»Da siehst du mal!«, rief er ihr zu. »Die Hunde dürfen sich ihre Wänste schön gemütlich vor dem Kamin wärmen, uns aber jagt man vor die Tür, um Schmuck zu suchen. Und, was führt dich zu mir?«
Elin senkte den Blick.
»Nichts«, gab sie leise zurück. »Ich hole nur Schnee für die Küche.« Eriks Lächeln verschwand.
»Ich hatte gehofft, du bringst mir die Nachricht, dass sie das Medaillon endlich gefunden haben.«
»Ist es wieder da?« Ein zweiter Student tauchte auf, nicht ganz so gut gekleidet. In seinem hageren Gesicht leuchteten die Wangen vor Kälte. Rotbraunes Haar fiel ihm in die Stirn. Erik schüttelte den Kopf und brachte missmutig den Besen wieder in Position. Der zweite Student zögerte. Elin wusste, dass er ihre Wange betrachtete. Rasch zog sie ihre Haube noch ein Stück tiefer in die Stirn.
»Bist du die Treppe hinuntergefallen?«
Elin schüttelte den Kopf. Die Anteilnahme, die in seiner Stimme lag, machte sie verlegen. Flocken setzten sich an ihrem Schultertuch fest und schmolzen auf ihrer Haut.
»Warum sucht ihr hier draußen nach dem Medaillon?«, erwiderte sie statt einer Antwort. Er seufzte, hob die Schultern und deutete auf den verschneiten Schlossgarten.
»Weil Fräulein Ebba vor wenigen Stunden hier war. Vielleicht hast du gehört, dass Königin Kristina in diesem Winter Gäste aus Frankreich beherbergt. Der Sohn des Marquis hat darauf bestanden, den Schlossgarten zu sehen.«
»Einen Garten im Winter? Was gibt es denn da zu sehen?«
»Schnee, wie es ihn in Frankreich bestimmt nicht gibt«, antwortete der Student und lachte. »Wenn du mich fragst, wollte der junge Graf nur mit der schönen Ebba einen Spaziergang machen.« Er zwinkerte Elin zu. »Nun, jedenfalls sitzt er jetzt hübsch im warmen Kabinett und vertreibt sich die Zeit damit, Schach zu spielen. So ist das Leben – die einen am Feuer, die anderen im Schnee.«
Elin zog das Wolltuch fester um die Schultern. An der Stelle, an der die Schneeflocken geschmolzen waren, hatte sich ein nasser Rand gebildet. Der Stoff war durch den eisigen Wind bereits angefroren und schabte über ihren Hals. Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete nachdenklich den Weg.
»Wie lange war Ebba Sparre hier draußen?«, fragte sie.
Der Student stützte sich auf seinen Besen.
»Genau weiß ich es nicht. Eine halbe Stunde vielleicht? Vor dem Mittagsmahl habe ich sie wieder die Treppe zum großen Kaminzimmer hinaufgehen sehen.«
Vor Aufregung wurden Elins Wangen ein wenig wärmer.
»Wenn sie so lange in der Kälte war, muss sie ein Nackentuch oder einen Pelzkragen getragen haben.«
»Natürlich, sie trug ein Tuch.«
»Wie sah es aus?«
»Soll das ein Verhör werden?«
Ertappt senkte Elin den Kopf.
»Entschuldigung«, murmelte sie.
Sie nahm die Eimer und wollte sich auf den Weg zu einem unberührten Schneehaufen machen.
»Warte doch!«, rief er ihr nach und rieb seine Hände. »Ein weißes Tuch war es. Mit aufgestickten Blüten.«
»Hampus!«, brüllte Erik. »Bist du da drüben etwa festgefroren?«
Der Student nahm seinen Besen, winkte Elin hastig zu und beeilte sich, zu Erik aufzuschließen. Elin stiefelte mit großen Schritten in den Schnee und begann damit, ihn in den Eimer zu schaufeln und festzuklopfen. Dabei vergaß sie die Kälte und folgte im Geiste Ebba Sparres Weg ins Schloss. Der französische Graf und das Fräulein hatten vermutlich einen Bogen beschrieben und waren durch den Haupteingang wieder ins Schloss gelangt. Die Gemächer der Gäste und das Kaminzimmer lagen im zweiten Stock. Für gewöhnlich legten die Herrschaften ihre Mäntel gleich in der ersten Vorhalle am Fuße der Treppe ab. Der alte Hausdiener Victor war dafür zuständig, die Kleidungsstücke in Empfang zu nehmen, sie in der Kammer neben der Treppe auszubürsten und so aufzubewahren, dass die teuren Stoffe nicht zerknitterten. Wie auf einer Stickerei entstanden in Elins Vorstellung Knoten und Schnüre, die sich überkreuzten und wieder trennten, bis ein Muster der Wege entstand, die Ebba Sparres Medaillon möglicherweise genommen hatte. Hastig klopfte sie sich die Schneeflocken von den Ärmeln und machte sich mit den schweren Eimern auf den Rückweg. Sie konnte es kaum erwarten, Emilia von ihrer Vermutung zu berichten.
