Der Franzose beugte sich zu Magnus de la Gardie, nickte in Elins Richtung und sagte etwas. Seine Stimme war zu freundlich, um nicht hinterhältig zu sein. Die Worte verstand Elin nicht, sehr wohl aber den Tonfall.
»Hör nicht auf ihn«, sagte Lovisa ärgerlich. Offensichtlich hatte sie vergessen, dass Elin kein Französisch sprach.
»Was bedeutet ›trébuche‹?«, fragte Elin.
Lovisa seufzte.
»Stolpern. Er sagt, du läufst wie eine Ente, die über ihre eigenen Füße fällt.«
Elin warf dem Jüngling einen empörten Blick zu. Als hätte er nur auf ihre Reaktion gewartet, brach er in schallendes Gelächter aus.
Plötzlich erklang ein schrilles Wiehern. Holz knirschte, das Ächzen von Lederriemen ließ Elin alarmiert zur Seite springen. Aufgeregte Rufe und lautes Gebrüll hallten durch die Luft. Elin sah, wie eins der Kutschpferde sich aufbäumte und strauchelte.
»Hooo!«, rief der Kutscher. Die Zügel verhedderten sich, ein Riemen riss. Das Pferd verdrehte in Panik die Augen, bis das Weiße zu sehen war, und keilte aus. Holz splitterte und mit einem Mal spielten alle vier Kutschpferde verrückt. Unter dem Gewicht der Achsen, die sich bogen, ächzte der Schlitten und erhob sich aus seinem Schneebett. Die Mädchen kreischten, als das Gefährt seitlich über den Schneebuckel gehebelt wurde, bevor es mit Getöse umkippte. Ein schrilles Wiehern ließ Elin herumfahren. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie das Ross des Franzosen stieg. Für ein paar Sekunden glaubte sie auf ein Reiterstandbild zu blicken, dann scheute das Pferd und sprang zur Seite. Bockend wand und drehte es sich, brach aus, stemmte sich gegen den Zaum und riss dem Marquis schließlich mit einem Ruck die Zügel aus der Hand. Ein Grenadier sprang herbei, doch schon im nächsten Augenblick taumelte er zurück und hielt sich stöhnend die Hüfte, an der ihn ein Huf getroffen hatte. Der dunkelgrüne Mantel des Marquis flog durch die Luft, auf und ab wie eine riesige Vogelschwinge, dann beförderte ein gewaltiger Bocksprung den Jungen aus dem Sattel.
»Duck dich!«, schrie Elin. »Runter mit dem Kopf!« Nun sahen es auch die anderen. Der rechte Fuß des Reiters hatte sich im Steigbügel verfangen. Das Ross, durch den Zug am Sattel noch mehr in Rage gebracht, trat wie von Sinnen aus. Elin blickte in seine weit aufgerissenen, braunen Augen, dann tat der Junge endlich das einzig Richtige, krümmte sich zusammen und schützte seinen Kopf mit den Armen. Ein Hinterhuf schnellte knapp an seinem Ellenbogen vorbei. Endlich waren auch die Grenadiere zur Stelle und kreisten das Pferd ein. Das riesige Tier legte die Ohren an, preschte los und schleifte den Marquis hinter sich her. Der Mantel rutschte ihm über den Kopf und folgte ihm wie eine Schleppe. Ein Soldat sprang vor, glitt jedoch ab und bekam den Zügel nicht zu fassen. Elin lief los.
»Halt!«, kreischte Lovisa, aber Elin kümmerte sich nicht um sie. Sie spürte kaum, wie sie in den ungewohnten Schuhen umknickte. Das Pferd galoppierte in ihre Richtung. Noch war es damit beschäftigt, vor dem Gewicht, das am verrutschten Sattel zog, zu fliehen, seine Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf das Bündel, das es hinter sich herzerrte. Elin wartete den richtigen Moment ab und sprang nach vorne. Knapp verfehlte sie den peitschenden Zügel, doch mit der rechten Hand bekam sie den Kehlriemen zu fassen. Der Ruck, der durch ihre Schulter fuhr, schmerzte wie Feuer. Das Mieder nahm ihr alle Luft. Sie biss die Zähne zusammen und legte sich mit ihrem ganzen Gewicht in den Riemen. Schnee klatschte gegen ihre Wange und machte sie für einige Sekunden fast blind. Dennoch ließ sie nicht los, sondern klammerte sich mit der linken Hand an der Mähne fest. Das Pferd drehte sich um seine eigene Achse und schleifte sie mit. Ein Schmerzensschrei erklang, dann das hässliche Geräusch reißenden Stoffs. Elin wurde wie ein nasser Lappen herumgeschleudert, bis es ihr schließlich gelang, das Wolltuch mit der linken Hand von den Schultern zu ziehen. Schon hatte sie den Stoff hochgeworfen und zerrte ihn über die Pferdestirn. Noch zwei Handgriffe und die Augen des Pferdes waren bedeckt. Irritiert riss der Hengst den Kopf hoch, blieb aber mit zitternden, angespannten Beinen wie angewurzelt stehen. Seine Flanken dampften, sein keuchendes Schnauben füllte die Luft mit Atemwolken.
