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Hampus rückte näher an Elin heran und beugte sich mit ihr zusammen über das Buch. Im Licht der tief stehenden Nachmittagssonne glänzte sein rotbraunes, glattes Haar wie Kupfer. Elin betrachtete verstohlen sein Profil. Ihre Schultern berührten sich leicht, als sich Hampus nach vorne beugte und auf ein Bild zeigte.

»Das wolltest du dir doch ansehen, oder? So sieht ein menschliches Herz aus.« Elin betrachtete konzentriert das Organ. Das hier sollte in Emilias und ihrer Brust schlagen?

»Es sieht nicht viel anders aus als ein Schweineherz«, meinte sie enttäuscht.

»Was dachtest du denn?« Hampus lachte verschmitzt. »Dass es aussieht wie die Zeichnung unter einem Liebesgedicht? Das menschliche Herz ist kein romantisches Organ, es besteht aus Muskeln, Adern und Nerven. Rene Descartes hat sogar Klappen darin entdeckt.«

»Klappen? Wofür?«

»Kennst du die Entdeckung von William Harvey? Er hat anhand der Blutmenge, die täglich durch das Herz fließt, berechnet, dass das Blut nicht ständig neu gebildet wird, sondern nur in einer bestimmten Menge vorhanden ist und in einem Kreis durch den Körper fließt. Auch Monsieur Descartes verfolgt diese These vom großen Blutkreislauf. Die Klappen dienen zur Unterstützung des Pumpens.«

»Meinst du Descartes, den Philosophen? Die Königin unterhält eine Korrespondenz mit ihm. Sie diskutieren viel über philosophische Fragen. Aber dass er Mediziner ist, wusste ich nicht.«

»Oh, er beschäftigt sich mit vielen Disziplinen. Er würde sagen, das Herz ist eine Maschine, ein kleines Teil des Räderwerks, das unseren Körper antreibt.«

»Dann kann man das Herz ja wie eine kaputte Maschine wieder instand setzen«, murmelte Elin. Die Vorstellung war faszinierend.

»Gib es zu, Elin – du willst das nur wissen, weil du dir immer noch Sorgen um diese finnische Magd machst! Dabei hat mir Erik aus Uppsala geschrieben und versichert, dass sie noch lebt. Und das nicht schlecht, seit du sie unterstützt.«

Überrascht sah Elin ihn an.

»Nein«, meinte sie. »Das heißt ja – ich will wissen, was es für Herzkrankheiten gibt. Emilia sagte, ihr Herz sei vor Kummer vernarbt und schmerze deshalb, ich dagegen denke, sie leidet an etwas, das man heilen kann. Als ich sie das letzte Mal sah, hatte sie Fieber und ein Stechen – hier. Ich schicke ihr Geld, damit sie sich Medizin kaufen und ein wenig ausruhen kann. Aber wenn ich wusste, was mit ihrem Herzen ist, könnte ich ihr sagen, was sie tun muss.«

Hampus’ Augen waren braun wie die von Henri – aber von einem wärmeren Braun, ein bisschen wie das Harz, das seine Tante zur Fixierung der Schwanenfedern verwendete.

»Schreib mir auf, was für Symptome sie noch hatte. Ich werde Doktor van Wullen fragen, was man ihr raten könnte.« Mit diesen Worten zog er das Buch, in dem das Herz abgebildet war, zu sich heran. Versehentlich berührte er dabei Elins Arm. Vor Schmerz zog sie die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. Hampus wich erschrocken zurück.

»Schon wieder eine Prellung?«

Elin rieb sich den Arm und lächelte verschämt.

»Enhörning denkt immer noch, ein Reiter sei etwas, das man einfach an einem Baum abstreifen kann. Aber zumindest hat er verstanden, dass ich mich nicht mehr so leicht abwerfen lasse.«

»Zeig her«, sagte Hampus sanft. Ohne zu zögern löste Elin das Schleifenband an ihrem Ärmel und schob den Stoff ein Stück zurück. Beim Anblick der blauroten Stelle oberhalb des Ellenbogens verzog Hampus das Gesicht. Behutsam umfasste er mit der linken Hand ihren Unterarm und strich mit der rechten über die Prellung.

»Ich könnte dir ein Pflaster zurechtmachen«, murmelte er.

Jemand räusperte sich im Raum und beide blickten erschrocken hoch. Herr Freinsheim war ins Zimmer eingetreten – gefolgt von Kristina.

