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»Aber wo ist … ich dachte, die Königin?«, stammelte der Bedienstete.

»Sie ist eben zu Herrn Brahes Schlitten gegangen«, zischte Elin ihm zu. »Vorher sagte sie noch etwas wie: ›Wenn ich den Burschen erwische, der mein Pferd nicht bereitgestellt hat, werde ich seinen Kopf über dem Südtor aufspießen lassen.‹ Ich führe das Pferd zu ihr – oder willst du, dass sie dich sieht und weiß, wer für die Verspätung verantwortlich ist?«

Der Junge überließ ihr die Zügel, als hätte er sich daran verbrannt. Elin spürte seinen verängstigten Blick noch, als sie den Hof schon halb überquert hatte. Enhörning folgte brav dem Zug des Zügels, bis sie ihn an der Arkadentreppe zum Stehen brachte. Sie musste drei Stufen hochsteigen, um den Steigbügel zu erreichen. Das Pferd trappelte auf der Stelle. Elin erschrak, doch dann nahm sie allen Mut zusammen, fasste die Zügel und stieg auf.

In den Werkstätten, an denen sie vorüberritten, brannten Kerzen, die die Finsternis des Morgens vertreiben sollten. Enhörning bewegte sich geschmeidig wie eine Katze. Überrascht stellte Elin fest, dass das Streitross viel leichter zu reiten war als der plumpe Spelaren. Ihre Sicherheit wuchs und sie holte in federndem Trab zu dem Tross auf. An jedem Fenster erschienen Gesichter und bestaunten das Schauspiel auf der Straße. Kinder folgten dem Konvoi und kreischten begeistert, zwischen den Beinen Stöcke oder Besen, die in ihrer Vorstellung zu feurigen Reittieren wurden. »Die da – die reitet wie ein Mann!«, rief ein kleiner Junge. Elin winkte dem Kind zu und lächelte.

Zahlreiche Hufspuren am Ufer des Mälarsees zeigten, wo vor einigen Stunden die Diener bereits vorausgeritten waren, um den Turnierplatz herzurichten. Fackeln und Laternen erhellten den Teil des Sees, auf den sie nun abbogen. Weit hinaus ging es, mitten auf die Eisfläche. Das kratzende Geräusch der Kufen würde die Barsche und Hechte aufschrecken, die tief unten im Schlamm schliefen. Elin fröstelte es bei der Vorstellung, samt ihrem Pferd im eisigen Wasser zu versinken. Wie Irrlichter vergessener Seelen leuchteten die Fackeln und tauchten den Turnierplatz in diffuses Licht.

Diener hatten bereits Ringe an Stangen aufgehängt, die es in vollem Galopp vom Schlitten aus mit Lanzen herunterzuhangeln galt. Elin ritt an jedem Schlitten vorbei, musterte den Kutscher, die Adligen, betrachtete jeden Handschuh, jeden Mann, der ihr von der Statur her bekannt vorkam. Sie erntete viele erstaunte Blicke und hörte Damen tuscheln – einen Verdächtigen fand sie jedoch nicht. Schließlich wandte sie sich von den Schlitten ab und sah sich nach der Jagdgesellschaft um. Enhörning riss den Kopf hoch, als hätte er ihren Schreck gespürt.

Henri de Vaincourt saß auf einem weißen Koloss von einem Pferd, dessen Brust so breit wie eine Truhe war. Elin zwang sich zu einem freundlichen Gruß. Henris Blick glitt fassungslos über Enhörning.

Das Lächeln, das Henris Vater ihr schenkte, glich einem Zähnefletschen. Heute hatte der alte Mann nichts Feines an sich – er sah aus wie ein Haudegen auf dem Schlachtfeld.

»Ah, Mademoiselle! Wie ich sehe, begleiten Sie uns heute auf dem Ausritt in die Wälder, statt an den Spielen teilzunehmen?«

Enhörning spürte ihre Nervosität und begann zu tänzeln.

»Schlittenfahrten sind nichts für mich«, erwiderte Elin.

»Ich bezweifle, dass Streitrösser eine bessere Wahl sind«, gab der Marquis zurück. Er warf seinem Sohn einen stechenden Blick zu. Elin fasste die Zügel fester und rang sich ein nervöses Lächeln ab. Ein Horn erscholl, die Reiter verabschiedeten sich von der Schlittengesellschaft und sammelten sich am Ufer des Sees. Vogelflinten wurden geprüft. Elin lenkte Enhörning zu der Gruppe. Ihre Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Drei weitere Frauen im Damensattel fanden sich ein und schüttelten die Köpfe über Elins Sattel.

