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»Wir haben uns anders entschieden«, blieb John Bradden hart.

Narcissa Mercer versuchte sich an einem Lächeln und sagte: »Bleibt ein paar Tage hier und ruht euch aus. Vielleicht gefällt es euch so gut, daß ihr es euch anders überlegt.« Sie hob den Kopf zu dem Treck-Captain. »Was meinst du, Bruder John?«

»Das Angebot, uns hier auszuruhen, nehmen wir dankend an, Mrs. Mercer. Zumal wir zwei Verletzte haben, die der ärztlichen Hilfe Ihres Mannes bedürfen. Aber selbst wenn es uns hier gefällt, werden wir bestimmt nicht hierbleiben.«

Braddens Blick verdüsterte sich, als er über die roten Männer, Frauen und Kinder glitt.

Dann sagte er: »Zu viele Rothäute hier, Ma'am. Ich weiß nicht, ob die Roten noch nach Christi Gebot handeln, wenn der Aufstand auf den Westen der Cascades übergreift.«

»Was für ein Aufstand?« erkundigte sich der Missionar.

John Bradden senkte seine Stimme, als er antwortete: »Die Nez Perce, Doc. Sie haben uns in den Bergen überfallen. Wir konnten uns gerade noch retten. Aber Bill Myers und Fred Myers' Sohn Rob haben es nicht überlebt. Und da hinten im Wagen liegen Ebenezer Owen und seine Frau. Beide wurden von den roten Kerlen verwundet. Das Wundfieber hat Carol Owen befallen. Wenn Sie ihr nicht helfen können, Doc, ist es mit ihr bald vorbei.«

»Die Nez Perce?« fragte der Missionar ungläubig und zeigte auf die Indianer, die den Treck umstanden. »Fast alle meine Leute sind Nez Perce!«

»Deswegen mache ich mir ja so große Sorgen um Molalla Spring«, erwiderte Bradden. »Ich fürchte, hier wird es nicht mehr lange so friedlich zugehen.«

Immer wieder schüttelte der Missionar seinen grauen Schädel und murmelte: »Das ist einfach unglaublich! Wir haben mit den Nez Perce immer Freundschaft und Frieden gehalten. Auch mit denen, die nicht in Molalla Spring leben. Ich habe ihnen gegen das Fieber geholfen. Weshalb sollten sie auf einmal das Kriegsbeil ausgraben?«

»Das weiß ich nicht«, log der Mann mit der roten Narbe. »Wer kann schon sagen, was in den Köpfen der Roten vorgeht? Brauchen die Wilden überhaupt einen Grund zum Morden?«

Irene hörte alles mit an und war empört über Braddens dreiste Lügen. Sie mußte stark an sich halten, um nicht vom Wagen zu springen, zu den Mercers zu laufen und ihnen die Wahrheit zu sagen.

Nur der Gedanke daran, was dann mit Jamie geschehen würde, hielt sie zurück.

Als hätte Simon Mercer ihre Unruhe bemerkt, richteten sich seine bebrillten Augen auf sie.

»Wer ist die junge Frau dort neben deinem Sohn, Bruder John? Ich kenne sie nicht. Deine Schwiegertochter?«

»Nein, sie ist auch ein Opfer der Nez Perce. Sie war mit einem Begleiter und ihrem kleinen Kind auf dem Weg nach Westen, als sie überraschend von den Wilden angegriffen wurden. Ihr Begleiter wurde niedergemetzelt. Wären wir nicht dazwischengekommen, hätten die Roten sich auch an der Frau und ihrem Kind vergriffen.«

John Bradden warf Irene einen langen Blick zu. Für einen Außenstehenden mochte es wie eine Mitleidsbekundung aussehen. Irene verstand es als das, was es war: eine Warnung!

»Die Arme ist ganz verstört, bringt kaum ein vernünftiges Wort heraus«, erklärte Bradden mit aufgesetztem Bedauern. »Meine Frau kümmert sich um das Kind.«

»Eine schlimme Geschichte, klingt ziemlich übel«, brummte der Missionar, das spitze Kinn grüblerisch in die Hand gestützt.