»Bis du wahnsinnig, Mädchen!«, rief ein Grenadier. Ein Arm fasste sie um die Taille und riss sie von dem Pferd weg. Plötzlich hatte sich eine ganze Gruppe von Soldaten um das nervöse Tier versammelt. Sie trieben es zur Seite, banden die baumelnden Riemen hoch und zogen den Sattel herunter. Jemand befreite den Fuß des Marquis aus dem Steigbügel und half dem stöhnenden Jungen auf die Beine. Als er mit dem rechten Fuß auftreten wollte, presste er zwischen den Zähnen einen Fluch hervor, den Elin auch ohne die Sprache zu kennen verstand. Unwillkürlich musste sie grinsen.
»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, zischte Lovisa. »Du hättest umkommen können!«
Flinke Finger zupften an Elins Haar. Ihre Frisur hatte sich aufgelöst, das lange Haar fiel ihr über die rechte Schulter.
»Und das Kleid!«, stöhnte Lovisa. »Sieh dich nur an!«
Zögernd wandte Elin den Blick von den Soldaten und betrachtete gehorsam ihren Ärmel. Der weiße Stoff hatte einen Riss bekommen und war über und über vom Schaum des Pferdemauls verschmiert. Ihre Schulter schmerzte und mit einem Mal fror sie so sehr, dass ihre Zähne klappernd aufeinander schlugen.
»Es tut mir Leid«, stammelte sie. »Ich werde es ersetzen.«
»Ersetzen! Du! Pah! Man sollte dich lieber gleich in Männerkleidung packen, wenn du dich am liebsten mit den Gäulen herumschlägst. Und wie kommst du dazu, dem Vieh dein gutes Wolltuch um den Kopf zu wickeln?«
»Solange ein Pferd nichts sieht, bewegt es sich nicht. Bei den Gudmunds war das die einzige Möglichkeit, das bockige Kutschpferd anzuschirren.«
Lovisa verdrehte die Augen.
»So«, meinte sie sarkastisch. »Na, du kannst unserer Königin auf der Jagd wirklich bestens Gesellschaft leisten.«
Die Kutsche war beschädigt. An einer Stelle war ein Holm gesplittert, Farbe war abgeplatzt, Schneematsch hatte die Gardinen und den Samt der Sitze beschmutzt. Innen lagen Decken und Bündel, zerbrochene Lampen und die Scherben des Ofens wild verstreut. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Schlitten wieder fahrtüchtig war. Elin war froh, ihren Wollschal wiederzubekommen, auch wenn er verschmutzt und zum Teil nass war. Sie drückte ihren schmerzenden Rücken gegen die Lehne. Ihre gezerrte Schulter pochte.
Der Kutscher wollte gerade anfahren, als die Tür aufgerissen wurde. Grüner Stoff leuchtete auf. Der Marquis hatte Schwierigkeiten, sich zu setzen, ohne sein verletztes Bein anzuwinkeln. Magnus de la Gardie nahm ihm gegenüber Platz. Schneeklumpen lösten sich von seinem Mantel und zerstoben auf dem Holzboden.
»Hat jemand den Arzt verständigt?«, fragte Lovisa mit einem kritischen Blick auf das Knie des jungen Grafen.
»Van Wullen fährt im ersten Wagen mit der Königin und den Gästen. Sobald wir den Tross eingeholt haben, wird er sich die Wunde ansehen.«
Mit einem Ruck setzte sich der Schlitten schließlich in Bewegung und gewann schnell an Fahrt. Erst jetzt fiel Elin auf, dass jemand ein paar der Lämpchen, die nicht kaputtgegangen waren, wieder aufgehängt hatte. Im schaukelnden Licht betrachtete sie den Marquis. Auf seiner Wange prangte eine Schürfwunde. Die Borten und Schleifen, die seine spanischen, halblangen Hosen zierten, waren zum Teil abgerissen oder zerdrückt. Auch die Knopfleiste, die das eng geschnittene Wams zierte, hatte unter dem Sturz gelitten. Am schlimmsten aber sah sein Knie aus. Dort musste das Pferd ihn getreten haben. Der kostbare Stoff war zerrissen und die Haut blutverkrustet. Die Wunde musste höllisch schmerzen, aber der Franzose ließ sich nichts anmerken und starrte nur stur aus dem Fenster. Trotz seiner Fremdheit erschien er Elin nicht viel anders als der arrogante Bäckersohn aus Gamla Uppsala.