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Es lag seitlich am Boden, das graue Fell von Blut bedeckt. Die beiden Wölfe hatten dem Grauen mehrere schlimme Wunden zugefügt.

Die Hufe des Pferdes zuckten durch die Luft. Aber es waren keine gezielten Tritte, sondern die unkontrollierten Bewegungen einer Kreatur im Todeskampf.

Ein Wolf hatte sich in der Flanke des Appaloosas verbissen, der andere in seinem Hals. Während Jacob mit dem großen Wolf beschäftigt gewesen war, hatten dessen Gefährten das Indianerpferd besiegt.

Jacob fand sein Messer, nahm es mit einem raschen Griff auf und stürmte unter lautem Gebrüll auf die kämpfenden Tiere zu. In einer Hand schwang er die lange Klinge, in der anderen den glühenden Ast.

Der Wolf, der sich in der Flanke des Appaloosas verbissen hatte, ließ von der Beute ab und blickte erstaunt zu Jacob. Auch ihn schien die Tatsache zu verwirren, daß eins der vermeintlichen Opfer plötzlich zum wütenden Angreifer wurde.

Jacob stach zu.

Durch einen schnellen Satz zur Seite wich die Bestie seiner Klinge aus und sprang Jacob an.

Der große Mann machte nur eine leichte Drehung und schlug den glühenden Ast in das Wolfsgesicht. Wieder roch es nach verbranntem Fleisch.

Bestürzt und verwirrt lief das gepeinigte Raubtier von Jacob und dem Appaloosa weg zum Rand der Lichtung. Dort verharrte es und blickte zweifelnd zu dem Menschen herüber.

»Verschwinde!« schrie Jacob aus Leibeskräften und hob drohend den Ast.

Das tat seine Wirkung. Nach einem letzten wütenden Knurren sprang das Tier zwischen die Büsche und verschwand im Unterholz.

Jacob wirbelte herum und erkannte auf einen Blick, daß jede Hilfe für den Grauen zu spät kam.

Der große Kopf des Appaloosas war auf den Boden gefallen. Er wehrte sich kaum noch gegen den letzten verbliebenen Wolf, der ein großes Stück Fleisch aus dem Pferdehals riß.

Wieder schrie der Mann laut, um das Raubtier von seiner Beute abzubringen. Gleichzeitig sprang er vor und stieß die Messerklinge in den Leib der Bestie.

Der Wolf reagierte darauf nicht. Der Blutrausch, der ihn gepackt hatte, schien nicht nur seinen Verstand, sondern auch sein Schmerzempfinden ausgeschaltet zu haben. Immer tiefer verbiß er sich in der Kehle des Appaloosas, zu nichts anderem mehr fähig.

Auch nicht, als Jacobs Klinge wieder und wieder in seinen Leib und seinen Hals stieß.

Der Wolf ließ von dem Pferd erst ab, als er tot zusammenbrach, ein Stück aus der Beute gerissenes Fleisch noch zwischen den Zähnen.

Es war ein widerlicher Anblick.

Jacob zitterte am ganzen Körper. Eine unbändige Übelkeit stieg in ihm auf. Er fiel auf die Knie und übergab sich, immer und immer wieder, bis sein Magen leer war.

Eine ganze Weile hockte er einfach nur da, inmitten von Blut und seinem eigenen Auswurf, und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen.

Erst jetzt, als der Kampf beendet war, traf ihn der volle Schock des plötzlichen Überfalls.

Vielleicht hätte der junge Deutsche unter anderen Umständen weniger heftig reagiert. Aber die Ereignisse der letzten Tage -der Kampf gegen die Nez Perce und der Aufstieg aus dem Canyon, sowie die dauernde Sorge um Irene und Jamie, hatten ihn arg mitgenommen.

Als der Schwindel und die Benommenheit nachließen, blickte er zu dem Grauen hinüber. Der Appaloosa bewegte sich nicht mehr. Jacob konnte auch kein noch so leises Wiehern vernehmen. Das Tier mußte am Ende sein.

Es war Jacobs schmerzliche Pflicht, es von seinen Qualen zu erlösen. Und dazu stand ihm nur Riding Bears Messer zur Verfügung.

Es steckte noch in der Kehle des Wolfs.

Jacob wollte aufstehen, aber ein plötzlicher Schwindelanfall verhinderte das. Er kroch auf allen vieren zu dem toten Raubtier, zog das Messer heraus und robbte weiter zu dem Appaloosa.

Aber er kam zu spät. Der Graue war schon tot.

Jacob verspürte Erleichterung. Er wäre sich wie ein Verräter vorgekommen, hätte er das Tier töten müssen, das so tapfer an seiner Seite gekämpft hatte.

