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Sein Bruder fügte hinzu: »Wie ich eben schon sagte, wir können keine Rücksichten nehmen. Also halt dich zurück, Ebenezer, wenn du uns schon nicht hilfst!«

Dann marschierten die sechs Männer zu den Hütten der Indianer.

*

Ebenezer Owen hörte keinen einzigen Schuß, nur die Schreie der Sterbenden.

Die Männer aus Greenbush erledigten alles mit der blanken Klinge, um die in der Kirche Versammelten nicht zu warnen. Und sie hatten dabei leichtes Spiel. In den Hütten waren überwiegend Alte, Kranke und kleine Kinder zurückgeblieben.

Der Mann mit dem verletzten Arm war froh, daß er nicht sah, was in den Hütten vor sich ging. Es mußte ein scheußliches Gemetzel sein.

Er konnte es sich vorstellen. Er selbst hatte an so einem Massaker teilgenommen, als sie das Dorf der Nez Perce überfielen.

Sterbende. Verwundete. Schreiende. Vor Todesangst Verstummte. Indianer. Menschen. Ja, sie waren Menschen. Auch wenn sie eine dunklere Hautfarbe und andere Sitten hatten.

Menschen mit Träumen, Hoffnungen und Ängsten. Vor allem aber mit dem Recht zu leben!

Er dachte an die fast zweihundert Menschen in der Kirche und stellte sich vor, wie die Männer aus Greenbush den einzigen Ausgang besetzten und einfach alles zusammenschossen. Dann rannte er los, um sie zu warnen.

Er stolperte in seiner Hast über einen Stein, fiel hin, auf seinen Arm. Ein Schmerz wie von einem glühenden Eisen fuhr durch seinen Körper.

Mit dem gesunden Arm stützte er sich ab, stand auf und lief weiter.

Er riß die Kirchentür auf.

Die Orgelmusik setzte gerade wieder ein und tat alles, um sein Schreien zu übertönen. Nach den ersten Takten kam ein lauter, euphorischer Gesang aus fast zweihundert Kehlen hinzu. Die Menschen dankten singend dem Herrn.

Owen sah nicht viel. Nur die Rücken und Hinterköpfe der Indianer, die dichtgedrängt hinter den Bänken standen.

Er riß einen von ihnen herum und schrie auf ihn ein.

Der Rote mit dem kurzen Haar und dem bunten Baumwollhemd blickte ihn verständnislos an.

»Wollt ihr mich nicht verstehen?« brüllte Owen verzweifelt. »Ihr werdet sterben! Hört ihr? Ich sagte, ihr wer.«

In diesem Augenblick starb Ebenezer Owen, von einer Kugel in den Kopf getroffen. Er vollführte eine mißglückte Pirouette und war schon tot, als sein schwerer Körper auf dem Estrich aufschlug.

Sein Mörder war Fred Myers. Kräuselnder Rauch stieg aus dem Lauf seines alten Scott-Vorderladers auf.

Die Menschen in der Kirche sangen weiter. Der Schuß war im Gesang und der noch lauteren Orgelmusik untergegangen.

Nur der Indianer, auf den Owen eingeredet hatte, starrte erschrocken auf die bewaffneten, blutverschmierten Weißen in der Kirchentür.

Lewis Bradden hob seine Mississippi-Rifle und drückte ab. Aus solcher Nähe abgefeuert, war die Kugel, die in die Brust des Indianers drang, unbedingt tödlich. Sie schleuderte den Getroffenen zwischen seine Leute.

Unruhe entstand unter den Menschen. Immer mehr hörten mit dem Singen auf, drehten sich um - und erschraken, als sie die Weißen und ihre erhobenen Waffen sahen.

Schließlich sang niemand mehr. Nur die Musik spielte noch. Narcissa Mercer, die in höchster Verzückung auf die Orgeltasten einhämmerte, hatte als einzige noch nicht bemerkt, was vor sich ging.

Bis ihr Mann zu ihr trat und eine Hand auf ihre Schulter legte. Da wich die Verzückung aus ihren Zügen und machte Entsetzen Platz.

*

Als Irene die sechs blutigen Männer sah, wußte sie, was sie vorhatten. Es war schlimmer als alles, was sie sich vorgestellt hatte.

Es war ein Massenmord!

Jetzt machte sie sich Vorwürfe, die Menschen von Molalla Spring genauso wenig gewarnt zu haben wie Martin und Urilla.

Aber es war zu spät.

Simon Mercer hatte das junge Paar gerade getraut. Aber war es ein Trost, im Bund der Ehe zu sterben?

