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Simon Jüterbocks Haus war unscheinbar und lag in einer Seitengasse, nicht weit von der breiten Hauptstraße entfernt. Nur das Kupferschild mit einem aufgemalten Sattel wies darauf hin, dass sich hier eine Sattlerei befand. Elin zögerte und blieb stehen. Sie nahm ihren Korb hoch und tat so, als würde sie die Dinge darin ordnen. Leute drängten an ihr vorbei. Auf der anderen Straßenseite lehnte ein Mann mit einem Federhut an einem Karren und schnitt mit einem kleinen Messer einen Apfel in Stücke. Sein Gesicht konnte sie unter der Hutkrempe nicht erkennen. Er trug Handschuhe. Sein kleiner Finger stand steif und geziert ab. Elin ließ ihren Blick weiterwandern, bis sie sich schließlich ein Herz fasste und an Jüterbocks Tür klopfte. Sie öffnete sich beinahe augenblicklich und ein strenges Gesicht erschien. Die Haut des Mannes sah aus, als hätte ein Rotgerber sie ein wenig zu gründlich bearbeitet.

»Simon Jüterbock?« Der Mann nickte. In ihrem Rücken glaubte Elin die stechenden Blicke von Spähern zu fühlen. Mit einer kaum merklichen Geste schüttelte sie das Siegel aus dem Ärmel und ließ es Jüterbock einige Sekunden lang sehen.

»Ich komme wegen der neuen Kutschzügel«, sagte sie laut. Simon nickte und ließ sie eintreten. Im Inneren der Werkstatt arbeiteten zehn Leute. Ein Geselle, der dabei war, einen Sattelrahmen mit Leder zu beziehen, ließ die Hände sinken und musterte Elin mit besorgtem Blick.

»Die Zügel habe ich im Hof«, sagte Simon und ging voraus. Mit weichen Knien folgte Elin ihm. Natürlich führte der Weg nicht in den Hof, sondern in eine kleine Kammer. Sorgfältig verschloss Simon die Tür und drehte sich zu ihr um.

»Der Brief«, flüsterte er. »Du hast ihn bei dir?«

Elin nickte. Simon wandte höflich den Blick ab, während sie ihr kleines Nähmesser aus dem Korb holte und die Naht an ihrem Rocksaum auftrennte. Der versiegelte Brief lag schwer in ihrer Hand. Simon Jüterbock nahm das Papier entgegen.

»Ich habe auch einen weiteren Brief dabei«, sagte Elin leise. »Falls der Bote abgefangen wird, soll er diesen hier aushändigen. Das wird ihm Zeit geben, das richtige Dokument zu vernichten.« Mit diesen Worten zog sie das zweite Schreiben aus der Stofffalte am Rock.

»Die Königin lässt ausrichten, dass der Brief in spätestens acht Tagen am vereinbarten Ort sein muss.«

Jüterbocks Gesicht war angespannt, die Hand, die die Briefe hielt, zitterte leicht.

»Gut«, sagte er heiser. »Ich danke dir. Hier, nimm diese Zügel mit und geh.«

Wenig später stand Elin wieder vor dem Haus. Simons Aufregung hatte sie angesteckt, sie musste sich beherrschen, sich nicht ständig umzuschauen. Der Mann mit dem Federhut stand immer noch am anderen Ende der Straße. Er betrachtete Jüterbocks Türschild und sah dann mit großer Konzentration auf ein Hausdach. Elins Herz begann schneller zu schlagen. Unauffällig überquerte sie die Straße und verschwand aus seinem Blickfeld. Dann drückte sie sich flink an eine kalte Hauswand, schaute vorsichtig um die Ecke und folgte den Augen des Mannes. Da fiel ihr eine winkende Bewegung auf einem der Dächer auf. Ein Späher! Elin fluchte. Sie musste Jüterbock warnen! Seltsamerweise spürte sie in diesem Moment keine Angst. Mit einer genau bemessenen Bewegung steckte der Mann das Messer ein und begab sich auf Jüterbocks Straßenseite, wo sich ein anderer Mann wie ein Schatten aus einer Gasse löste. Schnauben und das Geräusch von einem scharrenden Huf erklang. Hielt jemand in der Gasse Pferde bereit? Behutsam stellte Elin den Korb auf einer Treppe ab und wickelte die langen Zügel um ihren Unterarm. Im Schatten der Gasse waren der Mann mit dem Federhut und der zweite Unbekannte in ein Gespräch vertieft.