In seine Trauer um den Verlust des Pferdes mischte sich die Bestürzung darüber, daß der Treck mit Irene und Jamie in weite Ferne gerückt war.

Zu Pferd hätte er ihn heute wohl noch erreicht. Zu Fuß bestand keine Aussicht darauf.

Schon gar nicht in dem geschwächten Zustand, in dem er sich befand. Vor dem Angriff der Wölfe hatte er sich gar nicht so schwach gefühlt. Es zeigte ihm, daß er seine Kräfte überschätzt hatte.

Und es brachte ihn davon ab, sofort weiterzumarschieren. Das wäre sehr tapfer gewesen, aber auch sehr dumm. Wenn er unterwegs entkräftet zusammenbrach, hatte er nichts davon. Irene und Jamie nutzte es auch nicht.

Er nahm den Wasserschlauch, den Riding Bear ihm mitgegeben hatte, vom Rücken des toten Pferdes, zog den Holzstöpsel aus dem Leder und spülte den schlechten Geschmack aus seinem Mund. Anschließend reinigte er Hände und Gesicht.

Dann nahm er die Decken vom Pferd und wickelte sich darin ein. Ihm war plötzlich sehr kalt. Auch wenn die Kälte von innen kam, hoffte er, daß die Decken dagegen halfen.

Inmitten des Blutes und der Tierkadaver schloß er die Augen und schlief kurz darauf ein.

Wieder träumte er von Irene und Jamie.

*

Die vier Planwagen erreichten Molalla Spring etwa eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung.

Sobald die Berge hinter den Menschen aus Greenbush lagen, trieben sie die Tiere an, um nicht noch eine weitere Nacht in der Wildnis verbringen zu müssen.

Die Missionsstation versprach Schutz vor den rachsüchtigen Nez Perce.

Aber das schien nicht der einzige Grund zu sein, weshalb die Siedler es so eilig hatten, zum Molalla River zu kommen. Irene spürte, daß da noch etwas war. Etwas, das mit der ihr aufgezwungenen Verschwiegenheit in Verbindung stand.

Etwas, das vielleicht damit zu tun hatte, daß Fred Myers kurz vor der Mission die zum Trocknen an seinen Wagenkasten gehängten Skalps abgenommen und unter der Plane verstaut hatte.

Sie hatte viel Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt, wo sie Jamie nur noch zum Stillen sah.

Eliza Bradden gab den kleinen Jungen für die kurze Zeit nur sehr widerwillig heraus. Sie behielt Mutter und Kind stets im Auge, ganz so, als gehöre Jamie eigentlich ihr und nicht der richtigen Mutter. Neidisch beobachtete die ältere Frau, wie der Junge Irenes Muttermilch saugte.

Fast empfand die junge Deutsche Mitleid mit ihr. Sie konnte sich vorstellen, was John Braddens Frau durchmachte, nachdem sie ihre eigenen Kinder an das Fieber verloren hatte. Jamie stellte eine Art Ersatz für sie dar.

Aber das Mitleid schwand schnell, als Irene daran dachte, was heute morgen fast mit ihrem Sohn geschehen wäre. Hätte Eliza Bradden tatenlos mitangesehen, wie ihr Schwager die Kehle des Kindes durchschnitt?

Jedenfalls hatte sie geduldet, wie er Jamie als Geisel nahm und ihn in Angst und Schrecken versetzte. Ohne Widerspruch und ohne sichtbare Regung hatte sie danebengestanden und einfach nur zugesehen.

So verhielt sich keine Mutter! Nicht, wenn in ihr auch nur ein Funke Gefühl für ihr Kind glomm.

Jamie gehörte zu Irene, zu niemandem sonst!

Und doch mußte sie ihn hergeben, sobald sein Appetit befriedigt war. Jedesmal weinte Jamie, wenn sie sich trennten, und seiner Mutter brach fast das Herz.

Die Mission lag in einer von Hügeln und Wäldern eingefaßten Ebene am hier noch jungen Molalla River. Ein malerisches Bild, das Irene nicht genießen konnte. Trotzdem hockte sie neben Lewis Bradden auf dem Bock und blickte sich sorgfältig um.

Es hatte keinen Sinn, sich zu verkriechen. Sie mußte wissen, was vor sich ging, wenn sie auch nur eine kleine Chance haben wollte, etwas für sich und vor allem für Jamie zu tun.

Ring um die eigentliche Missionsstation erstreckten sich große Felder bis zum Waldrand. Auf ihnen herrschte reges Treiben.

Erst wunderte sich Irene, was es so kurz nach der Schneeschmelze schon zu tun gab. Dann sah sie, daß die Männer fieberhaft an einem Netz von Gräben arbeiteten. Offenbar hatte die große Schneeschmelze zu Überschwemmungen geführt.