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Mit einer Leidenschaft, die Elin ihm nie zugetraut hätte, trat er noch näher an die Königin heran. »Wir haben getanzt, Kristina«, sagte er leise. »Weißt du das nicht mehr?« Kristina sah ihn lange an. Sie war so viel kleiner als der massige Mann, dass sie zu ihm hochschauen musste. Einen Augenblick wünschte sich Elin, sie würde Karl Gustav zulächeln und ihm die Hand reichen. Doch die Königin trat einen Schritt zurück.

»Ich achte dich sehr, Karl«, sagte sie mit belegter Stimme. »Du bist mir ebenso teuer wie Belle oder Magnus …«

»Es ist also Magnus!«, brauste er auf. »Es stimmt also, was man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt! Er ist dein Günstling! Seit Monaten muss ich mit ansehen, wie du ihn mit Ehren überschüttest.«

»In erster Linie ist er verheiratet«, antwortete sie ihm. »Aber bevor du andere der Untreue beschuldigst, solltest du dir überlegen, was eine Liebe schneller abzukühlen vermag: ein Günstling oder ein im Feld gezeugter Bastard.«

Bei diesem Wort zuckte Elin zusammen.

»Also das verzeihst du mir nicht«, sagte Karl Gustav gekränkt. »Urteile nicht leichtfertig über mich und meine Treue, Kristina. Dieses Wort bedeutet im Frieden das eine, im Krieg dagegen etwas ganz anderes. Du hast nie ein Schlachtfeld mit eigenen Augen gesehen. Für dich finden die Kämpfe nur auf dem Papier statt. Abstrakte Flecken auf Landkarten, ein paar diktierte Anweisungen für die Unterhändler zwischen Ausritten und Balletten.« Unversehens war er laut geworden. Kristina senkte den Kopf und seufzte.

»Ich kann dir nicht einmal widersprechen, Karl. Verzeih mir, wenn ich dich beleidigt habe. Der wahre Grund liegt nicht bei dir – ich habe einfach eine Abneigung gegen die Ehe, die so stark ist, dass ich nicht weiß, ob ich sie je überwinden werde.« Sie richtete sich auf, was sie nicht viel größer aussehen ließ, und reckte das Kinn nach oben. »Jedenfalls wird mein endgültiger Entschluss bis zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag und meiner offiziellen Krönung feststehen. Bis dahin bitte ich dich, Schweigen über unsere Unterredung zu wahren. Aber auch jetzt weiß ich: Ich werde nur heiraten, wenn es aus politischen Gründen keine andere Möglichkeit gibt. Ich bitte dich als Freundin, die ich immer noch für dich bin und immer sein werde, Karclass="underline" Nimm die Stelle des Generalissimus an.«

Die Pause, die darauf folgte, verursachte Elin Übelkeit, so viel Angst hatte sie. Doch Karl Gustav war kein unbesonnener Kämpfer, er machte nicht den Fehler, seinen Zorn zu zeigen.

»Freundin«, sagte er nur bitter. »Wenn du mich nicht zum Mann nehmen willst, will ich weder dein Nachfolger sein noch dein Generalissimus. Vergiss nicht, Cousine – ich bin ein Wittelsbacher. Wir lassen uns eine solche Behandlung nicht bieten.« Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und schritt aus dem Raum. Hinter ihm fiel die Tür so laut ins Schloss, dass Kristina und Elin zusammenzuckten. Lange Zeit sagte keine von beiden ein Wort. Erst als Elin einen unterdrückten Laut hörte, drehte sie sich um. Ihre Finger waren taub geworden, so fest hatte sie die ganze Zeit die kleine Klinge umklammert, mit der sie den Federkiel geschärft hatte. Die Königin starrte aus dem Fenster. Ihre Augen glänzten.

»Kristina«, sagte Elin sanft. Die Königin schüttelte heftig den Kopf und hob abwehrend die Hand.

»Lass mich«, sagte sie mit brüchiger Stimme. Sie wandte ihr blasses Gesicht Elin zu. »Was siehst du mich so an? Erscheint es dir denn so erstrebenswert zu heiraten?«

»Ich … weiß nicht.« Gudmunds Hof war wieder da und mit ihm die aufdringlichen Knechte und der lüsterne Blick des alten Gudmund, der nach den Mägden schielte. Und da war auch die Erinnerung an Gudmunds Tochter Madda, die bei der Geburt ihres ersten Kindes unter Schmerzen und Schreien beinahe gestorben wäre.

»Es braucht mehr Mut, sich zu verheiraten, als in eine Schlacht zu ziehen«, sagte Kristina leise. »Was erwartet eine Frau schon in der Ehe?«

»Schmerzhafte Geburten und der Tod im Kindbett«, sagte Elin.

Kristina nickte.