»Wie kommt es, dass mein Sohn nicht mit einem Pferd fertig wird, das sogar eine Bauernmagd reiten kann?«, zischte der Marquis dem jungen Grafen zu. »Warum sitzt du heute nicht auf dem Gaul?«

»Wie Sie wissen, Vater, musste ich Mutter versprechen, dieses Pferd nicht mehr zu reiten.«

Die Stimme des alten Vaincourt vibrierte vor Verachtung.

»Memme«, stauchte er seinen Sohn zusammen. »Soldaten fragen nicht nach ihren Müttern, wenn es um Pferde oder Waffen geht. Ein Weib bist du! Nun, das Schlachtfeld wird dich bald lehren, als Feigling zu sterben oder als Mann zu leben.«

Elin schämte sich, Zeuge einer solchen Demütigung zu werden. Irgendwie tat ihr Henri sogar ein wenig Leid. Rasch trieb sie Enhörning an und schloss zu den vorderen Reitern auf. Auch hier war niemand, der dem Mann mit dem Federhut ähnelte. Wieder ertönte das Horn. Die Reiter johlten und gaben das Zeichen zum Galopp. Enhörning legte die Ohren an und schoss davon. Elin hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, was für große Sätze das Pferd machte. Der Schreck dauerte nur kurz, dann hatte sie mit einem Mal das Gefühl, auf Wolken zu reiten.

Unter ihr flog der Boden dahin. Sie überholte die anderen Reiter, die ihr zuriefen, ihr Pferd zu zügeln. Die Wälder am Mälar trugen Schleier aus Reif – die sanfte Morgensonne tauchte sie in märchenhaftes Licht. Elin atmete die Winterluft ein und war glücklich. Erst als unmittelbar hinter ihr regelmäßige Hufschläge erklangen, blickte sie sich um. Es war Henri de Vaincourt.

Verbissen trieb er seinen Schimmel an. Elin drückte Enhörning die Fersen in die Flanken. Der Hengst spannte sich – und brach zur Seite aus! Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und wäre beinahe vom Pferderücken gestürzt. Höhnisch winkte ihr der peitschende Schweif von Henris Schimmel zu. Der Graf blickte über die Schulter und grinste. Auf der Stelle vergaß Elin den Mann mit dem Federhut, sie vergaß jede von Lars’ Lektionen und riss Enhörning herum. Die Wut durchströmte sie so jäh und heftig, dass ihre Wangen heiß zu glühen begannen.

Überrumpelt von ihrem scharfen Befehl legte Enhörning die Ohren an und verwandelte sich in einen Pfeil. In weniger als zehn Atemzügen hatte sie Henri eingeholt. Ihre Blicke trafen sich. Nase an Nase preschten die Pferde in gestrecktem Galopp durch den Schnee. Hinter ihnen gellten warnende Rufe, aber Elin und Henri hatten längst den Pakt geschlossen. Schulter an Schulter ritten sie ein halsbrecherisches Rennen. Nur aus den Augenwinkeln erkannte Elin das Flattern eines Rebhuhns. Ihr Hengst brach so abrupt aus, dass die Zügel schmerzhaft durch ihre Hände ruckten. Das Pferd entglitt ihr wie ein glitschiges Seil.

Einige Sekunden lang hatte sie das Gefühl, dass sie von einem unendlich hohen Turm fallen würde, dann stürmte der Hengst wieder los. Henri verging das siegesgewisse Grinsen, als er das Streitross, das er eben überholt hatte, wieder herandonnern sah. Mit vorgestrecktem Kopf raste Enhörning an dem Schimmel vorbei und riss mit einer beiläufigen Kopfbewegung Elin die Zügel aus der Hand. Sie klammerte sich an der Mähne fest.

»Hol den Zügel!«, rief ihr Henri zu. »Der Zügel, rechts! Er hat sich am Steigbügel verfangen!« Längst konnte Elin nichts mehr sehen. Mühsam ertastete sie den Zügel und nahm ihn auf. Auf einmal bockte Enhörning mitten im Lauf. Ein Schlag warf Elin zur Seite – dann dehnte sich die Zeit zur Ewigkeit. Als stünde sie neben sich, sah sie sich aus dem Sattel fliegen. Ein peitschender Schweif streifte ihre Stirn. Dann zuckte nur noch Schmerz durch die Dunkelheit.