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»Es wird noch viel schauriger, wenn sie einen Blick aus dem Fenster wagt«, erwiderte Kristina ungerührt. »Aber so wie sie aussieht, schafft sie es nicht einmal bis zum Tisch.«

Elin biss die Zähne zusammen und schaute zum Glasfenster. Draußen schien die Sonne! Auf Lovisa gestützt machte sie einen ersten Schritt und dann noch einen weiteren. Das Zimmer schwankte, aber sie tappte weiter, bis ihre Finger das Fensterbrett berührten. Im nächsten Augenblick war schon Kristina an ihrer Seite und legte den Arm um ihre Taille, damit sie nicht in den Knien einknickte. Ihr Griff war kräftig und bestimmt. Die Berührung tat gut und fühlte sich vertraut und warm an. Sie sahen sich an. Kristina lächelte.

»Sieh nach unten und erschauere vor Furcht«, raunte sie Elin ins Ohr. »Das ist die Strafe für deinen Ungehorsam.« Unten im Schlosshof stand Lars. Ein Lächeln erlaubte er sich bei Elins Anblick natürlich nicht, aber immerhin erwiderte er ihr Winken. Bei der Handbewegung warf Enhörning den Kopf hoch. »Du hast dir das Pferd ohne Erlaubnis aus dem Stall geholt«, sagte Kristina. »Nun reite es gefälligst auch!«

TEIL III 

Das Versprechen

Irgendwann zwischen zwei Fieberträumen war das Hafeneis gebrochen. Als Elin sich das erste Mal wieder ankleidete und mit Kristina und Fräulein Ebba auf die Nordmauer ging, war ihr das Mieder zu weit geworden und aus dem Spiegel blickte ihr ein hohlwangiges Geschöpf entgegen. Unter dem linken Schulterblatt pochte die empfindliche Narbe. Stockholm erwachte aus dem Winterschlaf. Das Gewicht der Handelsschiffe brach das dünn gewordene Eis. Bizarr gezackte Eisschollen bildeten ein bewegliches Muster auf dem Wasser. Die Familie Vaincourt hatte mit dem ersten Schiff das Land verlassen und Kurs auf Polen genommen, um den dortigen Botschafter zu besuchen. Für Elin hatten sie einen höflichen Abschiedsgruß und einen Beutel mit silbernen französischen Ecus hinterlassen. Elin nahm eine Münze aus dem Beutel und betrachtete nachdenklich das bourbonische Wappenschild mit den drei Lilien und das Porträt des jungen Königs Louis XIV. Eine lange Locke fiel ihm bis auf die Schulter herab. Kristina war untröstlich über die Abreise ihrer Gäste, aber immerhin amüsierte sie Elins Enttäuschung, keine persönliche Nachricht von den Vaincourts vorzufinden. »Ja, einen Feind zu verlieren ist ein großer Verlust«, sagte sie. Elin schwieg, doch das seltsame Gefühl in der Magengrube blieb. Einen Feind zu verlieren wäre einfacher gewesen als jemanden, mit dem man einen Augenblick zwischen Leben und Tod geteilt hatte.

Mit der Schneeschmelze und den ersten Regenfällen kamen die Probleme an der Schleuse, die einzige Durchfahrt zwischen der Ostsee und dem Mälarsee und gleichzeitig die einzige Verbindung zwischen der Stadtinsel und der Südstadt Södermalm. Zahlreiche Schiffe lagen hier, hochbordige Koggen zur Ostsee hin und kleinere Boote auf der Mälarsee-Seite. Elin begleitete die Königin zur Schleuse. Kristina wollte sich davon überzeugen, dass die Schleusentore so weit wie möglich geöffnet waren. Trotzdem gab es Überschwemmungen, die viele Häuser in Söderström verwüsteten. Aus leeren Augen starrten die Gesichter der Enthaupteten vom Südtor auf die Straßen. Elin suchte nach dem Mann mit dem Federhut, aber die Hinrichtung war so lange her, dass sie auch einen vertrauten Menschen unter den verfaulten Schädeln nicht wieder erkannt hätte.

Doch das Leben wurde besser – so als hätte Elin den Preis bezahlt. Bei Hof behandelte man sie wie ein Kuriosum. Tilda und die anderen Mädchen umsorgten sie plötzlich und Oxenstierna ließ ihr als Geschenk eine kleine silberne Brosche in Form eines Pferdekopfs anfertigen. Kristina gab ihr ein eigenes Gemach, das nicht weit von ihren eigenen Privaträumen lag. Das Zimmer war so groß wie der Raum, den Elin bisher mit drei anderen Mädchen bewohnt hatte. Darin stand ein Himmelbett mit blassgrünen Vorhängen. Es war, als hätte sich Kristinas Herz geöffnet, und Elin trat dankbar und staunend ein. Sie lernte eine andere Kristina kennen – warmherzig und sorgsam und unendlich müde von den Verhandlungen und Ränkespielen. Sie lebte mit dem Schwert an der Kehle, das wurde Elin nun klar. Und einen Schwertstreich hatte sie selbst am eigenen Leib gespürt.

