»Nun, ganz Unrecht hat er damit wohl nicht, oder?« Mit einer unwirschen Bewegung riss Lovisa ihr die Schürze herunter, knüllte sie zusammen und wischte Elin damit etwas von der Wange. Wie gelähmt blieb Elin stehen, bis die Kammerfrau sie bei den Schultern nahm und zwang weiterzugehen. Erst nach einigen Schritten stutzte Lovisa und blieb stehen.
»Du hast verstanden, was er gesagt hat?«
»Nur diesen Satz.«
»Wer hat dir das beigebracht?«
»Niemand«, antwortete Elin kläglich. »Ich höre nur zu. Wenn ich etwas nicht verstehen soll, redest du immer auf Französisch.« Es war unglaublich, aber Lovisa war tatsächlich sprachlos. »Aber das andere habe ich nicht verstanden«, entschuldigte sich Elin. »Was hat er noch gesagt?«
»Das willst du nicht wissen.«
»Sei doch nicht so böse auf mich, Lovisa!«
»Ich bin nicht böse«, entgegnete Lovisa zu ihrem Erstaunen. »Du benimmst dich so, weil du es nicht besser weißt. Andere dagegen …«
Mit hektischen Fingern ordnete sie ihre Schläfenlocken und gewann ihre Fassung wieder zurück.
»Also gut, ich sage es dir. Er hat vorgeschlagen, man solle dir eine Rübenkrone schnitzen. Und als Zepter gebe man dir eine Gurke in die Hand, damit du standesgerecht über deinesgleichen herrschen kannst. Nun, den Tonfall brauche ich wohl nicht zu übersetzen.«
Keiner von Gretas Schlägen hatte je so geschmerzt. Elin biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es wehtat. Sie musste sich mehrmals räuspern, um den Satz, den sie sagen wollte, herauszubringen.
»Ich … möchte seine Sprache erlernen, Lovisa. Kannst du mir helfen? Dafür gebe ich dir den Riksdaler und die zwei Öre, die ich heute verdient habe.«
Die alte Kammerfrau sah sie mit offenem Mund an. Musik und Gelächter drangen durch die Tür. Nach einer Weile glätteten sich Lovisas zerknitterte Lippen zu einem Lächeln. Sie sah sich nach der geschlossenen Tür um.
»Das Verbeugen werde ich dir dennoch nicht ersparen können«, sagte sie leise. Mit einem Mal trat sie an Elin heran und nahm sie fest bei den Schultern. Auch Lovisa, stellte Elin fest, hatte Drachenaugen. »Behalte dein Geld und versprich mir dafür eins. Wenn ich dir genug Französisch beigebracht habe, dann zahlst du Monsieur Henri diesen Riksdaler, der ihm sein Leben wert war, Wort für Wort zurück.«
Gespenster
Der Gang war so zugig, dass die Flammen der Kerzen in den bronzenen Wandhalterungen bedrohlich flackerten. Hinter den Fenstern war es noch schwärzeste Nacht. Mit fünf schweigsamen Gestalten wartete Elin vor der mächtigen Flügeltür. Sie wurde von zwei Gardisten bewacht, die genauso müde aussahen wie die Gesellschaft, die sich beim Arbeitskabinett der Königin eingefunden hatte. Drei der Herren mussten Sekretäre sein, denn sie trugen Akten unter dem Arm und hatten Tintenflecken an den Händen. Einer konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen und steckte die anderen damit an. Stühle oder Bänke gab es keine. Es war noch nicht einmal fünf Uhr morgens und Elin fragte sich, ob sie hier wohl warten mussten, bis die Königin erwachte. Das würde sicher nicht vor neun oder zehn Uhr geschehen. Verstohlen musterte sie den jüngeren der beiden Gardisten. Er war höchstens fünf Jahre älter als sie und wenn sie nicht hinsah, konnte sie aus den Augenwinkeln erkennen, dass er sie ebenfalls betrachtete. Sie konnte sich vorstellen, was er sah: ein Edelfräulein, hergerichtet wie ein Paradepferd. Unbarmherzig hatte Lovisa heute an ihren Haaren gezerrt, um das Harz zu entfernen. Dann wurde ihr Haar in drei Partien geteilt, am Hinterkopf zu einem flachen Dutt hochgesteckt, den Lovisa als »Chignon« bezeichnete. Rechts und links von der Schläfe fiel Elins Haar nun in gedrehten Locken herab und kitzelte ihre Wangen. Eine Stelle an ihrem Ohr, an der Lovisa sie mit einem heißen Metallstab versengt hatte, war rot und pochte.
Die Gemächer der Königin lagen direkt neben den Verwaltungsräumen. Unten, am Fuß der Treppe, leuchtete wie ein verheißungsvoller Sonnenstrahl das Bild der nackten Schönheiten. Als die Tür endlich geöffnet wurde, war Elin so sehr in den rosenfarbenen Frühlingswald vertieft, dass sie erst gar nicht bemerkte, wie die frierenden Gestalten zum Leben erwachten. Gehorsam nahm sie Aufstellung und folgte den Sekretären durch die Tür.
