Die angesprochene Dame, die in viel zu dünner Kleidung in einem Sessel saß, hatte Haut wie Milch und bläulich angelaufene Fingernägel. Ihre Dekolletage war so tief ausgeschnitten, dass es Elin schon beim Hinsehen fror. Die Dame hustete und blickte von ihrer Näharbeit auf. Elin war froh, sich an der Wärmflasche festhalten zu können. Ihre Hände zitterten vor Aufregung und das Herz pochte ihr bis zum Hals.
»Die Wärmflasche für Madame … Joulain«, sagte sie kaum hörbar.
Die Kammerfrau zog eine Augenbraue hoch und übersetzte Elins Worte. Die Dame antwortete etwas und schenkte Elin ein flüchtiges Lächeln.
»Na los, bring sie ihr!«, befahl der zerknitterte Mund. »Und hilf gleich dabei, den Sessel zum Feuer zu drehen.« Elin gehorchte. Ihre Knie waren weich, als sie näher trat, den Sessel wie befohlen verschob und die Wärmflasche auf die Stelle am Boden legte, auf die Madame Joulain deutete. Ein süßer Duft schlug ihr entgegen. Ein wenig roch es nach verbrannten Kräutern, aber auch nach Blüten – mitten im Winter. Die Hofdame duftete nach Rosen!
»Bien«, sagte Madame Joulain und hustete wieder. Dann nahm sie im Sessel Platz und lüpfte ihre Röcke. Ein Fuß in einem mit einer Schleife verzierten Schuh erschien. Mit einer anmutigen Bewegung schob die Dame die Wärmflasche unter die mit Spitzen besetzten Unterröcke und ließ den Stoff darüber fallen. Dann beugte sie sich über ihre Näharbeit und vergaß Elin auf der Stelle. Es war nicht Ebbas Tuch, das sie ausbesserte, sondern ein Stück mit Silber durchwirkter Brokat, in den die Dame eine Blume stickte. Langsam zog sich Elin in Richtung Tür zurück. Sie wusste nicht, ob sie sich umdrehen durfte, also schlurfte sie rückwärts zur Tür. Dabei sah sie sich in dem Raum um. In einem Korb auf einem Holzsekretär lag etwas, das an eine Wolke erinnerte – weißer Stoff bauschte sich dort. Eine rote Ranke lugte über den Korbrand. Fräulein Ebbas Tuch! Elin zögerte.
»Ist noch etwas?«, fragte die Kammerfrau.
»Nein.«
»Dann geh!«
Schon lag Elins Hand auf der Bronzeklinke. Fieberhaft überlegte sie, während sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Dann entdeckte sie etwas, das vor Madame Joulains Füßen lag. Das Garnknäuel war heruntergefallen und in die Nähe des Feuers gerollt. Irgendjemand musste Elins Stoßgebet erhört haben! Sie räusperte sich.
»Madame Joulain hat ihr Garn verloren.«
»Tatsächlich«, erwiderte der weißhaarige Drache trocken. »Danke. Und jetzt geh!«
Elin drückte die Klinke hinunter, aber sie öffnete die Tür noch nicht. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie die Kammerfrau Madame Joulain das Garnknäuel reichte. Elin nutzte diesen Augenblick der Unaufmerksamkeit, öffnete die Tür und schloss sie gleich darauf wieder etwas zu laut. Fast im selben Moment huschte sie zur großen Kleidertruhe, die neben der Tür stand, und versteckte sich dahinter. Der Duft von gewachstem Holz und parfümiertem Stoff drang ihr in die Nase. Ihre Wange streifte einen Samtrock, der über der Truhe ausgebreitet war. Elin zuckte zurück. Ein Lachen der Französin war vernehmbar, das in ein trockenes Husten überging. Elin hörte das Schleifen eines Rocks auf dem Holzboden und dann leise Stimmen im Nebenzimmer. Auf allen vieren kroch sie zum Rand der Truhe. Nur wenige Schritte entfernt befand sich der Korb mit dem Tuch. Noch einmal holte sie tief Luft, dann wagte sie einen Blick ins Zimmer. Madame Joulain saß halb von ihr abgewandt, ganz in ihre Stickerei vertieft. Elin konnte ihren Nacken sehen. In Gedanken zählte sie bis drei, dann huschte sie los.
Sie zögerte nur kurz, bevor sie den feinen Stoff befühlte. So musste sich das Feenhaar anfühlen, von dem Emilia so gern erzählte. Und inmitten dieser Weichheit ertastete sie einen kleinen, harten Gegenstand. Ein Lächeln breitete sich über Elins Gesicht. Am liebsten hätte sie einen Triumphschrei ausgestoßen. Das Medaillon war überraschend klein. Die Blütenblätter waren so filigran, dass Elin fürchtete, sie durch eine unachtsame Bewegung zu zerdrücken. Behutsam hakte sie den verbogenen Verschluss vom Stoff los, nahm das Schmuckstück an sich und schlich, so schnell und so leise sie konnte, aus dem Zimmer.
