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Bald hatte das Schiff die Stadt hinter sich gelassen und nahm Kurs auf die Ostsee. An der großen Stadtinsel Söder mit ihren steilen Granitklippen vorbei ging es weiter in den Archipel unzähliger unbewohnter Inseln und Inselchen. Auf manchen sah man bizarre Felsformationen, geschliffen von den Stürmen vieler Jahre. Manche der Schären waren ganz kahl, auf anderen fanden nur einige vom Sturm zerzauste Birken Platz. Möwenschreie durchschnitten die Stille. Elin erschienen sie wie die Klagelaute verdammter Seelen.

Sie betrachtete die Wellen und hatte das Gefühl, bis auf den Grund des Mälarsees sehen zu können. In ihrer Vorstellung war es ein Friedhof mit Masten statt Grabsteinen. Ungeheuer lagen am Grund und äugten zum schwarzen Umriss des Schiffes empor. Sie schauderte und rieb sich die Arme.

Kristina stand an Deck und sprach während der Fahrt kaum ein Wort. Aber Elin sah, wie sie nervös ihre Finger knetete. Die Festung Vaxholm kam in Sicht, doch das Schiff der Königinmutter war weit und breit nicht zu sehen. Der Himmel hatte sich verdüstert, ein kühler Sommerwind ließ Elin frösteln. Als die ersten Regentropfen fielen, zogen sie sich in die Kajüte unter Deck zurück. Beim ersten Donnerschlag zuckte der Kammerdiener zusammen und sprach ein Gebet.

»Weiterfahren«, befahl Kristina dem Kapitän.

»Dann halten Sie sich gut fest«, erwiderte der Seemann ungerührt.

Der Wind wurde zum Sturm und ließ das Schiff auf den Wellen tanzen. Verglichen mit dieser Fahrt waren Elins Ritte auf dem bockigen Enhörning ein Kinderspiel. Nie hätte sie dem Kammerdiener Johan, der längst vom Beten zum Fluchen übergegangen war, solche Worte zugetraut. Sein Gesicht nahm den Farbton von blassgrünem Schimmel an. Wellen klatschten gegen den Bug und der Wind heulte. Als eine Welle das Schiff hochriss, bis Elin glaubte, einen Atemzug lang zu schweben, traf die Übelkeit sie mit voller Wucht. Sie presste sich die Hand auf den Mund und würgte. Als Kristina, völlig unbeeindruckt von dem Wellentanz, endlich den Befehl gab, auf einer Insel an Land zu gehen, fluchte Elin längst mit Johan um die Wette.

Der Sturm tobte mehrere Stunden. Ungerührt las Kristina in einem Buch, obwohl der Wind an den Seiten riss. Elin betrachtete frierend das Ballett der Blitze am Horizont. Vom Schiff der Königinmutter gab es keine Spur.

»Wir warten«, bestimmte Kristina und lächelte dem entsetzt dreinblickenden Johan aufmunternd zu. »Es kann nicht länger als ein paar Tage dauern.«

Das Lager unter freiem Himmel war schnell errichtet. Auf der kleinen Insel, vor der sie geankert hatten, hoben sich schiefe Bäume gegen den Himmel ab. Irgendwann kam auch wieder die Sonne hervor und Elin vergaß die beschwerliche Fahrt. Das düstere Schloss lag in weiter Ferne. Statt Perlen und Juwelen glitzerten hier die Regentropfen auf den Blättern der Birken. Die Nacht würde kühl werden und so rückten Kristina und Elin auf dem Lager nahe zusammen. Über der Ostsee glühte ein heller, nordischer Sommerabend. Das Wasser erinnerte an eine polierte Platte aus blassem Gold.

»Rück näher zu mir«, flüsterte Kristina. Sie stützte den Kopf in die Hand und sah Elin an. In ihren Augen spiegelte sich das Glitzern des nächtlichen Meeres. »Ich will dir etwas ganz Besonderes erzählen. Auf der Insel Björkö gibt es noch Wikingergräber. Wenn du willst, zeige ich sie dir. Bald werden die Gelehrten alles über unser Volk nachlesen können. Ich will nämlich eine Geschichte Schwedens schreiben lassen.« Sie gähnte, ließ sich auf das Lager zurückfallen und streckte sich wie eine Katze. »Mein Name wird berühmt sein«, sagte sie. »Nicht wahr?«

»Über alle Grenzen hinweg«, antwortete Elin und meinte es ernst. Sie wandte den Blick zum Himmel und erinnerte sich an die Sternenkarte, die Henri in der Bibliothek betrachtet hatte. Kristina erzählte bis spät in die Nacht von ihren Plänen und fragte Elin nach ihrem Leben auf dem Gudmundshof aus. Erst lange nach Mitternacht fielen ihnen die Augen zu und sie glitten in den Schlaf hinüber. Wenig später wachte Elin von ihrem eigenen entsetzten Keuchen wieder auf. Der Albtraum von einem verregneten Schlachtfeld und verzerrten Gesichtern hing noch einen Moment wie ein Trugbild vor ihren Augen. Noch nie hatte sie sich so sehr nach einer tröstlichen Umarmung gesehnt. Neben sich hörte sie Kristinas tiefe Atemzüge. Verstohlen tastete sie über die Decke und berührte die Hand der Königin. Behutsam nahm Elin sie in die ihre und sie spürte, wie Kristina im Schlaf ihren Händedruck erwiderte.

