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Und die Wärme des Feuers linderte Jacobs Schmerzen. Er fühlte sich ein wenig besser, als er unter eine der indianischen Decken schlüpfte.

Er hatte sich noch gar nicht richtig ausgestreckt, da schlief er schon.

Jacobs geschundener, überanstrengter Körper verlangte sein Recht.

*

Als Jacob die Augen aufschlug, blendete ihn die Helligkeit der strahlenden Sonne hoch oben am Himmel.

Er mußte lange geschlafen haben, mehr als zwölf Stunden. Es war ein tiefer, traumloser Schlaf gewesen. Jedenfalls konnte er sich an keine Traumbilder erinnern.

Bevor er sich aufrichten konnte, wurde die Sonne plötzlich durch etwas verdunkelt, das sich zwischen Jacob und das wärmende, Licht spendende Gestirn schob.

Eine dunkle Wolke?

Nein, ein Gesicht, aber auch dunkel. Das Gesicht eines Indianers!

Jacobs erster Gedanke war, daß ein Trupp Nez Perce den Lagerplatz gefunden hatte, während er schlief. Nun war er den rachsüchtigen Kriegern ausgeliefert.

Doch dann erkannte er das Gesicht - mit den dünnen Lippen, der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den schmalen Augen. Der Auswanderer konnte es kaum fassen, daß der schwerverwundete Nez Perce, der gestern abend noch mit dem Tod gerungen hatte, eher wieder auf den Beinen war als er selbst.

Aber es war so!

Der Nez Perce kauerte vor Jacob und hielt etwas Kleines, eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger, vor das Gesicht des Deutschen.

Jacob rieb den Schlaf aus seinen Augen und erkannte die blutverkrustete Kugel, die er aus der Brust des Kriegers geholt hatte.

»Der weiße Mann hat Riding Bear von dem bösen Zauber befreit.«

Riding Bear - Reitender Bär. Das also war der Name des Roten. Jacob erinnerte sich an die Bemalung des Schilds.

Dann erst kam er dazu, sich zu wundern. Darüber, wie gut der Rote das Englische beherrschte. Fast besser als Jacob selbst.

Jacob war sich nicht sicher, ob die Äußerung des Nez Perce eine Frage oder bloß eine Feststellung war.

Deshalb sagte er: »Ja, ich habe dich in der letzten Nacht davon befreit. Aber es ist kein böser Zauber, sondern eine Kugel.«

»Sandhaar muß Riding Bear nicht für dumm halten, bloß weil dessen Hautfarbe dunkler ist«, erwiderte der Nez Perce mit unbewegtem Gesicht. »Riding Bear kennt Kugeln und Gewehre. Beides kann guter Zauber sein, wenn es hilft, den Feind und das Wild zu töten. Und schlechter Zauber, wenn es die Männer und Frauen der Kaminu tötet.«

»Die Kaminu?« Jacob sah den Indianer fragend an.

»So nennt sich Riding Bears Volk. Ihr Weißen nennt uns Nez Perce. Aber dieser Name meint viele Gruppen, und jede dieser Gruppen hat einen eigenen Namen.« Ein verächtlicher Zug trat in Riding Bears Gesicht. »Zu schwierig für den weißen Mann.«

»Nicht alle sind so dumm, wie Riding Bear denkt, auch wenn unsere Hautfarbe heller ist als seine.«

Ein Zucken durchlief die Züge des Indianers.

War es so etwas wie ein Lächeln? Oder ein Ausdruck der Verärgerung?

»Sandhaars Zunge ist flinker als sein Geist.«

Sandhaar!

An diesen Namen mußte sich Jacob erst gewöhnen.

Die Bemerkung des Indianers gab ihm zu denken, und er fragte: »Will Riding Bear mir seine Worte erklären?«

»Sandhaar sprach davon, die Kugel in der letzten Nacht aus Riding Bears Brust geholt zu haben.«

Jacob nickte. »Ja, so ist es.«

»Nein, so ist es nicht. Es war die Nacht vor der letzten Nacht.«

Vielleicht war Jacobs Geist wirklich nicht so rege, wie Jacob angenommen hatte. Erst allmählich begriff er die Bedeutung von Riding Bears Worten.

»Du meinst... ich habe nicht nur eine Nacht geschlafen, sondern zwei Nächte und dazwischen einen ganzen Tag?«

Riding Bear nickte und blickte nach oben, zur Sonne, die ihren Zenit bereits überschritten hatte.

