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»Jetzt soll sie auch noch reiten, meine Güte!«, tuschelte Tilda. »Meint ihr, die Königin wird ihr auch noch befehlen, Hosen zu tragen?«

»Nun, das würde ihr jedenfalls besser stehen als der Samtrock.« Das war Linneas Stimme. »Wenn sie meint, dass niemand hinschaut, läuft sie wie ein Stallknecht. Vielleicht macht sie auf dem Pferd eine bessere Figur.«

»Bist du sicher? Wenn sie so reitet wie die Königin?«

Wieder ein Prusten. Das Getuschel wurde leiser und schärfer.

»Die Königin reitet wie ein Mann.«

»Vielleicht ist sie ja ein Mann?«, sagte Tilda. Empörungsrufe der anderen Mädchen wurden laut.

»Du Schandmaul!«

»Das ist doch nicht dein Ernst!«

»Doch! Im Ausland werden solche Vermutungen angestellt. Der Diener des englischen Gesandten hat es mir verraten. Wegen ihrer tiefen Stimme. Und seid mal ehrlich, denkt euch die Röcke weg – könnte sie nicht ein Mann sein?«

Elin schüttelte den Kopf. Wie konnte jemand die Königin für einen Mann halten?

»Wie soll das gehen – meint ihr, sie stopft sich Äpfel ins Dekolletee?«

»Nun stell dich nicht dümmer, als du bist! Diese zwei Äpfelchen hier verdankt Linnea allein Frau Lovisas Näh- und Polsterkunst.«

Ein Quieken und ein Klatschen ertönte, als hätte Linnea eine vorwitzige Hand weggeschlagen.

»Ach, hört auf!«, zischte ein anderes Mädchen. »Und lasst das niemanden hören! Das sind doch Lügen!«

»Nun, in jeder Lüge steckt ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht gründet sich der Verdacht auf der Vermutung, dass die Königin liebt wie ein Mann?«

»Hast du ihr schon einmal unter den Rock geschaut?«

»Ich nicht, aber Fräulein Ebba bestimmt!«, gab Tilda zurück. »Linnea hat gesehen, wie Kristina das Fräulein geküsst hat! Und warum sollte die Königin sonst mit der Heirat so lange zögern? Wer weiß, was der Bräutigam in der Hochzeitsnacht unter dem Rock finden würde?« Das Kichern wurde lauter und erlosch so abrupt, als hätte jemand die Flamme einer Kerze mit einem eiskalten Hauch ausgeblasen. Einen Augenblick herrschte betretene Stille, dann hörte Elin das Poltern eines umgekippten Stuhls und ein erschrockenes »Oh!«.

»So, hat es euch endlich die Sprache verschlagen?« Lovisas Stimme klang wie ein Donnerschlag. Vor Schreck stach sich Elin noch einmal in den Finger. »Tilda! Linnea! Raus hier! Geht in die Kammer, bis ich euch hole.«

»Oh, Frau Lovisa, verzeihen Sie«, schluchzte die dürre Linnea. »Wir haben nur gescherzt …«

»Das sind keine Scherze, sondern dumme Lügen! Und die werden euch eines Tages noch den Kopf kosten. Wisst ihr, was man im russischen Zarenreich mit solchen Lügnerinnen macht? Man gräbt sie nackt bis zum Kopf in die Erde ein und lässt sie erfrieren. Und Königin Kristina wird weitaus erfindungsreicher sein, wenn sie hört, wie ihr dummen Gänse sie verleumdet.«

Elin hörte entsetztes Stöhnen und unterdrücktes Schluchzen, dann stürzten die zwei Mädchen mit verweinten Gesichtern und hochroten Köpfen durch die Seitentür in das Durchgangszimmer, in dem Elin saß, und verschwanden durch die Tür. Lovisa gönnte Elin keinen Blick, als sie die Kammer betrat. Auf dem Arm trug sie ein Gewand aus festem, grauem Stoff.

»Zu fest geschnürt, ja?«, murmelte sie und winkte Elin zu sich. Mit wenigen Handgriffen hatte sie die Schleifen an Elins Mieder geöffnet und begann die Schnüre zu lockern. Es war ein seltsames Gefühl, die Hände der Kammerfrau auf dem Rücken zu spüren. Trotz ihres Ärgers waren ihre Griffe nicht schmerzhaft, sondern sanft und flink. Erleichtert atmete Elin tief ein. Wenig später hatte sie sich von einer Puppe in einen Menschen zurückverwandelt. Statt der hohen Schuhe trug sie flache Halbschuhe aus schwarzem Leder – ähnlich denen der Königin – und ein etwas zu weites, graues Gewand aus robustem Stoff. Lovisa zupfte mit kritischem Gesicht die Rockfalten zurecht und seufzte.