Es dauerte zwei Tage, bis Maria Eleonoras Schiff endlich am Horizont auftauchte. Kristina sprang als Erste an Bord und rief Elin und Johan Holm zu, sie sollten sich gefälligst beeilen. Elin suchte die zerstreuten Bücher zusammen und ließ sie vor Aufregung beinahe wieder fallen. Während sie dem Schiff der Königinmutter entgegenfuhren, versuchte sie ihr Haar in Ordnung zu bringen. Ihre Wangen waren von der Sonne gerötet, als hätte sie zu viel Rouge aufgetragen.

Es war nicht einfach, mit den schweren Röcken auf das große Schiff umzusteigen – auf der anderen Seite reichte ein Seemann Elin die Hand und hielt sie fest, bis sie an Deck angekommen war. Dort sah sie sich um und staunte nicht schlecht. Auf einem waagrechten Balken war ein Affe angekettet, der beim Anblick der Fremden zu kreischen anfing, als würde man ihn schlachten. Leuchtend bunte Papageienvögel fielen in das Geschrei mit ein. Kristina schien den Aufstand der Bestien nicht zu bemerken. Gebannt starrte sie auf die Kajütentür, die sich nun öffnete. Die Dame, die an Deck trat, war so groß, dass sie sich unter dem Türrahmen ducken musste. Niemandem hätte Kristina weniger ähnlich sehen können.

Maria Eleonora musste in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein. Noch jetzt lag ein Abglanz davon auf ihren Zügen. Die Augenbrauen waren perfekt geschminkt, das Haar kunstvoll frisiert und ihr Mund sinnlich geschwungen. Unzählige Edelsteine funkelten an ihren Handgelenken und am Hals. Und sie trug prachtvolle Kleidung vom allermodernsten französischen Schnitt. Mit deutlicher Missbilligung musterte sie Kristinas wenig feierliches Kleid und das unordentlich hochgesteckte Haar.

Elin blinzelte vor Verwirrung. Das, was sie hier sah, war ein völlig falsches Bild. Mutter und Tochter hätten aufeinander zurennen, sich in die Arme fallen und sich über das Wiedersehen freuen müssen. Doch alles, was Kristina zustande brachte, war ein nervöses Lächeln. Maria Eleonora hatte für ihre Tochter nicht einmal das übrig. »Wie ich sehe, hast du deine Hofdame mitgebracht«, sagte sie auf Französisch. »Das ist also das Fräulein Sparre, von dem du mir in deinen Briefen berichtet hast?«

»Nein«, erwiderte Kristina. »Das ist Fräulein Elin. Sie ist mir ebenso teuer wie Ebba. Ihr verdanke ich sogar mein Leben. Ich dachte, sie würde sich freuen, unser Wiedersehen zu begleiten, da sie sich nach mütterlicher Wärme sehnt.«

Elin senkte den Kopf und knickste tief. Verstohlen linste sie dabei zu Maria Eleonoras Händen, an denen blutrote Rubine funkelten. Beim Anblick der spitzen Finger musste sie an Gustav Adolfs Herz denken. Dennoch – eine Wahnsinnige hatte sie sich anders vorgestellt.

»Ein Kind, das seine Mutter liebt!«, rief Maria Eleonora aus. »Wie rührend! Das ist die Hingabe, die ich vermisse. Meine Tochter lässt mich verhungern!«

»Mit einer solchen Pension, wie Sie sie von mir bekommen, dürfte es ein Kunststück sein zu verhungern«, erwiderte Kristina. Elin konnte sehen, wie viel Beherrschung es die Königin kostete, ruhig zu bleiben. Maria Eleonoras Lächeln war so hart wie das der Steinlöwen auf Tre Kronor. Mit einer anmutigen Geste bat die Königinmutter in die Kajüte zu Tisch. Es gab frische Meeresforellen, Pasteten und kunstvoll angerichtetes Zuckerwerk. Während die verschwenderisch teuer gekleideten Lakaien Wein kredenzten, begann Maria Eleonora zu klagen, wie ärmlich sie leben müsse. Elin warf einen Seitenblick zu Kristina. Ihre Königin brachte vor Wut und Enttäuschung kaum ein Wort heraus.