»Und vergiss nicht die prügelnden, betrunkenen Männer. Wenn man die Wahl hat, frei zu sein und frei zu bleiben, warum sollte man sie nicht treffen?« Nach einer Pause fuhr sie noch leiser fort: »Unsere katholischen Freundinnen haben es da besser. Sie können ins Kloster gehen, wenn sie nicht heiraten wollen.«

»Andererseits muss nicht jede Ehe unglücklich sein«, wandte Elin ein. »Emilia und Elias waren glücklich.«

Kristina fuhr herum wie eine Schlange.

»Es steht niemandem zu, mich zu bedrängen!«, schrie sie plötzlich. »Und dir am allerwenigsten!« Ihre Stimme gellte in Elins Ohren. Zorn wallte in ihr auf, so ohne jeden Grund angefahren zu werden. Sie reagierte ohne nachzudenken.

»Ich bedränge Sie nicht!«, schrie sie zurück. »Sie selbst haben zu mir gesagt, man müsse alle Seiten hören, bevor man ein Urteil fällt. Haben Sie das schon vergessen?« Sie schnappte nach Luft und wurde sich bewusst, was sie sich gerade gegenüber der Königin herausgenommen hatte. Ihr Jähzorn verebbte. Zu ihrer Überraschung ließ sich Kristina auf einen Stuhl fallen und lachte. Kopfschüttelnd musterte sie Elin und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.

»Es ist seltsam – so verschieden wir auch sind – in so vielen Dingen sind wir uns gleich. Du bist rebellisch und hast deinen eigenen Kopf. Wenn ich in dein Gesicht sehe, wenn du lachst oder wütend bist, dann glaube ich manchmal, in einen Spiegel zu blicken. Du bist mein Spiegelbild, Elin. Nur bist du nicht gefangen, so wie ich.«

»Sie sind nicht gefangen. Sie können tun und lassen, was Sie wollen. Sie befehlen – wir gehorchen.«

»Das sagst du, die tut und lässt, was ihr gefällt, und die sogar meine Befehle missachtet«, spottete Kristina. Ein schmerzlicher Zug huschte über ihr Gesicht. In solchen Augenblicken erinnerte die Königin Elin an einen Aprilhimmel – von einer Sekunde auf die andere veränderte sich das Spiel der Wolken, Sonne wechselte mit Regen, Gewitter mit Frühlingsluft und Regenbogen. »Ich beneide dich so sehr, dass du es dir gar nicht vorstellen kannst«, flüsterte Kristina. »Was ist ein König denn anderes als ein gekrönter Sklave seines Volkes?«

Tabulae anatomicae

»Lass Lovisa nicht wissen, dass ich dir erlaube, in diese Bücher zu schauen!« Hampus lächelte verschwörerisch. »Hier sind die Organe besonders schön abgebildet. Und in diesem Buch dort findest du die Skelettdarstellungen und die Muskelmänner.«

Behutsam zog der Student ein Buch zu sich heran. De humani corporis fabrica, entzifferte Elin den Titel.

Hampus schlug es auf und deutete auf einen Holzschnitt, der einen ganzen Menschen darstellte – allerdings ohne Haut. Muskeln hüllten ihn ein und hingen an einigen Stellen wie aufgeklappte Lappen vom Körper. Fräulein Ebba hätte sich bei diesem Anblick sicherlich bekreuzigt.

»In diesem zweiten Buch beschäftigt er sich fast nur mit der Muskulatur. Und hier hast du das Adernetz und die Eingeweide.« Sobald er über Medizin sprach, verschwand Hampus’ Fröhlichkeit. Elin musste lächeln, wenn sie ihn so konzentriert sah. In einigen Jahren würde er seine Patienten als ausgebildeter Arzt mit diesem besorgten Ausdruck im Gesicht das Fürchten lehren.

Elin griff nach einem anderen Buch und blätterte in den anatomischen Tafeln. Es waren Kostbarkeiten, die hier auf dem Tisch lagen. Herr Freinsheim hatte Hampus die Folianten nur in die Hand gegeben, nachdem der Student feierlich geschworen hatte, sie nicht zu beschädigen. Der Anatomist und Chirurg Andreas Vesalius hatte die Bücher vor mehr als hundert Jahren drucken lassen. Elin kannte inzwischen die Namen der meisten Organe und wusste um die Beschaffenheit der vier Flüssigkeiten, die das Temperament eines jeden Menschen bestimmten. Bei Frauen überwogen die feuchten und kühlen Elemente, bei Männern dagegen Trockenheit und Hitze. Elin wusste auch, dass sich diese Elemente bei der Königin laut Doktor van Wullen nicht im Einklang befanden, was sie so männlich und unbeherrscht erscheinen ließ. Die Analyse des Arztes war verwirrend, aber dennoch logisch – bis auf die Tatsache, dass sich Elin fragte, ob ihre eigenen Anlagen auch im Ungleichgewicht waren, denn die meisten von Kristinas Gefühlsregungen konnte sie sehr gut nachvollziehen.