»Gewöhnlich siehst du jetzt aus«, seufzte sie. »Ein Jammer bei einem so hübschen Mädchen!« Endlich schenkte sie Elin ein flüchtiges Lächeln und kniff sie leicht in die Wange.

»Wie apart sie aussieht!«, rief Fräulein Ebba schon von weitem. »Ich dachte, du hättest grüne Augen, aber wenn du ein graues Kleid trägst, sind auch deine Augen grau wie heller Satin!« Die Gruppe von Höflingen, die Ebba begleitete wie ein Schwarm Motten das Licht, musterte nach dem Kompliment interessiert Elins Gesicht, als gäbe es einen Schatz zu entdecken, den sie dort nie vermutet hätten.

»Ich danke Ihnen«, murmelte Elin. Neben Ebba, die ein safrangelbes Gewand trug, fühlte sie sich wie ein Küchenkäfer neben einem Schmetterling. »Kommt«, befahl Ebba. »Wir nehmen den kürzesten Weg zum Bootssteg!«

Elin hatte erwartet, wieder in einen großen Schlitten steigen zu müssen, der sie über die Brücke bringen würde, stattdessen führte der Weg noch tiefer ins Schlossinnere, mehrere Treppen hinunter in Richtung der Vorratskeller. Durch Gänge, die immer roher wurden – erst Ziegelgewölbe, wo Brennholz gelagert wurde, dann grob behauener Sandstein –, kamen sie durch mehrere Tore und Türen, bis ihnen eisige Luft entgegenwehte. Ein direkter Gang aus dem Schloss! Elin sperrte den Mund auf und blickte an der steilen Burgmauer hoch, die sich, so schien es ihr, bis in den Himmel erhob. Es musste die Ostfassade sein, denn man konnte von hier aus auf die Schiffsinsel mit der Werft schauen. Das Hafenwasser vor ihnen war gefroren. Im Sommer musste hier ein Landungssteg für Ruder- oder Transportboote sein, jetzt aber standen kleine Holzschlitten bereit, um die Gesellschaft über das Eis zum Festland zu bringen. Die Pferde vor den Schlitten scharrten im Schnee, der die Eisfläche bedeckte. Schon beim Anblick der Tiere bekam Elin Herzklopfen. Ein Auftrag der Königin! Und sie sollte dafür reiten lernen. Der nächste Gedanke jagte Elin einen Schauer über den Rücken. Ob die Königin sie nach Deutschland schicken würde?

Ebba winkte Elin zu sich und ließ sie in ihrem Schlitten Platz nehmen. Das Gefährt war nicht viel mehr als eine offene Holzschale mit Kufen. Geschnitzte Meerespferde flankierten die Seiten. Mit einem scharfen Ruck setzte es sich in Bewegung. Die Lakaien froren in ihren Prachtlivreen und trieben die Pferde zu einem raschen Trab an. Das schleifende Geräusch der Kufen und das Schnauben der Pferde vermischten sich zu einem Winterlied, das Elins Seele wärmte. Fräulein Ebba hatte von der Kälte rote Wangen, was ihr sehr gut stand. Mit einer eleganten Bewegung streifte sie ihren Handschuh ab und holte einen Beutel aus bestickter Atlasseide unter ihrem Mantel hervor.

»Ich habe mich immer noch nicht bedankt, Elin«, sagte sie. Der Wind spielte mit ihren Worten und trug sie davon. Ebba rückte näher an Elin heran, eine Nähe, die ungewohnt und aufregend war, und drückte ihr den Beutel in die Hand.

»Das ist für dich. Bewahre es gut, es bringt Glück und schützt vor bösen Geistern!«

»Böse Geister?«

Ebbas Lächeln verblasste zu einer angespannten Sichel. Ihre schönen Augen waren voller Furcht.

»Im Schlossgarten und im Park, ja. Der Oberhofmeister hat sie gesehen und die Nichte des Schatzkanzlers ebenfalls. Das arme Mädchen ist so erschrocken, dass sie eine ganze Woche lang an Fieber und Krämpfen litt.« Sie seufzte und blickte gedankenverloren auf das Eis. »Ich fürchte mich vor ihnen. Schon seit Wochen habe ich das Gefühl, dass ein schreckliches Unglück über dem Schloss liegt. Die Gespenster sind Unglücksboten.« Ihre Stimme wurde leiser, bis sie sich beinahe im Wind verlor. »Auch vor dem Tod meines Vaters gab es Unglückszeichen – Raben und riesige Schwärme von Dohlen, die sich gegenseitig die Augen aushackten.« Elin schauderte und verkroch sich noch tiefer unter das schützende Schaffell, mit dem sie sich zugedeckt hatten. »Und dann verliere ich in Uppsala das Medaillon meines Vaters«, fuhr Ebba leise fort. »Da waren sie mit einem Mal wieder gegenwärtig – all die bösen Omen.«