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 … for you’ve touched her perfect body with your mind.

Markus spielte am offenen Fenster »Super Mario«, als draußen eine Tür ins Schloss fiel. Er sah aus dem Fenster. Es war die hübsche Frau. Auf jeden Fall war sie heute hübsch. Sie kam aus dem gelben Haus und ging zum Gartentor. Markus erinnerte sich ­daran, wie der Sohn gestrahlt hatte, als er von ihm erfuhr, dass die Frau ins Haus gegangen war. Markus verstand ja nichts davon, glaubte aber, der Sohn war in sie verliebt. Also vielleicht.

Die Frau ging zu den Mädchen, die Gummitwist spielten, und fragte sie irgendetwas. Sie streckten die Arme aus. Die Frau lächelte, rief ihnen etwas zu und ging in die angezeigte Richtung. Markus wollte sich wieder auf sein »Super-Mario«-Spiel konzentrieren, als er bemerkte, dass die Gardinen im Schlafzimmer zur Seite gezogen wurden. Er nahm sein Fernrohr.

Es war der Sohn. Er stand mit geschlossenen Augen vor dem Fenster, die Hand auf der bandagierten Seite. Er war nackt. Und lächelte glücklich. Wie Markus an Weihnachten, bevor er die ­Geschenke auspackte. Nein, eigentlich eher wie Markus, wenn er am 1. Weihnachtstag aufwachte und an all die Geschenke dachte, die er bekommen hatte.

Der Sohn nahm ein Handtuch aus dem Schrank, öffnete die Tür und wollte auf den Flur gehen, als er plötzlich stehen blieb. Er sah zur Seite, nach unten auf den Tisch. Nahm etwas, das dort lag. Markus stellte das Fernrohr scharf.

Es war ein Buch in einem schwarzen Ledereinband. Der Sohn öffnete das Buch und schien zu lesen. Dann ließ er das Handtuch fallen, setzte sich wieder aufs Bett und las weiter. Blätterte. Ein paar Minuten saß er so da. Markus sah, wie sein Gesichtsausdruck sich mehr und mehr veränderte und sein Körper erstarrte, bis er irgendwie krüppelhaft wirkte, eingefroren.

Dann sprang er unvermittelt auf, warf das Buch an die Wand, packte die Tischlampe und schleuderte sie hinterher.

Er fasste sich an die Seite, schrie etwas und setzte sich wieder. Senkte den Kopf und drückte ihn mit im Nacken verschränkten Händen nach unten. Sein Körper zitterte wie unter Krämpfen.

Markus verstand, irgendetwas Schreckliches musste passiert sein, wusste aber nicht, was. Am liebsten wäre er nach drüben gelaufen und hätte versucht, den Sohn zu trösten. Er konnte das, Mama musste er ganz oft trösten. Er musste einfach etwas sagen, über etwas reden, das sie gemeinsam gemacht hatten, und sie fragen, ob sie sich daran erinnerte. Viel Auswahl hatte er dabei nicht, es waren die immer gleichen drei bis vier Dinge, an die sie sich erinnerte. Danach lächelte sie immer traurig und wuschelte ihm durch die Haare. Und das war das Beste. Aber mit dem Sohn hatte er ja noch nichts Schönes gemacht. Vielleicht wollte der auch lieber allein sein. Markus konnte das gut verstehen, er war selbst auch so. Wenn Mama ihn trösten wollte, weil jemand gemein zu ihm gewesen war, ärgerte ihn das Vorgefallene nur noch mehr. Als machten die tröstenden Worte ihn noch schwächer, ja, als gäben sie den Idioten, die ihn als Hasenfuß und Muttersöhnchen bezeichnet hatten, nachträglich auch noch recht.

Aber der Sohn, der war doch kein Hasenfuß.

Oder vielleicht doch?

Jetzt war er aufgestanden und hatte sich zum Fenster gedreht. Er weinte. Seine Augen waren rot, die Wangen nass von Tränen.

Und wenn Markus sich in ihm geirrt hatte? Wenn er genau wie er war? Schwach und feige, jemand, der weglief und sich versteckte, um nicht verprügelt zu werden? Aber nein, das konnte nicht sein, nicht der Sohn! Er war groß und stark und mutig und half all denen, die es nicht waren. Oder noch nicht.

Der Sohn hob das Buch wieder auf, setzte sich und begann zu schreiben.

Nach einer Weile riss er die beschriebene Seite aus dem Buch, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb, der neben der Tür stand. Erneut schrieb er eine Seite. Dieses Mal aber weniger Text. Er riss den Zettel heraus und las durch, was er geschrieben hatte. Schließlich kniff er die Augen zusammen und drückte die Lippen auf das Papier.

