Выбрать главу

Mit diesen Worten trat er in die Box auf der anderen Seite des Stalles und führte ein stämmiges, braunes Pferd mit hellem Bauch und schwarzen Fesseln aus dem Verschlag. Seine Mähne war kurz und struppig und so schwarz wie seine Beine. Im Halbdunkel des Stalles leuchtete sein helles Maul, als hätte es seine Nase eben in einen Eimer mit Milch getaucht.

»Das ist Spelaren, ein guter Nordschwede. Seine Rasse stammt von den Wildpferden ab, die schon die Svea-Könige durch alle Schlachten getragen haben. Er ist wie geschnitzt für Ritte im tiefsten Schnee.«

Elin warf Enhörning einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu und gab sich fürs Erste geschlagen.

Ein Pferd aufzuzäumen war nicht halb so schwierig wie Gudmunds störrischen Kutschgaul anzuschirren. Schwieriger war es dagegen, sich in den Sattel hochzuziehen. Spelaren legte die Ohren an und stöhnte, als würde man ihm eine Schiffskanone auf den Rücken laden. Lars schwang sich auf sein eigenes Pferd, einen rotbraunen Hengst, dem Spelaren gerade mal bis zur Schulter ging, und wies Elin an, ihm nach draußen zu folgen.

»Heute werden wir ein paar Runden im Lustgarten der Königin reiten. Er liegt direkt hinter dem Palast Makalös. Du wirst lernen, die Zügel und die Beine richtig einzusetzen. Also: Los!«

Elin kam es vor, als würde sie auf einem schwankenden Weinfass sitzen. Vor Aufregung entglitt ihr der linke Zügel. Unendlich weit unter ihr zog der Boden vorbei. Noch tauchten einige zaghafte Sonnenstrahlen den königlichen Lustgarten in spärliches Frühnachmittagslicht. In weniger als einer Stunde würde es wieder dunkel werden. Im Garten brannten bereits Fackeln und Laternen. Zögernd hob Elin den Kopf und sah durch die Pferdeohren nach vorn.

»Na los!«, rief Lars ihr zu. »Wenn dich jemand sieht, wird er dir anbieten, dein Pferd zu tragen, damit es schneller geht!«

Elin nahm ihren ganzen Mut zusammen, lockerte die Zügel und drückte die Unterschenkel fester an die Seiten des Pferdes. Spelaren reagierte und ging schneller. Und plötzlich, als sich Elin in den wiegenden Rhythmus eingefunden hatte, war sie glücklich. Lars sah ihr strahlendes Gesicht und begann mit dem richtigen Unterricht.

Die Sonne hatte sich kaum vom Fleck bewegt, als Elin schon in hohem Bogen durch die Luft segelte. Die Wolken glitten über ihr hinweg, dann ein Himmel aus Schnee und Hufspuren. Gerade noch konnte sie die Arme an den Körper ziehen, da schlug sie schon auf dem gefrorenen Boden auf. Vor Schmerz wollte sie aufschreien, doch sie bekam keine Luft. Benommen setzte sie sich auf, krümmte sich und rang nach Atem. Ihr Rock war voller Schneematsch und Schmutz und ihre Seite schmerzte so stark, dass Elin, sobald sie wieder Luft schöpfen konnte, fluchte wie Gudmunds Viehknecht. Das Schlimmste war die Enttäuschung. Lars vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, dass sie unverletzt war, dann schüttelte er ungerührt den Kopf.

»Was habe ich dir gesagt? Pass auf die Fersen und die Zügel auf! Verstehst du jetzt, warum dein Pferd ›Spieler‹ heißt?«, spottete er. »Er sieht harmlos aus, aber er hat stets noch einen Wurf parat, um dich mir nichts, dir nichts aus dem Spiel zu befördern.« Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Bete, dass ihr zur Jagd nur auf die Insel Djurgärden geht. Wenn du das Pferd nicht halten kannst, werden es zumindest die Ufer der Insel früher oder später zum Stehen bringen!«

Elin biss die Zähne zusammen und stand mühsam auf. Immer noch zitterte sie vor Schreck. Ihre ganze linke Seite war schneeverklebt und schmerzte wie nach einem Hieb mit einem Holzeimer. Mit fahrigen Händen ordnete sie ihre Röcke und suchte wütend nach einer Antwort.

»Du irrst dich, Lars!«, rief sie schließlich. »Ich bin freiwillig abgesprungen. Wenn du mich auf diese Kuh mit Mähne setzt, musst du dich nicht wundern, wenn ich zu Fuß schneller wieder im Schloss bin als hoch zu Ross!«

Lars sah sie so verblüfft an, dass sie lachen musste, obwohl ihr mehr denn je zum Heulen zumute war.