Elin zog sich unauffällig zurück, lief ein Stück weiter und huschte dort über die breite Straße. So schnell es auf dem gefrorenen Weg ging, hastete sie zwischen den Häusern hindurch. Hier musste Jüterbocks Hinterhof sein. Vor ihr erhob sich eine fensterlose Steinmauer – vermutlich die Rückseite einer weiteren Werkstatt oder vielleicht des Stalls. Ein leises Wiehern bestätigte ihre Vermutung. Eine Tür klappte. Elin wich zurück und hielt nach einer Möglichkeit Ausschau, in den Hinterhof zu gelangen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und zuckte zurück. Da hockte der Späher – gut verborgen auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses beobachtete er Simons Hof. Nun gab er den Männern in der Seitengasse ein zweites Zeichen. Elin überlegte nicht lange. Sie raffte den Rock hoch und stopfte sich den Saum in den Bund. Nun hatte sie die Beine frei. Dann tastete sie nach einer Ritze in der Mauer und kletterte im Sichtschutz des Stalls an ihr hoch. Mit aufgeschürften Fingerknöcheln kam sie oben an und legte sich bäuchlings über die Mauer. So konnte der Späher auf dem Dach sie nicht sehen. Rechts von ihr befand sich der Stall. Elin zog sich näher an das schmale Seitenfenster heran und schielte hindurch. Der Geselle, der eben noch den Sattelrahmen bezogen hatte, schob gerade Königin Kristinas Brief in ein Geheimfach unter dem Sattelblatt. Sorgfältig zurrte er die Schnalle darüber fest und stieg auf das Pferd. Pferd und Reiter verließen den Stall und verschwanden aus Elins Blickfeld. Zu spät. Rufen konnte sie nicht. Und wenn sie von der Mauer in den Hof sprang und zu dem Kurier rannte, würde der Späher sie sofort entdecken. Elin überlegte fieberhaft, dann robbte sie ein Stück auf der Mauer zurück und sprang auf die Straße. Der Aufprall nahm ihr die Luft, ihre Handflächen, mit denen sie sich abgestützt hatte, pochten. Sofort schoss sie hoch und lief los. Die Häuser schienen kein Ende zu nehmen. Sie umrundete ein weiteres Gebäude, bis sie in der Gasse stand, in der sie die Verfolger vermutete. Und richtig: Da war ein Schatten. Zuckende Pferdeohren und eine wippende Feder auf einem Hut. Die Verfolger lauerten darauf, dass der Bote aus dem Hof ritt, um ihm zu folgen. Natürlich – mitten in der Stadt würden sie keinen Tumult riskieren. Elin sah sich um. Jedes Geräusch erschien ihr plötzlich doppelt so laut, jede Kleinigkeit nahm sie mit größter Schärfe wahr. Zum Beispiel die beiden Heringsfässer am Rand der Straße. Gegenüber stand ein Karren. Elin schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Kurier diesen Weg nehmen würde, und rannte los. Die Fässer waren leer und standen vermutlich bereit, um abgeholt zu werden. Sie verkroch sich hinter ihnen und lauschte. So schnell sie konnte, wickelte sie den Kutschzügel von ihrem Unterarm ab und schlang ihn um die Fässer. Hufschlag erklang. Jüterbocks Kurier. In schnellem Trab bewegte er sich genau auf Elin zu. Sie zurrte den Zügel fest und huschte zum Karren, das lose Ende des Zügels in der Hand. Hinter dem Karren ging sie in Deckung. Der Trab wurde langsamer. Reite weiter!, flehte Elin in Gedanken. Doch das Pferd blieb stehen. Elin spähte hinter dem Wagen hervor. Der Kurier hatte sein Pferd angehalten und starrte den Kutschzügel an, der quer über der Straße lag. Elin winkte ihm zu und machte eine warnende Handbewegung. Er verstand und gab seinem Pferd die Sporen. Sein Wallach sprang über den Zügel am Boden und flog los wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellt. Elin wand die Zügel um die Speiche des Karrenrads und hielt das Ende mit beiden Händen fest. Galoppschlag näherte sich. Gerade noch rechtzeitig spähte sie unter dem Wagen hindurch, um die Pferdebeine zu erkennen, dann warf sie sich nach hinten und zog mit aller Kraft am Seil. Der Zügel schnellte vom Boden hoch und spannte sich quer über die Straße. Der plötzliche Ruck drohte ihr die Arme aus den Gelenken zu hebeln. Ein brennender Schmerz zuckte durch ihre Handflächen. Gepolter und ohrenbetäubendes Gebrüll ertönte. Die Fässer tanzten über die Straße und brachten die Pferde zu Fall, der Karren rutschte weg. Elin wurde gegen die Hauswand geschleudert. Ein Fass schlingerte auf sie zu. Gerade noch rechtzeitig konnte sie zur Seite springen, bevor es die Hauswand genau an der Stelle traf, an der sie sich eben noch befunden hatte. Auf der Straße wuchtete sich eines der gestürzten Pferde wieder auf die Beine und schüttelte benommen den Kopf. Sein Reiter wand sich schreiend im Schneematsch und hielt sich das verletzte Bein. Innerhalb von wenigen Sekunden verwandelte sich die menschenleere Gasse in einen Jahrmarkt. Fenster flogen auf, Menschen strömten aus den Häusern. Das zweite Pferd hatte sich im Zügel verheddert und trat in seiner Panik nach allem, was sich ihm näherte. Elin stützte sich an der Hauswand ab und kam benommen auf die Beine. Im selben Augenblick stand der Mann mit dem Federhut auf und sah sie an. Sein blutüberströmtes Gesicht wirkte wie eine rote Maske. Die Feder klebte an seiner Wange und verdeckte seine Züge. Als er seine Hand ausstreckte und auf Elin deutete, stand sein kleiner Finger ab, als wäre er ausgerenkt. Elin ließ endlich den Zügel los und begann zu rennen. Eine Hand riss an ihrem Wolltuch. Sie ließ es einfach zurück und schlitterte weiter. »Haltet sie!«, brüllte eine Männerstimme. Zum Glück war ihr Rock noch hochgebunden, was das Rennen erleichterte. Wie vom Teufel gejagt, hetzte sie um die Ecke. Eine Gruppe von Frauen stob erschrocken auseinander. Entsetzt starrten sie auf Elins verschmutzten Rock und ihre bloßen Beine.