Das Arbeitskabinett der Königin unterschied sich kaum von dem Raum in Uppsala, nur dass dieser hier größer war und mehreren Schreibern Platz bot. Die Seitentüren, die in weitere Gemächer führten – vielleicht sogar direkt in die Privatgemächer der Königin – waren geschlossen. Kristina stand in ein Dokument vertieft neben ihrem Schreibtisch und hob kaum den Kopf, als die Eintretenden ihr mit einer tiefen Verbeugung ihre Aufwartung machten. Elin musste zweimal hinsehen, um sich zu überzeugen, wirklich die Königin vor sich zu haben. Sie wirkte noch kleiner, als Elin sie in Erinnerung hatte, und sah aus wie eine nachlässig gekleidete Bürgerin. Ihre Haare waren offensichtlich in großer Hast hochgesteckt worden. Eine goldbraune Strähne hatte sich gelöst und fiel ihr auf die Schulter.
»Ach, das Fräulein Elin ist auch da.« Die Königin schenkte ihr ein Lächeln. »Und aufgezäumt hat man sie ebenfalls. Na, wie gefällt es dir im Kreise meiner Frauen?«
Zehn Augenpaare starrten Elin neugierig an. Beinahe hätte Elin die Frage ebenso unbefangen beantwortet, wie sie ihr gestellt worden war, aber dann fiel ihr ein, was Lovisa ihr eingebläut hatte: Rede vor unserer Königin nicht zu offen und beachte die Gebote der höflichen Konversation.
»Gut, Ihre Majestät«, antwortete sie. Die Königin hatte sich bereits wieder in ihren Brief vertieft. An ihrem rechten Ärmel prangte ein frischer Tintenfleck.
»Aha. Und die Kandare haben sie dir auch schon zwischen die Zähne gezwängt«, stellte sie fest. »Wo ist meine rebellische Scheuermagd geblieben?« Elin erschrak über den Tadel in Kristinas Stimme. »Setz dich dort neben das Fenster«, befahl die Königin barsch. »Ich werde mich später mit dir befassen.« Elin knickste mit hochrotem Kopf und ging, von den Höflingen misstrauisch beäugt, zu einem geschnitzten Stuhl mit einer durchgesessenen Sitzfläche. Dort verbrachte sie die Zeit damit, der Königin dabei zuzusehen, wie sie ihren Sekretären Briefe diktierte und mit gerunzelter Stirn Akten und einzelne Schriftstücke studierte. Es ging um die Friedensverhandlungen in Deutschland, konnte Elin heraushören. Osnabrück und Münster spielten eine wichtige Rolle. Elin nutzte die Zeit, um sich die Königin genau anzusehen. Um die Akten zu lesen, beugte sich Kristina tief über das Papier und kniff die Augen zusammen – so als würde sie auf die Ferne nicht gut sehen. In den wenigen Augenblicken, in denen sie saß und nicht im Kabinett auf und ab ging, fiel ihre schiefe Schulter besonders auf. Und als sie einmal neben Elin am Fenster stehen blieb, ragte unter dem Rocksaum die Spitze eines flachen Männerschuhs aus schwarzem Leder hervor. Elin konnte sich immer weniger einen Reim auf die junge Königin machen. Frau Gudmund hatte oft gezetert, dass Kristina verschwendungs- und vergnügungssüchtig sei und das Geld mit vollen Händen für Tanz und französischen Pomp ausgebe. Diese konzentrierte Frau in ihrem schlichten Kleid passte allerdings so gar nicht zu der Beschreibung – so wenig wie Emilias Vorstellungen von einem Leben bei Hofe. Als die Königin schließlich die letzte Akte zuklappte, war es im Kabinett schon hell geworden. Mehrere Stunden waren vergangen und Elin hatte sich keinen Augenblick gelangweilt. Aber wenn sie gedacht hatte, dass sich die Königin nun endlich ihr zuwenden würde, hatte sie sich getäuscht. Stattdessen schwang die Flügeltür auf und Axel Oxenstierna trat ein. Die Lehne drückte gegen Elins Rücken, so sehr wünschte sie sich, einfach in der Wand zu verschwinden. Der Kanzler warf ihr jedoch nur einen mürrischen Seitenblick zu und wünschte dann der Königin einen Guten Morgen. Bis auf einen Schreiber verließen alle Sekretäre den Raum. Schon wollte Elin sich ebenfalls erheben, als eine knappe Geste der Königin sie auf ihren Stuhl zurückbefahl. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie den Kanzler und die Königin dabei, wie sie noch einmal die Beschlüsse des Tages durchgingen. Ihre Vertrautheit ließ auf eine lange Bekanntschaft schließen. Königin Kristinas Stimme war bestimmt, aber respektvoll, als sie mit dem alten Kanzler sprach. Dennoch schienen ihre Ausführungen nicht seine Zustimmung zu finden.