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Missionar laut. »Seid ihr alle wahnsinnig geworden?«

»Kann schon sein«, antwortete John Bradden rauh. »Aber es spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, daß ihr alle jetzt sterben werdet!«

Der Mann mit der Brille sah den Treck-Captain entgeistert an und brachte nur ein Wort über die Lippen: »Warum?«

»Die Rothäute werden sterben, weil ihre Brüder und Schwestern uns mit dem Fieber angesteckt haben. Sie und Ihre Frau, Doc, müssen dran glauben, weil Sie unseren Freunden und Familien nicht geholfen haben.«

»Ich konnte doch nicht!« verteidigte sich der Missionar. »Der Schnee! Außerdem haben sich die Nez Perce eher bei uns Weißen mit dem Fieber angesteckt. Die Krankheit ist bei den Indianern noch nie vorgekommen.«

»Dummes Zeug!« beschied John Bradden.

Er wollte noch etwas sagen, aber er fiel vornüber. In seinem Rücken steckte ein Pfeil.

Die anderen Männer aus Greenbush drehten sich erschrocken um.

Weitere Pfeile sirrten heran, und Schüsse krachten.

Lewis Bradden fiel über die Leiche seines Vaters, nachdem ihm eine Kugel das halbe Gesicht weggerissen hatte.

In Sam Myers' Brust fuhren fast gleichzeitig zwei Pfeile, und er sackte zusammen.

Sein Bruder Pete konnte noch die doppelläufige Schrotflinte abfeuern. Dann traf ihn ein gefiederter Speer in den Bauch und riß ihn zu Boden.

Frazer Bradden riß den Kerr-Revolver aus dem Holster. Aber er ließ die Waffe fallen, als eine Kugel seine Hand zerfetzte.

Fred Myers blickte fassungslos auf seine toten Söhne. Eine große Gestalt ritt heran, sprang vom Pferd und riß ihn zu Boden. Ein Keulenschlag des Nez-Perce-Kriegers traf seinen Kopf und nahm ihm das Bewußtsein.

Es ging alles rasend schnell.

Dann standen die siegreichen Indianer im Eingang der Kirche, etwa zehn Mann. Die Indianer der Mission begrüßten ihre Brüder mit lautem Geschrei.

Einer der Krieger schwang einen frischen, noch blutenden Skalp im Siegesrausch. Mit Entsetzen erkannte Irene das dünne graue Haar von Carol Owen.

Einige Indianer von der Mission verließen die Kirche und liefen zu ihrer Siedlung, um nach ihren Angehörigen zu sehen. Als sie zurückkehrten und das Entsetzliche berichteten, konnten es die anderen erst nicht glauben.

Die weißen Mörder hatten niemanden verschont. Fast dreißig Indianer waren in den Hütten abgeschlachtet worden.

Die allgemeine Wut richtete sich gegen die verbliebenen Weißen. Nur ein paar besonnene Missionsindianer stellten sich vor Simon Mercer und die anderen.

»Meine Brüder mögen nicht unbedacht handeln«, sagte ein älterer Missionsindianer im dunklen Anzug. »Sonst werden sie zu ebensolchen Mördern wie die Weißen. Vierauge und seine Squaw waren immer gut zu uns. Nicht alle Weißen haben den Tod verdient!«

»Doch!« widersprach einer der Krieger, ein wahrer Hüne von Mann. »Als wir unser zerstörtes Dorf vorfanden, haben wir allen Weißen den Tod geschworen.«

Allmählich verstand Irene. Die Krieger mußten zu demselben Dorf gehören wie jene, die in den Bergen den Treck angegriffen hatten. Vermutlich ein anderer Jagdtrupp, der später heimgekehrt war.

Unter den Indianern entbrannte eine laute Diskussion, ob die überlebenden Weißen getötet werden sollten oder nicht. Man wollte es ausgiebig am Abend beraten und sperrte die Weißen in der Kirche ein.

Ein gemischter Trupp aus drei Kriegern und drei Missionsindianern blieb als Bewachung bei ihnen.

*

Die Überlebenden waren Simon und Narcissa Mercer, Martin und seine frischangetraute Frau Urilla, Eliza Bradden und Anne Myers, Frazer Bradden und Fred Myers sowie Irene und Jamie.

Bei der ersten Gelegenheit hatte Irene ihren Sohn an sich gerissen. Sie weinte vor Glück, weil Jamie endlich wieder bei ihr war. Und vor Angst darüber, daß sie alle bald sterben mußten.

Die beiden anderen Frauen saßen bei ihren toten Angehörigen. Eliza Bradden war stumm und reglos. Anne Myers weinte laut um ihre Söhne.

Unter den wachsamen Augen der Bewacher kümmerte sich Simon Mercer um die beiden Verletzten, Frazer Bradden und Fred Myers.