Sofort ließ Hampus Elins Arm los und sie streifte sich den Ärmel wieder bis zum Handgelenk hinunter.

»Es hat seine Vorteile, Medizin zu studieren«, sagte Hampus und machte eine tiefe Verbeugung. »So darf man die jungen Damen berühren.«

»Das sehe ich«, erwiderte Kristina trocken. »Wenn Fräulein Elin nur halb so viel Begeisterung für ihre Schreibübungen aufbringen würde wie für dich, Hampus …«

»Oh, Sie haben sie noch nicht durchschaut«, erwiderte Hampus. »Es ist nicht die Liebe zu mir, sondern ausschließlich die Liebe zur Medizin, die sie an meinen Tisch lockt. Ich habe den Verdacht, sie will heimlich mit mir studieren.«

»Natürlich! Weswegen sollte man sich sonst mit Hampus an einen Tisch setzen?«, warf Elin ein. Freinsheim und die Königin verstanden ihren Humor. Freinsheim erlaubte sich sogar ein flüchtiges Lächeln. Hampus’ Gesicht dagegen verdüsterte sich und Elin tat ihre vorlaute Art wieder einmal Leid. Es war einfacher, wenn auch gefährlicher, mit Kristina zu scherzen – bei Hampus fühlte sie sich oft so, als hätte sie beim Versuch, ihm einen scherzhaften Klaps zu geben, ohne Absicht eine tiefe Wunde geschlagen. Abrupt wandte er sich dem Tisch zu und stapelte die Bücher auf seine Arme.

»Sie entschuldigen, Majestät«, murmelte er. Elin senkte den Kopf und warf Kristina einen zerknirschten Blick zu. Die Königin grinste und ging zu dem Regal mit den Werken der Physik. Der Bibliothekar folgte ihr, jedoch nicht ohne Elin zuvor zu ermahnen, ihre Schreibübungen fortzusetzen. Elin liebte das Lesen, aber das Schreiben fiel ihr nach wie vor schwer. Dafür lernte sie umso eifriger Deutsch und saß abends über den unendlich scheinenden Listen, auf denen die Namen der schwedischen Soldaten erfasst waren. Kristina hatte sich erbarmt und einige der Akten aus dem alten Schloss in Uppsala nach Stockholm schaffen lassen. Aber mehr als den Namen ihres Vaters und die Stationen seines Kriegswegs, die ihn von der Insel Usedom über unzählige Schlachtfelder und schließlich bis nach Nördlingen geführt hatten, hatte Elin nicht erfahren. Es gab keinerlei Aufzeichnungen über sie oder ihre Mutter. Kein einziges Dokument über eine Eheschließung, keinen Anhaltspunkt, nichts. Auch der Kurier, den Kristina wegen einer anderen Angelegenheit nach Uppsala schickte und der bei den Gudmunds nachgefragt hatte, brachte keine neuen Nachrichten.

Die Königin trieb in diesen Monaten die Verhandlungen in Deutschland mit aller Macht voran. Die Nächte verbrachte sie nicht selten zusammen mit Elin in der Bibliothek. Kristina las die Schriften des Philosophen Descartes und schrieb Briefe an ihn, die sie Elin vorlas. Sie handelten vom Wesen der Liebe, von der Trennung von Geist und Materie und der Existenz und Beschaffenheit der Seele.

Kurz nach Pfingsten gab sich Karl Gustav endlich geschlagen und legte in der Kirche seinen Eid als Generalissimus ab. Mit blassem Gesicht und sichtlich abgemagert kniete er vor Kristinas Baldachin und sprach den Schwur, den Axel Oxenstierna ihm vorlas. Elin, die in der hintersten Reihe stand, versuchte bei Kristina eine Regung zu entdecken, aber im Gegensatz zu Karl Gustav, der einen durch und durch unglücklichen Eindruck machte, wirkte Kristina kühl und nahm seinen Handkuss gnädig entgegen. Eine ganz andere Kristina platzte am selben Abend in Elins Gemach und wedelte freudestrahlend mit einem Brief.

»Wir haben Prag!«, rief sie. »Mein General Königsmarck hat die Kleinseite von Prag erobert. Und weißt du, was sich im Schloss befindet?«

»Schätze?«

»Und was für welche! Bilder, Skulpturen und Kuriositäten! Vom großen Kaiser Ludwig zusammengetragen, unglaubliche Kostbarkeiten aus ganz Europa! Oh, wir werden eine Bilderkammer einrichten, wie Schweden sie noch nie gesehen hat!«