»Liederlich!«, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr. Elin fuhr erschrocken zurück und stolperte dabei über ihren Rocksaum. Eine Hand bewahrte sie gerade noch vor einem uneleganten Sturz.
Der Mann musste soeben die Treppe heraufgekommen sein. Heiß schoss Elin das Blut in die Wangen. Sie knickste verlegen und murmelte eine Entschuldigung. Der alte Mann sah sie streng an. Er trug einen spitzen Kinnbart und dunkle Gewänder, die verstaubt und altmodisch wirkten. Sein weißer Spitzenkragen war frisch gestärkt. Die goldenen Ketten, die schwer auf seine Brust fielen, mussten ein halbes Königreich wert sein.
»Entschuldige dich nicht, Mädchen. Es ist kein Wunder, dass diese italienischen Schamlosigkeiten die Jugend verführen. Nun, es ist immer verlockender, an die Liebe zu denken als an die Pflicht.« Seine scharfen, durchdringenden Augen, unter denen Tränensäcke hingen, wurden schmal. »Ich habe dich hier noch nie gesehen – bist du die Tochter von Sekretarius Jörnsson?«
Elin schüttelte den Kopf.
»Elin Asenban«, flüsterte sie. »Aus Uppsala.« Das strenge Gesicht wurde noch eine Spur härter.
»Ach richtig«, sagte er. »Das halbdeutsche Hurenkind, das Mitbringsel aus dem alten Schloss. Ich habe schon von dir gehört. Und was sucht jemand wie du bei den Arbeitsräumen?«
Das war der Ton, den sie von Gudmunds Hof nur zu gut kannte – und trotzdem kam ihr der Satz vor wie eine Ohrfeige.
»Ich … wollte nachfragen … bei der Königin. Oder bei einem Hofmeister. Ob es Arbeit für mich gibt.«
Die buschigen Augenbrauen zogen sich nun noch enger zusammen.
»Dass du hier bist, heißt nicht, dass du zum Schloss gehörst und hier im administrativen Flügel herumlaufen darfst, wie es dir passt«, wies der alte Herr sie zurecht. »Das ist kein Kuhstall. Am Donnerstag ist der nächste offizielle Audienztag. Da kommen die Bauern, um der Königin ihr Leid zu klagen. Und auch die Hurenkinder und die anderen Mindergeborenen dürfen dort ihre Fragen an sie richten.«
Elin sah den Adligen entsetzt an. Seltsamerweise musste sie genau in diesem Moment an Lovisas Beschreibung des Stockholmer Südtores denken, über dem die Köpfe der Hingerichteten aufgespießt wurden und über Wochen hinweg verrotteten. Sie beeilte sich, ihren Blick zu senken. Der alte Herr wartete immer noch auf eine Antwort. Was würde Lovisa an ihrer Stelle antworten? Höflich bleiben! Nicht durchscheinen lassen, was man wirklich dachte.
»Sie haben Recht«, sagte Elin leise. »Hier, wo ich als Mindergeborene bezeichnet werde, habe ich ganz sicher nichts zu suchen. Wenn Sie so freundlich wären und mir sagen würden, wie ich diese Räume hier auf dem schnellsten Weg verlassen kann …«
»Oh, auch noch scharfzüngig. Nun, da kann ich dir helfen. Du gehst diese Treppe dort hinunter – und dann noch ein paar Stufen mehr. Und ganz unten, in der Nähe der Vorratskeller, da wirst du den Ort finden, an dem du dich zu Hause fühlst.«
Wieder besann Elin sich auf alle Lektionen, die Lovisa ihr erteilt hatte, und rang sich ein steifes Lächeln ab.
»Ich danke vielmals für die liebenswürdige Auskunft. Ohne Sie hätte ich den Platz, der mir zusteht, sicher nicht gefunden. Ich wünsche einen angenehmen Tag.«
Obwohl ihre Knie zitterten, machte sie einen übertrieben tiefen Knicks und ging. Den Blick des alten Adligen spürte sie noch lange wie eine kalte Hand im Genick. Niedergeschlagen blieb sie an der Treppe stehen. Tränen brannten in ihren Augen. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. Halt suchend berührte sie einen Wandteppich, auf dem ein Wald abgebildet war. Hurenkind konnte man sie nennen, ja, aber diese Berührung hier gehörte ihr nun ebenso gut wie den Adligen.
In der Furcht, weiteren adligen Herrschaften zu begegnen, lief sie die Treppe nach unten. Irgendwann würde sie einen Raum, einen Gang erkennen und wissen, wie sie wieder zu Lovisas Kammern zurückkehren konnte. Je weiter sie in die unteren Stockwerke des Schlosses kam, desto mehr Menschen begegneten ihr. Anstelle von Wandteppichen gab es hier nur nackte Ziegelwände und Gewölbe – und statt Musik hörte sie barsche Rufe. Beinahe musste sie lächeln, als sie erkannte, wohin der Adlige sie geschickt hatte: zu den Küchen. Der vertraute Geruch nach Fisch und verbranntem Fett tröstete sie. Sie lehnte sich an eine Tür, lauschte den Geräuschen, dem Klappern und Lachen, den schnellen Schritten und dem Plätschern von Wasser und fühlte sich einen Augenblick lang geborgen. Fast war es so, als würde sie gleich Emilias Stimme hören, die sie mahnte, an die Arbeit zu gehen, bevor Greta zurückkam. Elin lächelte. Wenn Königin Kristina ihr keine Arbeit gab, konnte sie bis zum Audienztag genauso gut selbst nach einer Beschäftigung suchen.
Aber auch hier unten war sie nicht willkommen. Ihre Gegenwart irritierte die Diener, die Mägde knicksten verstört und wichen ihr aus. Elin schlich zur nächsten Tür und spähte vorsichtig in einen Raum. Ein Haufen von Schwanenfedern türmte sich auf dem Tisch. Eine Frau war emsig damit beschäftigt, die Federn auf einem Geflecht aus Eisendraht zu befestigen. Die Frau hatte graublondes, feines Haar und trug ein einfaches braunes Kleid. Leise sang sie ein Lied vor sich hin. Elin erkannte es sofort: »Herr Olof och Älvorna« – Herr Olof und die Feen – wie oft hatte Emilia es ihr vorgesungen! Die Frau griff zu einer weiteren Feder. Ihr Lied verstummte.
»Komm herein oder bleib draußen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. In ihrer Stimme lag ein Lächeln. Elin machte einen vorsichtigen Schritt ins Zimmer. Auf dem gefliesten Boden schlugen die Absätze ihrer Schuhe laut auf. Zögernd umrundete sie den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Die Frau tauchte den Kiel einer Schwanenfeder in eine Schale mit Harz und fixierte sie anschließend mit einem Bindfaden am Drahtgestell. Ab und zu hob sie den Metallflügel an und prüfte die andere Seite. Zwischendurch schickte sie einen kurzen Blick aus freundlichen, graublauen Augen zu Elin.
»So«, sagte sie schließlich. »Und nun den anderen Flügel! Möchtest du mir helfen?«