In ihrer heißen Hand pochte es, als hielte sie ein Herz aus Gold umschlossen. Ohne auf die verwunderten Blicke der Lakaien zu achten, rannte sie über die Flure. Nun musste sie so schnell wie möglich zu Victor! Endlich kam der dunkelgrüne Vorhang in Sicht. Schon von weitem erkannte Elin die Stelle, an der der Samt eine schräge Falte warf. Mit flinken Händen tastete sie unter den Saum und fand ihre Schürze. Der Vorhangstoff fiel schwer auf ihre Schulter. Sie versuchte ihn mit einer unwirschen Bewegung abzuschütteln, aber es wollte ihr nicht gelingen. Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und kippte in der Hocke um. Irritiert blickte sie auf zwei bestrumpfte Beine. Der Griff an ihrem Oberarm verstärkte sich, bis er schmerzte. Olofs Gesicht sah gar nicht mehr freundlich und hübsch aus.
»Was hast du hier verloren?«, zischte er sie an. »Na warte, wenn Greta dich in die Finger bekommt!« Elin stemmte sich gegen den harten Griff, zog das linke Knie an den Körper und trat Olof gegen das Schienbein. Sein Aufschrei gellte ihr noch im Ohr, als sie sich längst aufgerappelt hatte und zur Treppe floh. Aber sie hatte nicht mit seiner Schnelligkeit gerechnet. Kurz vor der Treppe erreichte er sie und packte sie am Kragen. Elin wirbelte herum. Der Stoff ihrer Jacke würgte sie, aber es gelang ihr, sich unter Olofs Arm umzudrehen und sich aus dem Griff zu winden. Wenn er sich nicht die Finger verrenken wollte, musste er sie loslassen. Plötzlich erstarrte der Tischdiener.
»Was hast du da?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die goldene Kette an, die zwischen ihren Fingern hervorbaumelte. »Das Medaillon! Du hast es also gestohlen!«
Elin riss sich mit aller Kraft los. Wie sie richtig vermutet hatte, war Olof viel zu besorgt um seine Finger und seine makellose Livree, als dass er sich auf ein ernsthaftes Gerangel eingelassen hätte. Im Laufen sah sie sich nach ihm um. Sie wunderte sich, dass er sie nicht verfolgte. Der Diener stand nur da, mit offenem Mund und einem törichten Gesichtsausdruck. Er sieht gar nicht mich an, schoss es Elin durch den Kopf. Im selben Moment prallte sie gegen eine Schulter. Ein schwerer Rock wickelte sich um ihre Beine und ließ sie straucheln. Mit einem Keuchen stürzte sie zu Boden. Der Duft von gewachstem Holz stieg ihr in die Nase. Elin stützte sich auf den Händen ab und schnellte hoch. Flüchtig blickte sie in zwei empörte blaue Augen, dann nagelte eine tiefe, ungehaltene Stimme sie fest.
»Haltet sie!« Elin wusste nicht, woher die zwei Gardisten plötzlich aufgetaucht waren. Grobe Hände packten sie. »Los, hierher zu mir!« Im schwachen Licht des Gangs glänzte unheilvoll das Eisen der Langwaffen. Die anderen Soldaten traten zur Seite und gaben den Blick frei auf eine zornige junge Frau. Sie war kaum größer als Elin, aber die Wut verlieh ihr eine Aura aus Blitz und Donner. Ihre Augen sprühten vor Wut. Der Griff um Elins Arm lockerte sich, dafür spürte sie jetzt einen groben Kniff in die Seite.
»Verbeuge dich vor der Königin«, raunte einer der Gardisten ihr zu. »Los, runter mit dir!«
Sie hatte Königin Kristina umgerannt? Mehr aus Schreck als aus Gehorsam klappte sie in einem tiefen Knicks zusammen. Sie war verloren. Dafür würde der Henker sie holen! Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Also?«, fuhr die Königin sie an. »Was zum Teufel treibst du hier?«
Elin brachte vor Schreck kein Wort heraus, dafür verbeugte sich Olof mit einem Lächeln und trat vor.
»Erlauben Sie mir, es zu erklären, Ihre Majestät. Diese Magd hat das Medaillon. Unter dem Vorhang dort hinten hatte sie es versteckt. Vermutlich wollte sie es holen, bevor ein Diener es findet.«