Выбрать главу

»Jeden, Elin. Das weißt du doch.«

»Könntest du … noch einmal bei den Gudmunds nachfragen? Sie haben gemeldet, dass sie nichts über meine Eltern wissen – aber ich glaube es erst, wenn sie es auch dir gesagt haben. Und könntest du … Emilia einen Brief und ein paar Riksdaler bringen?«

»Das sind aber zwei Gefallen.«

»Bitte!«

Hampus lächelte ihr besänftigend zu.

»Natürlich werde ich Emilia besuchen. Mach dir nicht so viele Sorgen.«

Die Flüssigkeit, in der sich die schwarzen Würmer wanden, war ganz gewöhnliches Teichwasser. Auf Elins Schreibtisch zwischen Pergament und Büchern wirkte das Glas jedoch einigermaßen seltsam.

»Hirudo medicinalis«, sagte Hampus geheimnisvoll. »Blutegel. Sie saugen das schlechte Blut aus dem Körper und schwächen den Kranken sehr viel weniger als ein Aderlass. Wenn die Theorie stimmt, dass in unserem Körper nur eine bestimmte Menge Blut im Kreis gepumpt wird, ist es eher schädlich, dem Körper viel Blut zu entziehen.« Er beugte sich näher zu Elin und senkte seine Stimme. »Bist du nicht auch erstaunt, wie sehr unsere glitschigen Freunde hier den Höflingen ähneln? Der dahinten heißt Johan Oxenstierna.« Elin kicherte.

»Hier wird nicht getuschelt«, fuhr Lovisas herrische Stimme dazwischen. Zu Elins Überraschung stand Hampus sofort auf und machte einen Schritt zur Seite.

»Entschuldigen Sie«, murmelte er verlegen. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«

»Das warst du aber«, sagte Lovisa. »Denke daran, du bist ein junger Mann und Fräulein Elin noch ein Mädchen. Ein anständiges Mädchen«, setzte sie mit Nachdruck hinzu.

»Ich stimme Ihnen vollkommen zu«, sagte Hampus galant. »Ich muss mich ohnehin verabschieden – ich habe meiner Tante versprochen, sie zum Markt zu begleiten.«

Er verbeugte sich übertrieben tief erst vor der Hofdame, dann mit einem Zwinkern vor Elin, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und schnell den Raum verließ. Kopfschüttelnd sah Lovisa ihm nach.

»Es ist keine gute Idee, diesen Studenten in deinem Privatgemach zu empfangen.«

»Die Tür steht offen. Und außerdem ist er mein Freund!« Lovisa verschränkte die Arme. In den vergangenen Wochen hatte die Kammerfrau sich sehr verändert. Je heller die Sommersonne schien, desto düsterer wurde ihr Gemüt. Einmal hatte Elin sie dabei ertappt, wie sie im Ostflügel am Fenster stand und weinend auf das Wasser blickte, aber Lovisa wollte nicht verraten, was ihr Kummer bereitete.

»Freunde kannst du dir leisten, sobald du einen Ehemann hast«, knurrte sie jetzt. »Bis dahin bringt es dich nur in Verruf. Weißt du nicht, wie über dich getuschelt wird?«

»Lass die Gänse doch schnattern.«

»Du hast leicht reden. Herr Hampus hat schließlich keinen Ruf zu verlieren.«

»Aber ich schon?«

»Nein, du hast noch einen langen Weg vor dir, dir überhaupt erst einen Ruf zu erarbeiten!« Lovisa seufzte und wischte sich über die Stirn. »Aber das ist nicht der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin. Ein Bote ist gekommen – mit einem Päckchen aus Deutschland für dich.«

Elin fuhr hoch. »Wo?«

»Im Kabinett der Königin. Du sollst es holen.«

Kristina blickte nicht von ihren Akten auf, als Elin in ihr Kabinett stürmte, sondern deutete nur mit einer vagen Geste auf einen Tisch bei der Tür. Elin stürzte sogleich dorthin und riss den Lederbeutel an sich. Etwas klirrte darin. Eine Kette? Vielleicht ein Erbstück?

»Vorsicht, Elin!«, hörte sie Ebbas Stimme neben sich. »Vielleicht ist etwas Zerbrechliches darin.« Erst jetzt bemerkte Elin die Freundin der Königin. Sie saß am Fenster und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien.

Behutsam tastete Elin nach dem Inhalt des Beutels und erschauerte, als ihre Fingerspitzen kaltes Metall und Leder berührten. Überrascht zog sie den Gegenstand heraus. Es war ein Zaumzeug mit einem schmalen Mundstück. Ein Kärtchen mit einer Empfehlung hing daran. Elin brauchte eine halbe Ewigkeit, um zu begreifen, von wem die Sendung stammte und warum sie aus Deutschland kam und nicht aus Frankreich.