Martha stellte die Tasche mit den Lebensmitteln auf den Küchentisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Weg zum Laden war weiter gewesen, als sie gedacht hatte, auf dem Rückweg war sie deshalb gerannt. Sie wusch die Erdbeeren unter fließendem Wasser, nahm die beiden größten rötesten Beeren und den Strauß Wiesenblumen, den sie am Wegrand gepflückt hatte. Als sie an seinen heißen Körper unter der Decke dachte, spürte sie ein Kribbeln. Wie eine Süchtige, die an Heroin dachte. Er war jetzt ihre Droge. Von nun an ihr Schicksal. Sie war verloren, und sie liebte das!

Schon als sie auf der Treppe die offene Schlafzimmertür sah, spürte sie es. Irgendetwas stimmte nicht. Es war zu still.

Das Bett war leer. Die Lampe an der Wand zerschmettert. Seine Kleider verschwunden. Unter den Scherben der Lampe entdeckte sie das schwarze Buch, das sie unter dem Lattenrost gefunden hatte.

Sie rief seinen Namen, aber sie wusste ganz genau, sie würde keine Antwort erhalten. Das Gartentor hatte offen gestanden, dabei war sie sicher gewesen, es geschlossen zu haben. Sie hatten ihn geholt, wie er gesagt hatte. Wahrscheinlich hatte er sich gewehrt, aber ohne Erfolg. Sie hatte ihn im Schlaf verlassen, nicht auf ihn aufgepasst, hatte nicht …

Sie drehte sich um, und ihr Blick fiel auf den Zettel auf dem Kopfkissen. Er war vergilbt und sah aus, als hätte Sonny ihn aus dem Buch gerissen. Die Worte waren mit dem alten Stift geschrieben, der neben dem Kopfkissen lag. Dem Stift seines Vaters, dachte sie. Und noch bevor sie gelesen hatte, wusste sie, dass die Geschichte sich wiederholte. Sie las, ließ die Blumen fallen, schlug sich die Hand vor den Mund, eine automatische Bewegung, um die hässliche Grimasse zu verbergen, als ihr Mund sich verzog und ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Liebe Martha. Vergib mir, aber ich verschwinde jetzt. Ich liebe Dich bis in alle Ewigkeit. Sonny

Kapitel 39

Markus saß auf dem Bett im gelben Haus.

Die Frau war, nur zwanzig Minuten nachdem der Sohn eilig das Weite gesucht hatte, aus dem Haus gestürmt. Markus wartete erst einmal, doch irgendwann war klar, dass sie nicht mehr zurückkommen würden.

Zehn Minuten später lief er über die Straße. Der Schlüssel befand sich am alten Platz.

Das Bett war gemacht, die Scherben der Lampe lagen im Papierkorb. Darunter entdeckte er das zusammengeknüllte Blatt Papier.

Beschrieben mit einer sauberen, fast mädchenhaften Handschrift.

Liebe Martha,

mein Vater hat mir einmal von einem Mann erzählt, der vor seinen Augen ertrunken ist. Mein Vater war Streife gefahren, es war mitten in der Nacht, und ein Junge hatte vom Bootshafen Kongen die Notrufzentrale angerufen. Der Papa des Jungen war beim Anlegen ins Wasser gefallen. Er konnte nicht schwimmen und klammerte sich an den Bootsrand, aber der Junge schaffte es nicht, ihn wieder an Bord zu ziehen. Als die Streife kam, verließen den Mann die Kräfte. Er ließ los und ging unter. Minuten vergingen, der Junge schluchzte, und mein Vater alarmierte die Taucher. Und während sie dastanden, kam der Mann plötzlich wieder an die Oberfläche, mit bleichem Gesicht, nach Luft schnappend. Der Freudenschrei des Jungen. Dann ging der Mann wieder unter. Mein Vater sprang ihm hinterher, aber es war zu dunkel. Und als er wieder hochkam, sah er direkt in das freudestrahlende Gesicht des Jungen, der natürlich glaubte, alles sei in Ordnung, sein Vater hatte ja geatmet, und die Polizei war da. Mein Vater erzählte mir, wie es dem Jungen das Herz in der Brust zerriss, als er begriff, dass Gott bloß mit ihm gespielt und nur so getan hatte, als wollte er ihm zurückgeben, was er ihm genommen hatte. Mein Vater sagte damals, Gott, sollte es ihn wirklich geben, ist grausam. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie er das gemeint hat. Denn ich habe endlich das Tagebuch meines Vaters gefunden. Vielleicht wollte er, dass wir es erfuhren. Vielleicht war er einfach nur grausam. Warum schreibt man sonst ein Tagebuch und versteckt es an einem derart augenfälligen Platz wie unter der Matratze?