Es vergingen noch einige Wochen, bis Elin sich zum ersten Mal wieder in den Stall wagte. In den Nächten zuvor hatte sie immer wieder von Enhörning geträumt. Das Pferd erschien ihr in den Träumen riesenhaft, feurig und so wild, dass sie schweißgebadet aufwachte. Lars empfing sie mit einer festen Umarmung, dann aber scheuchte er sie unbarmherzig in den Sattel und ließ sie büßen. Am Ende der Reitstunde schmerzte ihre Narbe höllisch und ihre Beine zitterten vor Erschöpfung, aber sie war unendlich stolz auf sich. Im Überschwang lief sie sofort in das kleine Arbeitskabinett, das auch als Lager für die Akten diente, um Emilia zu schreiben. Neben dem Fenster stand der kleine Tisch, an dem sie das Lesen und Schreiben übte – dort stapelten sich ihre Unterlagen. Sie brauchte sich nur hinzusetzen und den Federkiel anzuschärfen. Sie war so vertieft in diese Arbeit, dass sie die Stimmen, die sich dem Zimmer näherten, anfangs nicht bemerkte. Erst als die Tür aufflog, schrak Elin hoch und erstarrte. Kristina stürmte in den Raum und warf eine Ledermappe mit Dokumenten auf den Tisch. Ihr Verlobter Karl Gustav folgte ihr.

»Warum hältst du mich hin, Kristina?«, rief er. »Was habe ich getan, um so viel Verachtung zu verdienen?«

»Wer behauptet, dass ich dich verachte?«

»Lenk nicht ab. Du verstehst mich sehr gut!« Seine Stimme bebte. Elin drehte sich wieder zur Tischplatte um und duckte sich tief über das Papier. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sollte sie sich aus der Seitentür stehlen?

»Sag mir jetzt: Wann wirst du dein Heiratsversprechen einlösen?«, donnerte Karl Gustav.

Elin stand auf, knickste tief und murmelte eine Entschuldigung. Kristina und Karl Gustav starrten sie an.

»Ich gehe schon, Ihre Majestät«, sagte Elin und rannte Richtung Tür. Kristina war schneller. Schmerzhaft schloss sich ihre Hand um Elins Handgelenk.

»Elin, du brauchst den Raum nicht zu verlassen«, sagte die Königin mit einer drohenden Höflichkeit. »Hier gibt es nichts, was hinter verschlossenen Türen besprochen werden müsste. Schreib deinen Brief.« Elin schluckte und verstand.

Sie versuchte den feindseligen Blick des Kavallerieobersts zu ignorieren und nahm gehorsam wie eine Verurteilte wieder Platz. Hinter ihrem Rücken ging Karl Gustav erregt auf und ab. Kristina räusperte sich und ließ sich Zeit mit der Antwort.

»Ich war so jung wie Fräulein Elin, als ich dir mein Versprechen gegeben habe«, sagte sie schließlich sanft. »Zu jung für solche Entscheidungen.«

»Du musst nur die Entscheidung treffen, ob du mich liebst.«

»Romantisches Gerede«, wies Kristina ihn mit sanftem Spott zurecht. »Damals im Frühling klangen unsere Schwüre schön und wahrhaftig – aber wir sind beide erwachsen geworden.«

Verstohlen wandte Elin den Kopf zur Seite und schielte zu Karl Gustav. Was sie sah, bestürzte sie. Mitleid schnitt ihr ins Herz. Da stand der Oberst, der über tausende von Soldaten befahl, hilflos wie ein verliebter Junge, der abgewiesen wurde. Er war ein fetter Kriegsherr geworden, der zu viel trank, aber Elin war es, als könnte sie den jungen Mann sehen, den Kristina gekannt hatte und der seine Cousine offenbar immer noch aufrichtig liebte. Er zog Kristina zum Fenster und senkte seine Stimme, aber Elin hatte gute Ohren.

»Ich erkenne dich kaum wieder«, sagte er heiser. »Wo ist das Mädchen, das sich heimlich mit mir verlobte und mir in seinen Briefen schwor, dass nichts uns trennen könne? Jetzt finde ich eine Frau, die den ganzen Tag mit Staatsgeschäften beschäftigt ist. Sie spricht nur noch davon, den Überseehandel auszubauen, Manufakturen zu errichten, und zerbricht sich den Kopf über Handelsverträge mit Spanien, Portugal und England.«