Wenn die Königin im großen Audienzsaal Vertreter der Stände empfing, stand Elin neben der Tür in der Nähe der Gardisten und ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Unter dem gewaltigen Thronhimmel am Ende des Raums sah Kristina winzig aus, ihre Stimme aber war laut und bestimmt. Elin staunte über die Fähigkeit der Königin, auf alle Fragen mit dem gleichen Ernst einzugehen, die Bauern zu besänftigen, die Bürger zu ermutigen, die Adligen nicht zu verärgern und ihnen dennoch keine Zusagen zu machen. Als eine ganze Delegation von Geistlichen und Adligen erschien und sich lauthals darüber beschwerte, dass der französische Botschafter im Keller seines Hauses katholische Messen abhalten ließ, die auch die anderen Ausländer aus der Stadt besuchten, schaffte Kristina es, die Situation nicht eskalieren zu lassen, sondern alle Parteien zu besänftigen. Weniger Glück hatte sie bei der Verleumdungskampagne gegen Adler Salvius, der von den Adligen als gewinnsüchtiger Bauernsohn geschmäht wurde. Als Kristina in einer Ratssitzung bemerkte, Salvius würde im Reichsrat gute Dienste leisten, bekam der sonst so ruhige Oxenstierna einen Wutanfall, der bis vor die Türen des Versammlungssaals zu hören war. Nach solchen Sitzungen zog sich die Königin erschöpft in die Bibliothek zurück und las schweigend in einem Buch, während Herr Freinsheim Elin unterrichtete.
Herr Freinsheim war der liebenswürdigste Herr, den Elin je kennen gelernt hatte. Der protestantische Bibliothekar hatte eine angenehm ruhige Stimme. Ursprünglich stammte er aus Ulm und hatte lange an der Universität in Uppsala unterrichtet. Sein Humor war nicht so scharf und spottend wie der von Kristina. In seiner Gegenwart lernte Elin, wie schnell die Zeit verfliegen konnte.
Für die französischen Gäste dagegen wurde die Zeit am Hof immer länger. Der Winter begann sie zu zermürben. Die Kavaliere verlegten sich darauf, im Schloss Scherze zu treiben oder Streit anzuzetteln. Elin hatte rasch gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen kannte sie das Schloss so gut, dass sie innerhalb von Sekunden unsichtbar werden konnte. Nur während ihrer Reitstunden sah sie Henri ab und zu aus dem Fenster schauen, aber sie hatte beschlossen, ihn zu ignorieren, was ihr nach einer Weile auch gut gelang. Spelaren tanzte inzwischen unter ihr wie eine gespannte Bogensehne und Lars nahm sie zu Ausritten an die Ufer des Mälarsees mit.
Schnee stob, wenn das schwere Pferd in großen Sprüngen hinter dem viel schnelleren Ross des Reitlehrers hergaloppierte.
»Nicht übel, Scheuerfräulein«, sagte Lars eines Tages nach der Reitstunde. »Wenn du Glück hast, nimmt die Königin dich nächste Woche auf die Schlittenjagd mit.«
Elin strahlte und klopfte Spelarens Hals.
»Darf ich dann Enhörning reiten? Nur für diesen einen Tag! Dann muss ich nicht hinter den anderen herhinken.«
»Gib es endlich auf«, murrte er. »Wie oft soll ich es dir noch sagen: Enhörning bekommst du in tausend kalten Wintern nicht. Er erscheint sanft wie ein Lämmchen, aber wenn er freies Land sieht, verwandelt er sich in ein Schlachtross.« Elin kannte den gereizten Tonfall ihres Reitlehrers nur zu gut, um noch weiter auf ihrem Wunsch zu beharren.
Mit glühenden Wangen kehrte sie in die Bibliothek zurück, wo Freinsheim sie schon erwartete. Der Lehrer schüttelte lächelnd den Kopf und zog ein langes Pferdehaar von ihrem Ärmel.
»Du bist spät«, sagte er mit sachtem Tadel. Atemlos entschuldigte sich Elin und nahm am Tisch Platz. Zu ihrer Überraschung klatschte Freinsheim zweimal in die Hände und hob die Stimme.
»Und Sie, Monsieur Henri, werden bestimmt bereits im Palast Makalös erwartet.«
Elin fuhr herum und erstarrte. Henri de Vaincourt wandte nur zögernd den Blick von einer Sternkarte, die er eingehend betrachtet hatte, und lächelte Freinsheim verlegen an. Er war so versunken darin gewesen, die Planeten und Sterne zu studieren, dass er sich jetzt offenbar nur langsam daran erinnerte, wo er sich befand. Elin irritierte sein Anblick – die Person, die sie hier sah, war kein hochmütiger Edelmann, sondern ein junger Mann mit traurigen Augen.