»Und noch einen halben Tag dazu. Sandhaar ist einer der stärksten Männer, die Riding Bear kennt. Sonst wäre er nicht aus der Schlucht entkommen. Aber selbst ein starker Mann braucht nach einer solchen Anstrengung Ruhe.«

Das mochte sein, aber es gefiel Jacob nicht sonderlich. Denn es bedeutete, daß sich der Treck mit Irene und Jacob in der Zwischenzeit noch weiter von ihm entfernt hatte.

Der Indianer hielt die Kugel noch näher vor Jacobs Augen und fragte: »Weshalb hat Sandhaar den bösen Zauber. die Kugel aus Riding Bears Brust geholt?«

»Weil du sonst gestorben wärst. Wahrscheinlich noch in der Nacht.«

»Das ist keine Antwort«, behauptete der Indianer brüsk.

Jacob blickte ihn verwirrt an. »Warum nicht?«

»Weil es die Weißen nicht kümmert, ob die Kaminu sterben.«

»Vielleicht kümmert es nicht alle Weißen, aber bestimmt sehr viele. Auf jeden Fall kümmert es mich!«

Ein bitterer Zug umspielte die Lippen des Roten, als er erwiderte: »Riding Bear möchte Sandhaar glauben, aber er kann es nicht. Zu oft schon haben die Weißen mit gespaltener Zunge zu den Kaminu gesprochen. Hat Sandhaar vor zwei Tagen nicht gegen Riding Bears Brüder gekämpft?«

»Doch«, seufzte Jacob, »das habe ich.«

»Sandhaar gibt es zu?« fragte Riding Bear verwundert nach.

»Natürlich gebe ich es zu. Denn es ist die Wahrheit. Vorgestern wußte ich noch nicht, daß Riding Bear und seine Brüder einen guten Grund für ihren Kriegszug haben. Ich half den anderen Weißen, weil ich sie im Recht glaubte.«

Die schmalen Augen in dem dunklen Gesicht blickten Jacob forschend an. »Und was glaubt Sandhaar jetzt?«

»Daß die Kaminu im Recht sind. Denn jetzt weiß ich, was die Leute aus Greenbush ihnen angetan haben.«

Riding Bears Blick verklärte sich. Der Indianer sah nicht mehr Jacob an, sondern in eine weite Ferne, die nur der Geist so schnell zu überwinden vermochte.

»Riding Bear hatte einen Vater und eine Mutter«, sagte der Nez Perce langsam, ruhig.. »Beider Körper waren alt, aber in ihren Köpfen waren sie noch jung. Als Riding Bear von der Jagd heimkam, waren sie tot. Riding Bear hatte eine Squaw mit dem Namen Clear Water, weil ihre Augen so klar waren wie das Wasser der Bergflüsse. Im letzten Sommer schenkte Clear Water Riding Bear einen Sohn. Er war so winzig, daß wir ihn Little Hands nannten. Aber wir glaubten fest, daß er einst einen anderen Namen tragen und ein starker, stolzer Krieger sein würde. Als Riding Bear von der Jagd zurückkehrte, waren Clear Water und Little Hands tot. Wie Riding Bears Eltern waren sie ermordet und ihrer Skalps beraubt worden. Wie alle Frauen, alle Kinder und alle Alten, die im Lager zurückgeblieben waren.«

Die Stimme des Kriegers wurde noch leiser, zugleich aber dunkler und anklagend, als er fortfuhr: »Bevor Clear Water starb, nahm ihr Mörder sie mit Gewalt! Sie war nicht die einzige Squaw, der das widerfuhr. Ein paar der Geschändeten waren noch sehr jung. Kinder!«

Der Blick des Nez Perce kehrte ins Hier und Jetzt zurück. Ein wildes Feuer brannte in Riding Bears Augen.

Mit einer zornigen Bewegung schleuderte er die Kugel fort. Dann zeigte er mit der Hand auf Jacob.

»Die Männer, die meinen Stamm ermordeten, waren Weiße wie Sandhaar! Riding Bear hat allen Weißen den Tod geschworen. Warum soll er bei Sandhaar eine Ausnahme machen?«

Ein Grinsen zog über das Gesicht des jungen Deutschen.

»Warum lacht Sandhaar?« fragte der Nez Perce erbost. »Ist das die Art des weißen Mannes, die Kaminu erst zu töten und sie dann zu verspotten?«

»Ich verspotte niemanden«, erwiderte Jacob traurig. »Ich mußte nur daran denken, daß die Kaminu und die Siedler aus Greenbush vielleicht eine ganze Menge gemeinsam haben. Die Weißen schwören allen Roten den Tod, und die Roten allen Weißen. So wird das Töten zu seinem eigenen Grund und geht immer weiter, bis es von einer Hautfarbe keinen mehr gibt. Aber ich glaube, auch dann hören die Menschen mit dem Töten nicht auf.«