auf dem Land wirklich so? Die beiden Jungs im Garten schrien:

»Der versucht abzuhauen!«

»Das Garagentor geht auf!«

Bo hörte, wie krachend der Gang eingelegt wurde. Und der Motor beim gleich darauffolgenden Abwürgen laut aufstöhnte. War dieser Kerl so ein Anfänger? Konnte er weder schießen noch Auto fahren?

»Holt ihn euch!«

Der Motor wurde erneut angelassen.

»Wir haben was von einer Uzi gehört …«

»Uzi oder Zwilling, your choice

Bo rappelte sich auf, rannte zum zerbrochenen Panoramafenster und sah gerade noch, wie der Wagen aus der Garage fuhr. Nubbe und Evgeni hatten sich vor dem Tor postiert. Nubbe feuerte mit seiner Beretta Schuss auf Schuss ab, während Evgeni seine bis zum Schaft abgesägte Remington 870 angelegt hatte. Er zuckte mit dem ganzen Körper, als er abdrückte. Bo sah die Windschutzscheibe explodieren, aber das Auto beschleunigte weiter, traf Evgeni mit der Stoßstange über dem Knie, hob ihn hoch, so dass er sich in der Luft drehte und schließlich von dem fensterlosen Wagen verschluckt wurde wie ein Seehund von einem Orca. Der Civic nahm den Torpfosten und Teile des Staketenzauns mit, fuhr quer über die schmale Schotterstraße und verschwand in dem Kornfeld auf der anderen Seite. Ohne langsamer zu werden, pflügte der Wagen sich in einer langgezogenen Kurve durch die goldenen, vom Mond beschienenen Halme, bis er viel weiter vorne wieder auf die Schotterstraße fuhr. Der Motor heulte noch lauter auf, es hörte sich an, als hätte der Fahrer die Kupplung getreten, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Er fuhr nun im zweiten Gang, noch einmal wäre der Motor fast abgesoffen, fing sich aber wieder, so dass sich das Auto über die Schotterstraße entfernte. Da der Fahrer kein Licht eingeschaltet hatte, war es gleich darauf nicht mehr zu sehen.

»Zu den Wagen!«, schrie Bo. »Wir müssen ihn kriegen, bevor er in die Stadt kommt!«

Pelle sah dem Honda ungläubig nach. Er hatte die Schüsse gehört und im Spiegel gesehen, wie der Honda Civic vom Grundstück gerast war und dabei Teile des hübschen weißen Zauns mitgenommen hatte, bevor er im Kornfeld verschwand und schließlich geschmückt mit allerlei subventionierten landwirtschaftlichen Produkten auf der anderen Seite wieder auftauchte und seine zweifelhafte Fahrt auf der Schotterstraße fortsetzte. Der junge Mann war kein routinierter Fahrer, so viel stand fest, aber Pelle seufzte erleichtert auf, denn er hatte im Licht des Mondes das blutige Taschentuch über dem Lenkrad hinter der kaputten Windschutzscheibe gesehen. Dann war er auf jeden Fall am Leben.

Er hörte Schreie drüben am Haus.

Das Laden von Gewehren schallte durch die stille Sommernacht.

Ein Motor wurde angelassen.

Pelle hatte keine Ahnung, wer sie waren. Der junge Mann hatte ihm erzählt – wahr oder nicht –, dass der Mann, der dort drüben wohnte, getötet hätte. Vielleicht hatte er besoffen hinter einem Steuer gesessen und seine Strafe in irgendeinem Gefängnis abgesessen. Pelle wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nach Monaten und Jahren, in denen er möglichst viel Zeit hinter dem Steuer verbracht hatte, wieder am gleichen Punkt war. Reagieren oder erstarren. Die Bahn der Himmelskörper verändern oder es nicht tun. Ein junger Mann, der diejenige, die er liebte, nicht bekommen konnte. Pelle fuhr mit dem Finger über das Bild neben dem Lenkrad. Dann legte er den Gang ein und fuhr hinter dem Honda her. Er raste den Hang hinunter und schoss auf die kleine Brücke zu. Oben sah er Scheinwerfer aufblitzen, die die Dunkelheit durchschnitten. Er gab Gas, wurde schneller, drehte das Lenkrad leicht nach rechts, packte die Handbremse und drückte die Pedale kurz und rhythmisch wie ein Organist, während er das Lenkrad hart nach links drehte. Das Heck kam, wie es sollte, er schleuderte. Und als der Wagen stehen blieb, stand er genau quer auf der schmalen Brücke. Pelle nickte zufrieden, er hatte das Feeling nicht verloren. Er schaltete die Zündung aus, legte den ersten Gang ein, zog die Handbremse an, schob sich auf den Beifahrersitz und stieg auf der anderen Seite aus.