»Sicher, Monsieur Freinsheim«, entgegnete er mit sanfter Stimme. Dann wandte er sich Elin zu. »Sieh an. Die Küchenkönigin lernt in den Buchstaben herumzurühren.«
Von einer Sekunde auf die andere schoss Elin das Blut in die Wangen. Sie widerstand der Versuchung, das Tintenfass zu nehmen und es Henri ins Gesicht zu werfen.
»Wenn ich die Buchstaben nur halb so gut beherrsche wie andere Leute ihr Pferd, dann bin ich wirklich eine Königin«, entgegnete sie. »Die Königin der Schriften.«
Henris Lächeln verschwand. Sie freute sich, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung getroffen hatte.
»Interessant, dass Sie es ansprechen, Mademoiselle«, sagte Henri. »Ich hörte, Sie begleiten uns mit Ihrem altersschwachen Wallach zum Schlittenturnier. Es wird Ihnen sicher ein Vergnügen sein, den Schweif meines Pferdes zu bewundern – vorausgesetzt, Sie erkennen ihn auf die große Entfernung.«
Sein Lächeln flammte wieder auf, als er ihr empörtes Gesicht sah. Nun, so leicht würde sie sich nicht geschlagen geben.
»Das letzte Mal sah ich nicht nur den Schweif Ihres Pferdes, sondern darunter auch Ihr Gesicht. Eine eigenwillige Methode, Schnee zu essen.« Freinsheim legte seine Hand auf Elins Schulter.
»Genug jetzt«, sagte er freundlich. »Auch Feindschaften wollen behutsam gepflegt sein. Wollen Sie sich nicht die Hände reichen und Ihre Differenzen lieber auf einem Schachbrett austragen?«
»Feindschaft, Monsieur Freinsheim?«, erwiderte Henri. »Eine Küchenmagd kann nicht mein Feind sein. Auch dann nicht, wenn sie wie ein Äffchen Kunststücke wie das Lesen und das Reiten lernt.«
Er verbeugte sich und ging mit raschen Schritten aus dem Saal.
»Nein, nein, nein, Elin«, sagte der Bibliothekar. »Bücher sind zwar Waffen, aber dennoch nicht zum Werfen da.« Sacht wand er ihr das Buch, das sie fest umklammert hatte, aus der Hand.
»Den Globus sollte man ihm an den Kopf werfen. Was bildet der sich ein!«, erboste sich Elin. »Er ist so … eitel! Und widerlich, arrogant und …«
»… vor allem noch sehr jung. Er hat es nicht leicht, glaube mir.«
»Was hat er denn schon für Sorgen? Ob er einen Goldknopf mehr oder weniger am Wams hat?«
Freinsheim lächelte wohlwollend.
»Nimm die jungen Männer nicht zu ernst, Elin. Sie sind viel zu stolz und dazu hitzköpfig wie junge Pferde – und du bist auch nicht viel besser.«
»Immer noch besser als er!«
Der Bibliothekar runzelte die Stirn.
»Keine Adlige zu sein, heißt nicht, ein besserer Mensch zu sein«, wies er sie ernst zurecht. Elin machte den Mund zu und schwieg. Verbissener denn je vertiefte sie sich an diesem Tag in das Studium der Buchstaben, die sich anstellten wie eine Schafherde, die auseinander stob, sobald Elin sie zu fangen versuchte. Selbst nachdem Freinsheim gegangen war, blieb sie noch mehrere Stunden über ihren Büchern sitzen. Jedes Mal, wenn sie zur Kerze blickte, schien jemand ein großes Stück davon abgeschnitten zu haben. Schließlich, als ihre Augen schon brannten, griff sie zum Federkiel und nahm ein Stück Pergament. Behutsam tunkte sie den angespitzten Kiel in die Tinte, setzte die Spitze auf das Blatt und schrieb.
Liebe Emilia,
Das Schreiben wollte auch nach den Wochen der Übung nicht so recht gelingen. Ihr Federkiel spreizte sich unter dem Druck ihrer ungelenken Schreibhand.
Ich hoffe, Dein Herz schmerzt nicht mehr.
Mir
Erschöpft hielt sie inne und blickte zweifelnd ihr Gekritzel an. Es sah aus, als wäre eine betrunkene Spinne erst in die Tinte gefallen und dann über das Blatt gehumpelt. Wie gerne hätte sie Emilia all das geschrieben, was ihr auf dem Herzen lag – tausend Momente, Ereignisse, Gespräche, tausend Zweifel und Sorgen, die sie nachts nicht schlafen ließen. Stattdessen setzte sie den Kiel wieder an und beendete das Schreiben: geht es gut.