»Monsieur Henri wurde von seinem Vater an die Front geschickt«, sagte Kristina. »Der arme Kerl steht auf einem Schlachtfeld in Zusmarshausen bei Augsburg. Ich nehme an, der Zaum ist eine kleine Erinnerung daran, dass du dein Pferd besser zügeln sollst. Eins muss man dem jungen Marquis lassen – seinen Humor nimmt ihm so leicht niemand.« Sie lächelte müde und beugte sich wieder über die Akten. »Wie weit bist du mit der Katalogisierung der philosophischen und sprachwissenschaftlichen Studien für die Bibliothek?«

»Ich arbeite daran«, murmelte Elin. Tränen brannten in ihren Augen. Sie war plötzlich unglaublich wütend auf Henri. Wütend, dass er diese Hoffnung in ihr Herz gesetzt hatte. Und da war noch ein anderer Gedanke, der sie beunruhigte: Henri war auf einem Schlachtfeld. Seltsamerweise erinnerte sich Elin nicht an den hochmütigen Adligen, sondern an den Jungen in der Bibliothek, der mit sehnsüchtigem Blick die Sterne betrachtet hatte.

»Warum zum Teufel heulst du?«, fuhr Kristina sie an.

Ebba warf der Königin einen tadelnden Blick zu.

»Das wissen Sie genau!«, brachte Elin heraus.

»Ach richtig, du wartest ja immer noch auf den Brief, der dir bestätigt, dass deine Mutter eine Prinzessin war, die unstandesgemäß einen Soldaten geheiratet hat – heimlich am Rand eines Schlachtfelds. Ach Elin, gib es endlich auf! Es ist bedeutungslos!«

»Für Sie schon!«

»Mein Gott, wir haben ganz andere Sorgen! Europa brennt! Es gibt Bürgerkriege und Aufstände. Meine Adligen setzen mir zu und du denkst an nichts anderes als die Vergangenheit. Du musst sie endlich ruhen lassen und in die Zukunft blicken. Ich für meinen Teil wäre froh, nicht zu wissen, wer meine Mutter ist.«

»Wie können Sie so etwas nur sagen!«

»Ich weiß, wovon ich rede. Du hast zumindest die Illusion, dass deine Mutter dich liebte. Ich hingegen habe meine Mutter an dem Tag verloren, an dem ich geboren wurde.« Kristina seufzte. »Alle dachten, ich sei ein Junge. Mein Vater soll gesagt haben: ›Sie wird klug werden, da sie uns so gut zu täuschen wusste. ‹ Nun, meine Mutter hat mir diese Täuschung nie verziehen.«

Elin hatte das Gefühl, dass dies nicht die ganze Wahrheit war.

Mit unbarmherziger Stimme fuhr Kristina fort: »Was würdest du tun, wenn du feststellen müsstest, dass deine Mutter dich ertränken wollte?«

»Das hätte sie nie getan«, gab Elin trotzig zurück. Ohne es zu wollen, hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte sie Kristina geohrfeigt.

»Es reicht, Kristina.« Ebbas Stimme klang so sanft wie immer. »Du urteilst über fremdes Leid«, fuhr sie noch leiser fort. »Und dabei müsstest gerade du wissen, dass du Elin damit unrecht tust.«

Kristina warf Ebba einen langen Blick zu, dem diese mühelos standhielt. Elin bewunderte die junge Hofdame für ihre Sanftmut und ihre Klarheit, die dennoch nicht darüber hinwegtäuschten, dass sich hinter dem hübschen Äußeren ein starker Wille verbarg. Kristina seufzte.

»Du hast Recht, Belle«, sagte sie nach einer Weile. »Entschuldige, Elin. Ich bin hart geworden. Aber selbst ich weiß, wie grausam es ist, jemandem die Hoffnung zu nehmen.«

Sie trat an Elin heran und legte den Arm um ihre Schulter. Irritiert zog sie die Brauen zusammen. »Hat Lovisa dich doch noch überredet, hohe Schuhe zu tragen?« Mit energischen Schritten ging sie um Elin herum, lüpfte respektlos ihre Röcke bis zum Knie und schüttelte beim Anblick der flachen Lederschuhe den Kopf. »Belle, sieh dir das an! Sie wagt es tatsächlich, auf ihre Königin herabzuschauen! Wer zum Henker hat dir erlaubt zu wachsen?« Kristinas Lachen war herzlich und rau zugleich. Wieder einmal war Elin verwirrt von der Sprunghaftigkeit ihres Gemüts. »Vor lauter Regieren und Studieren habe ich gar nicht bemerkt, wie hübsch du geworden bist. Du solltest in meinem Ballett tanzen! Du wärst eine wunderbare Jagdgöttin Diana!«