»So, Fräulein Scheuermagd will lieber spazieren gehen?«, brüllte der Reitmeister. »Nichts da! Zurück in den Sattel, bevor die Angst das Pferd überragt und dir bei jedem Ritt über die Schulter schaut!«

Elin wischte sich rasch über die Augen und humpelte mit erhobenem Kopf zu Spelaren. So, wie sie es vor einer halben Stunde gelernt hatte, zog sie sich auf den Pferderücken hoch und ließ sich in den Sattel gleiten. Ihr nasser Rock hing schwer an ihrer Hüfte. Behutsam und voller Angst holte sie die Zügel ein. Rechts von ihr erhob sich die gewaltige Nordseite des Palastes Makalös. Die beiden berittenen Krieger, die die Zinnen der landzugewandten Seite schmückten, schienen ihr höhnisch mit den Lanzen zuzuwinken. Gerade wollte sie die Zügel weiter nachfassen, als ihr an einem Fenster etwas auffiel. Wie ein blasser Mond leuchtete ein Gesicht hinter den in Blei gefassten, rechteckigen Scheiben. Mit verschränkten Armen stand der junge Marquis de Vaincourt am Fenster und beobachtete die Reitstunde. Selbst als er Elins Blick bemerkte, wich er nicht zurück.

An tausend Stellen pochten Blutergüsse und blaue Flecken. Blasen brannten an den Fingern, die die Zügel wund gescheuert hatten, und zu allem Überfluss hatte sie sich beim zweiten Sturz auch noch die Hand verstaucht. Das Feuer im Mädchenzimmer war heruntergebrannt. Wenn Elin die Augen schloss, saß sie wieder auf Spelarens Rücken und war glücklich wie noch nie zuvor. Behutsam tastete sie unter der Bettdecke nach dem kleinen Silberkreuz, das Fräulein Ebba ihr geschenkt hatte. Und nun besaß sie auch noch einen eigenen Sattel! Wie gern hätte sie Emilia davon erzählt.

Für einen Moment hörte sie wieder Ebbas Worte über das drohende Unheil, aber diesen Gedanken wollte sie schnell wieder beiseite schieben. So kniff sie die Augen zusammen wie ein Kind, das hofft, wenn man den Troll nicht sah, würde er einen auch nicht entdecken. Doch die Träume ließen sich von diesem Zaubertrick nicht zum Narren halten. Als Elin mitten in der Nacht aufwachte, war ihr Haar schweißnass. Immer noch trieb ihr das Bild von einer schlafenden Emilia vor Augen. Aber als Elin im Traum näher an das Bett ihrer Freundin herangetreten war, sah sie, dass die Hand, die auf Emilias Brust lag, sich nicht mit dem Atem hob und senkte. Emilia – ihre Emilia! – war gestorben; mit der Hand auf ihrem schmerzenden, vernarbten Herzen.

Ein klarer Wintermond tauchte die Bettvorhänge in ein geisterhaftes Licht. Nach und nach nahm Elin, noch immer ganz benommen, den Atem der anderen Mädchen wahr, die in diesem Zimmer schliefen. Neben ihr im Bett lag Tilda. Wie immer hielt sie ihr Kissen eng umschlungen und lächelte leicht im Schlaf. Elin schlug die mit Fell gefütterte Decke zurück und stand auf. Nur mit dem knöchellangen Unterkleid aus Leinen bekleidet, verließ sie das Gemach und tappte barfuß über den Gang. Auf dessen Südseite befand sich eine Nische mit einem großen Fenster, das direkt auf ein Gebäudedach zeigte. Links davon konnte Elin einen Blick in den streng geometrisch angelegten Parkgarten werfen, der sich wie eine mit akkurat gestutzten Hecken bepflanzte Terrasse über den tiefer gelegenen Teil der Burg erhob. Zur Rechten, weit unterhalb dieser Anhöhe, befand sich der von der äußersten Schlossmauer umgrenzte Obstgarten. Ganz ungezähmt streckten hier die winterkahlen Obstbäume ihre Äste nach dem Mond aus. Die kleinen, rechteckigen Scheiben beschlugen von Elins Atem und gaben dem Garten einen Heiligenschein. Neben einem Baum glaubte Elin auf einmal eine Gestalt zu erkennen. Reglos stand sie auf einem Teppich aus Nebel.

»Emilia?«, flüsterte Elin. Sie legte die Hand an die Scheibe und sah genauer hin. Es war nicht die finnische Magd. Möglicherweise war es nur eine Nebelsäule. Vielleicht träumte Elin aber auch nur, denn die Gestalt winkte ihr zu. Ihr Gesicht konnte sie von ihrem Standort aus nicht erkennen – aber das Haar war lang und beinahe weiß, wie das von Elin.

Der Mann mit dem Federhut