»Ich will den Riksdaler haben«, fuhr Elin die alte Dame plötzlich an. »Jetzt sofort! Ich gebe ihn dem Marquis zurück. Ich will sein verfluchtes Geld nicht!«
Entschieden schüttelte Lovisa den Kopf.
»Eine Frau kann es sich nicht leisten, aus Stolz Geld wegzuwerfen. Der Taler ist nur Metall – aber er bedeutet sehr viel mehr als das. Eines Tages kann er darüber entscheiden, ob du dich frei fühlst oder unfrei wie eine Magd«, erwiderte sie ruhig. »Solange du diese Tatsache nicht zu schätzen weißt, wirst du von mir keine lumpige Öre bekommen!«
»Dann behalte den verdammten Taler! Und auch dieses Kleid und den Puder und den ganzen Tand. Ich will nichts mehr von euch! Ich verlasse das Schloss. Noch heute!« Im Raum verstummte die Musik, Applaus und Stühlerücken erklang. Lovisas Fingernägel gruben sich schmerzhaft in Elins Schultern.
»Das hat die Königin dir weder befohlen noch erlaubt«, sagte sie mit Nachdruck. »Sie hat dich in die Küche zurückgeschickt. Und genau dort wirst du dich nun hinbegeben. Ich werde mit ihr reden.«
»Aber …«
»Kein Aber, Elin. Sie ist die Königin. Und die Leute an ihrem Tisch, die du in Verlegenheit gebracht hast, sind ihre Gäste. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, außer vielleicht das eine: Königin Kristina ist aufbrausend, sie hat das wilde Blut und auch das stürmische Gemüt der Wasa. Fordere es nicht heraus!«
Elin zitterte am ganzen Körper. Die Locken waren aus den Haaren gekämmt, das Rouge abgewischt. Nie war ihr aufgefallen, wie grob der einfache Stoff der Mägdekleidung sich anfühlte. Dieses Kleid hier roch zudem nach fremder Haut und altem Schweiß – Gerüche, die ihre Nase früher kaum wahrgenommen hatte. Ihr Leben auf Gudmunds Hof und in der Mägdekammer erschien ihr so schäbig und grau wie nie zuvor. Zwei der Mägde schnarchten in ihrem Bett, aber Elin konnte ohnehin nicht schlafen. Seit Stunden saß sie regungslos auf ihrem Schlaflager, den Rücken an die kalte Wand gelehnt. Ihr Körper schien taub geworden zu sein wie ein Stück Holz. Brennend vor Wut ging sie immer wieder ihren Plan durch. Niemand konnte ihr befehlen, in diesem Schloss zu bleiben! Sie würde fliehen. Gleich morgen. Sie würde Stockholm verlassen und zu Emilia nach Uppsala zurückkehren. Und wenn die Königin sie suchen ließ, würde sie sich nach Deutschland durchschlagen, zu der Insel, auf der ihre Mutter gelebt hatte. Alles war besser, als hier zu sein. Vielleicht ließ sich Fräulein Ebbas Silberkreuz verkaufen? Gerade wollte sie nach dem Schmuckstück greifen, das unter dem groben Stoff verborgen war, als sie einen Lichtschimmer entdeckte.
»Elin!«, flüsterte jemand in der Dunkelheit. Im ersten Moment glaubte Elin das Gespenst aus dem Park zu sehen, dann aber erkannte sie im Licht eines glimmenden Kienspans Helga Lundells Lächeln.
»Komm mit und weck die anderen nicht auf«, raunte Helga ihr zu. »Du hast Besuch!« Das war bestimmt Lovisa! Elin glitt über die klamme Decke und folgte dem tanzenden Licht des Kienspans, der wie ein Glühwürmchen vor ihr herschwebte. Helga führte sie durch einen schmalen Gang und eine Holzstiege hinunter. Kälte kroch ihnen entgegen.
»Wohin gehen wir?«, flüsterte Elin. Helga drehte sich um und legte warnend den Finger an die Lippen. Erst als Elin runde Ziegelgewölbe erkannte, erriet sie, dass sie in den Lagerkellern sein mussten – in dem Teil, wo das Brennholz und Holzfässer mit eingelegten Zwiebeln und Stockfisch gelagert wurden. »Dort hinein«, flüsterte Helga und deutete auf eine schmale Holztür. Elin schluckte und drückte die Klinke herunter. Kerzenlicht leckte über ihre Schuhe. Durch die Fässer, die sich bis zur Decke stapelten, wirkte der Raum sehr schmal. Dennoch bot er genug Platz für einen Tisch. Ein Verwalter führte hier wahrscheinlich die Aufstellungen über die Vorräte. Jetzt ging allerdings eine Gestalt in einem langen Mantel im Raum hin und her. Der Federhut verbarg ihr Gesicht, aber die energischen Bewegungen hätte Elin überall wieder erkannt.