Dann blickte er wieder zu dem Treck-Captain hoch und fragte: »Glaubst du wirklich, daß der Indianeraufstand auch das Molalla Valley erfaßt, Bruder John?«

»Ich befürchte es. In den Cascades wimmelt es nur so von Roten. Sie haben uns ein ganzes Stück verfolgt.«

Der alte Mann, Walt Hickly, trat neben Mercer. Er war klein und wirkte fast schmächtig, was daran liegen mochte, daß sein Rücken etwas gebeugt war. Sein genaues Alter war durch einen wild wuchernden Vollbart im schmutzigen Grauweiß nicht zu bestimmen. Aber die leuchtenden Augen verrieten die Energie, die noch in dem Mann steckte.

»Wir sollten die Zuverlässigsten unserer Indianer bewaffnen und Tag und Nacht Posten aufstellen«, schlug er mit hoher, kreidiger Stimme vor.

Der Missionar wollte ihm zustimmen, aber John Bradden fuhr dazwischen: »Das halte ich für keine gute Idee. Je später die Indianer in Molalla Spring mitkriegen, was in den Bergen los ist, desto besser. Und wenn sie es mitkriegen, könnten Gewehre in ihren Händen gefährlich sein. Ich halte es für ungewiß, auf wen sie dann die Waffen richten.«

»Was schlägst du vor, Bruder John?« fragte Mercer.

»Solange wir hier sind, passen wir schon auf«, antwortete Bradden. »Dann sehen wir weiter.«

Die Mercers verständigten sich mit einem wechselseitigen Blick, und der Missionar sagte: »Gut, Bruder John, so machen wir es. Jetzt spannt eure Tiere aus und richtet euch ein.« Er zeigte zu den Gebäuden, die um die Kirche herum standen. »Das Gästehaus steht zu eurer Verfügung. In etwa einer Stunde gibt es ein kräftiges Essen. In der Zwischenzeit kümmere ich mich um die Verletzten.«

Das Gästehaus war ein langgestrecktes, einstöckiges Gebäude, aus Holz gebaut wie alle Gebäude mit Ausnahme der Kirche, die aus festem Stein bestand. Das Gästehaus war sauber, aber nicht besonders komfortabel. Es war durch eine dünne Bretterwand nur in zwei Räume unterteilt, einen Schlafraum für Männer und einen für Frauen. Aber hier sollte auch niemand auf Dauer wohnen. Wie Irene erfuhr, war es für genau den Zweck erbaut worden, dem es jetzt diente: Durchreisende Auswanderer sollten hier für ein paar Tage verweilen und neue Kraft für die Weiterreise schöpfen.

Am gemeinsamen Abendessen im Haus der Mercers durfte Irene auf John Braddens Geheiß nicht teilnehmen. Vermutlich befürchtete der Treck-Captain, die Gastgeber könnten merken, daß etwas nicht in Ordnung war. Irene war das gar nicht unrecht, durfte sie doch mit Eliza Bradden bei Jamie zurückbleiben. John Bradden wollte ihnen Essen herüberschicken.

Bevor er ging, sagte er zu seiner Frau: »Wenn die Dutch-Lady Ärger macht oder abhaut, weißt du, was du mit dem Kleinen machst!«

»Ja, John«, nickte Mrs. Bradden.

In einer Art, die Irene Angst machte.

Obwohl sich die Frau des Treck-Captains um Jamie kümmerte wie um ein eigenes Kind, schien sie jederzeit bereit, sich an ihm zu vergreifen.

Zum wiederholten Mal stellte sich Irene eine Frage: Was für Menschen waren das bloß?

*

In den Cascade Mountains

Ein Geräusch weckte Jacob, und er zuckte zusammen.

Die Wölfe! schoß es durch seinen Kopf. Sie sind zurückgekehrt, um sich zu rächen!

Seine Hand tastete nach dem Messergriff. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können, sich einfach schlafen zu legen?

Die Antwort war ebenso einfach wie vielleicht verhängnisvolclass="underline" Die Erschöpfung und die Schmerzen hatten ihn überwältigt.

Der große breitschultrige Mann aus dem fernen Deutschland schüttelte die Indianerdecken von sich ab und sprang auf. Die Rechte umschloß fest den Griff des großen Messers.

Dämmeriges Licht erfüllte die Lichtung und tauchte sie in graue Farben.

Hatte er bis zum Abend geschlafen?

Als das Grau ganz langsam heller wurde, begriff er die volle Wahrheit: Es war schon wieder Morgen!