»Na endlich!«, keifte Greta und deutete auf den großen Eisentopf über dem Feuer. »Los, los!« Das Gewicht der Eimer zog an Elins Schultern, als sie zu dem großen, gemauerten Ofen lief. In der Wärme, die das offene Feuer abstrahlte, begann der Bluterguss an ihrer Wange wieder schmerzhaft zu pochen. Sie stellte die Eimer neben dem Feuer ab und half dabei, den Topf herumzuschwenken. Während sie geschickt dem heißen Kupfer auswich und den Schnee zerkleinerte, hörte sie, wie hinter ihr gestritten wurde.
»Lasst mich endlich in Ruhe, statt Lügen zu erzählen!« Elin fuhr herum. Emilia! Mit Tränen in den Augen stand die Magd am Hackklotz, wo sie mit wütenden Bewegungen ein Stück Fleisch von Sehnen und Silberhaut befreite.
»Und du warst es doch«, ereiferte sich der Hilfskoch. »Heute Mittag bist du zu den Vorratsräumen gegangen – und man hat dich viel zu lange nicht gesehen. Kurz darauf war das Medaillon verschwunden.«
Ein unsichtbarer Graben teilte die Küche in zwei Hälften – auf der einen Seite die Hilfsköche, Greta und die Mägde – und ganz allein auf der anderen Seite: Emilia! Als sie Elin sah, lächelte sie gequält und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Noch nie hatte Emilia so erschöpft und müde ausgesehen. Sogar ihr leuchtend rotes Haar wirkte stumpf und zerzaust und die grauen Strähnen in dem dicken Zopf fielen noch mehr auf als sonst. Nur Elin wusste, warum sich die Magd so lange in der Vorratskammer aufhielt. In einer der Nächte hatte Emilia ihr anvertraut, dass sie manchmal nicht anders konnte, als sich an ein Fass zu lehnen und zwischen den Schinken und den Holzbehältern mit getrockneten und eingelegten Pilzen die Augen zu schließen, bis die Erschöpfung ein wenig nachließ.
»Mir reicht es jedenfalls mit dir«, meinte Greta. »Ich werde den Diebstahl melden.«
»Melde doch, was du willst!«, erboste sich Emilia. »Bei mir wird keiner Schmuck finden.«
»Das werden wir ja sehen! Verdammtes Finnenpack!«, giftete Ida.
»Pass auf, was du sagst!« Emilia hatte das Messer erhoben, an dem noch ein Stück Silberhaut klebte. Der Feuerschein spiegelte sich in der Klinge.
»Nimm das Messer herunter, du Hexe!«
Zischend schmolz der Schnee im Kupfertopf. Alle starrten Ida an. Sie wurde zwar rot, aber sie warf herausfordernd den Kopf zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Und wenn sie keine Hexe ist, dann ist sie doch eine Diebin«, sagte sie trotzig. Elin erwartete, dass Greta sie zur Rede stellen würde, aber die Köchin machte keine Anstalten, Emilia in Schutz zu nehmen.
»Hört auf mit dem Streit«, sagte sie nur. »Das werden andere entscheiden.« Emilia wurde so blass, dass die Sommersprossen in ihrem Gesicht leuchteten. Das Messer sank herunter und baumelte in ihrer Hand wie ein welkes Blatt an einem Ast. Elin wandte sich um und betrachtete die kupfernen Bettpfannen, die an ihren langen Stielen neben dem Ofen aufgehängt waren. Bevor die Herrschaften zu Bett gingen, wurden die flachen Behälter mit Glut gefüllt und unter die klammen Decken geschoben, bis das Bett warm und trocken war. Aber es gab nicht nur Bettpfannen, sondern auch kupferne Wärmflaschen, in denen ein erhitztes Eisenstück Platz fand. Die letzten Schneebrocken zerfielen in Elins Händen und lösten sich im Wasser auf. Es gab nur einen Weg, Emilia zu helfen. Er führte zu Victor.
Verstohlen griff sie zum Schürhaken und zog eines der heißen Eisenstücke, die am Rand des Feuers lagen, zu sich heran. Mit wenigen Handgriffen hatte sie es in ein Stück Küchenleder eingeschlagen, nahm die Wärmflasche und ließ das Eisen hineingleiten.