»Ihre Majestät!«
»Hier, fang auf!«, befahl die Königin barsch. Mit einem Ruck wandte sie sich um und warf Elin einen Gegenstand zu. Es war ein in Leder gebundenes, schmales Buch.
»Lies mir den Titel vor.«
»Wie Sie wissen, kann eine kleine Magd wie ich nicht lesen«, schnappte Elin.
»Woher soll ich das wissen?«, gab die Königin ebenso schnippisch zurück. »Heute sprichst du Französisch, morgen zitierst du womöglich auf Deutsch aus dem Osnabrücker Verhandlungsprotokoll? Ich habe den Verdacht, du kannst viel mehr, als du mir zeigst.« Ihre Stimme bekam einen schneidenden Unterton. »Wie kommst du überhaupt dazu, meine Gäste zu beschämen?«
»Ich habe sie beschämt?«, rief Elin. »Der Marquis hat mich mit diesem Riksdaler beleidigt!«
»Dich beleidigt?«, spottete Kristina. »Du beleidigst dich selbst, Elin Ansgarsdotter. Du solltest bescheiden sein, statt aus Eitelkeit einen Streit vom Zaun zu brechen – und dazu noch mit Personen, denen du nicht gewachsen bist. Bevor man in den Kampf zieht, sollte man sorgfältig die Waffe wählen, statt sich die erstbeste Mistgabel zu schnappen.«
»Sie waren es doch, die mich auf den Kampfplatz gezerrt hat«, gab Elin zurück. Kristinas Mundwinkel zuckten, und plötzlich brach sie in Gelächter aus. Sie lachte so sehr, dass sie sich verschluckte und husten musste.
»Guter Gott, Elin«, sagte sie schließlich atemlos. »Jemanden wie dich könnte Karl wirklich auf dem Feld gebrauchen. Woher hast du nur diesen Trotzkopf?«
»Leute wie ich brauchen besonders harte Schädel«, erwiderte Elin ernst.
Kristina winkte ab.
»Bilde dir nur nichts auf dein Elend ein. Und den jungen Marquis sieh als Lektion: Du wirst im Leben viele Feinde haben – und jeder davon lehrt dich, mit zukünftigen Widrigkeiten besser fertig zu werden. Er ist der Stein, an dem du lernen kannst, deinen Säbel zu schärfen.« Sie lachte wieder und strahlte Elin an. »Im Grunde war es ein großartiger Auftritt bei Tisch! Alle glauben, dass du bei mir in Ungnade gefallen bist. Niemand würde auch nur vermuten, dass ich dir jetzt noch traue.«
Vielleicht war es die Tatsache, dass die Königin in dem einfachen Gewand und vor den Ziegelmauern wie eine ganz gewöhnliche Frau wirkte, vielleicht machte Elins Enttäuschung sie auch nur gleichgültig, jedenfalls lachte Elin nicht, sondern verschränkte die Arme.
»Wer sagt, dass ich Ihnen noch vertraue?« Kristinas Lachen erstarb. Elin schluckte und sprach weiter. »Vorher haben Sie mir verboten, mich mit Ihnen zu vergleichen, jetzt vergleichen Sie mein Elend mit Ihrem Glanz. Ich … bitte um die Erlaubnis, das Schloss verlassen zu dürfen.«
Kristinas Augen wurden schmal.
»Auf keinen Fall. Wenn ich nicht auf dein Vertrauen zählen kann, tut es mir Leid. Dann werde ich dich eben an deinen Schwur erinnern müssen. Oder bedeutet ein Hurenkind zu sein, keine Ehre zu haben?«
Das hatte gesessen! Elin reckte das Kinn in die Höhe und rang um Fassung.
»Sie können leicht spotten, Majestät«, sagte sie leise. »Sie sind von hoher Geburt und wissen, wer Ihre Eltern sind. Ich kenne meinen Vater nur vom Namen und meine Mutter gar nicht.«
»Sei froh darum«, erwiderte Kristina bitter. Dann seufzte sie und ihr Gesicht wurde weicher.
»Ich wollte dich nicht beleidigen, Elin. Und auch die Worte an der Tafel sind eher zur Täuschung als aus echtem Ärger gesprochen worden. Lerne von mir! Manchmal sind solche Listen nötig!«
»Haben Sie noch mehr Befehle für mich?«, entgegnete Elin frostig.
»Ja, die habe ich. Schlag das Buch auf!«