Ire Kronor, XXI. März 1649
Liebe Emilia,
wie sehr hoffe ich, dass es Dir besser geht und die Medizin von Doktor van Wullen Dir geholfen hat. Ich schicke Dir diesmal sieben Riksdaler. Von Erik Gyllenhielm hörte ich, dass Du nicht mehr in der Küche arbeitest und in ein Dorf außerhalb von Uppsala gezogen bist. Ich wünsche Dir das Beste und freue mich so sehr auf den Tag, an dem wir uns endlich wieder sehen! Stell Dir vor: Sobald die Kunstschätze aus Prag da sind, darf ich die Königin nach Uppsala begleiten. Alle warten sehnsüchtig auf das Schiff, das die Kunstwerke bringt. Im Schloss drücken sich die Lakaien ständig in der Nähe der Fenster herum, um einen Blick auf die ankommenden Schiffe werfen zu können. Seit sich herumgesprochen hat, wie großzügig die Königin den Friedensboten belohnt hat, ist hier jeder versessen darauf, ihr als Erster die Nachricht von dem Schiff aus Prag überbringen zu können. Selbst Johan Oxenstierna vergisst seit Tagen, mich verachtungsvoll zu übersehen, und belauert stattdessen mit offenem Mund und Gier in den Augen jedes ankommende Schiff. Er sieht aus wie eine fette Katze, die hungrig auf das Mauseloch starrt. Vor ein paar Wochen ist der Botschafter Adler Salvius aus Münster zurückgekehrt. Die Königin hat ihr Versprechen gehalten und ihn zur Belohnung für seine Dienste zum Reichsrat ernannt. Du kannst Dir sicher vorstellen, was für ein Skandal das war. Ich bin unendlich stolz auf sie – eine Frau, die den Widerstand des alten Adels bricht! Ganz allein durch ihr Geschick, ihre Klugheit und ihre Hartnäckigkeit hat sie ein ganzes Heer kriegssüchtiger Männer zum Frieden gezwungen. Es gibt viel üble Nachrede gegen Adler Salvius, aber die Königin betont, dass sie sich auch weiterhin nicht mehr nur an Personen adliger Geburt oder an eine lange Ahnenreihe binden will. Die Generäle und Adligen, allen voran natürlich unser Kanzler, beschweren sich darüber, dass Schweden um des Friedens willen zu viele Zugeständnisse gemacht habe. Die hohen Herren beklagen den Verlust von vielen Provinzen, die sie nun nicht mehr zu ihrer Kriegsbeute zählen können. Als hätten sie noch nicht genug! Überall bauen sich diese Kriegsgewinnler ihre Paläste, vor allem auf der Ritterinsel. Die Königin kümmert ihr Gejammer zum Glück wenig. Gerade in diesen Tagen hat sie viel zu tun. Der Krieg hat den Staatsfinanzen sehr geschadet und Kristina muss ihre ganze Klugheit aufbringen, neue Pläne zu machen, wie sich die Wirtschaft wieder aufrichten lässt. Immer noch zahlen die Bauern Kriegssteuern und auch um das Handwerk ist es nicht gut bestellt.
Ich habe mich den Winter über viel mit der Astronomie beschäftigt, ich spreche Deutsch und Französisch, lese leidlich gut Latein und vertiefe mich immer weiter ins Studium der Medizin. Außerdem arbeite ich inzwischen in der Bibliothek des Schlosses. Monsieur Tervué kann mich nicht leiden und macht mir das Leben schwer, seit er erfahren hat, dass ich die philosophischen Schriften von Rene Descartes studiere. Er hält ihn für einen Atheisten, der auf die Königin einen schlechten Einfluss ausübt. Tervué wirft sich an die Königin heran, als gelte es, ihre Hand zu gewinnen. Überhaupt benehmen sich einige der Wissenschaftler wie Jagdhunde, die sich mit Klauen und Zähnen um das fetteste Stück Beute reißen. Ich sage dir, die Intrigen hier sind nicht weniger bösartig als Gretas Gezeter in der Küche. Erinnerst Du Dich noch, Emilia?
Seit dem Julfest habe ich mich zurückgezogen und kaum jemand anderen gesehen als ein paar schwangere Hofdamen, die geifernden Gelehrten und unzählige Papierbögen. Die Tintenflecke an meinen Fingern lassen mich aussehen, als wäre Gelehrtheit so etwas wie ein Fleckfieber. Immer noch tanze ich nicht, mir ist nach allem anderen als tanzen zumute. Kennst Du das, Emilia? Diese Traurigkeit, wenn man feststellt, dass man etwas verloren hat, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, es je zu besitzen? Ich habe endlich eingesehen, dass ich wohl nie erfahren werde, wer meine Mutter war. Kristina meint, es sei besser für mich, und nach dem, was Maria Eleonora ihr angetan hat, glaube ich es bei Tage auch.
Bei Nacht sieht es dagegen ganz anders aus. Und noch etwas drückt mir auf die Seele: Mein bester Freund ist abgereist und wird bald ins Ausland gehen. Ich hatte dir ja schon geschrieben, dass er mir im Scherz versprochen hat, um meine Hand anzuhalten. Nicht, dass ich das ernst nehmen würde, aber etwas macht mir dennoch Sorgen: Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich mir ein Leben mit ihm vorstellen könnte. Es ist seltsam – ich bin sicher, ihn zu lieben, und trotzdem widerstrebt mir die Vorstellung, mich ihm nackt zu zeigen oder mit ihm das Bett zu teilen. Vielleicht ist etwas an mir widernatürlich? Seit Lovisa von Hampus’ leicht dahingesagten Worten erfahren hat, malt sie mir in den schrecklichsten Farben aus, wie ich als Frau eines armen Wanderarztes von Marktplatz zu Marktplatz ziehen werde, statt mit einem alten Kaufmann gemütlich in Stockholm zu residieren und meine Diener herumzuscheuchen. Mir ist elend zumute und ich fühle mich, als hätte ich gleich zwei Freunde auf einmal verloren. Ob das Leben wirklich nur aus Verlusten besteht, Emilia? Es ist verrückt: Je mehr ich lerne, je mehr ich von der menschlichen Maschine, von der Welt und vom Lauf der Sterne verstehe, desto undurchschaubarer wird mein Leben und
»Was machst du hier?«
Elin schrak so sehr zusammen, dass ihr Federkiel einen Tintenklecks auf Emilias Brief hinterließ. Die Büchse mit Streusand fiel um. Kristina lachte. »Vergiss nicht zu atmen«, bemerkte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Meine Güte, du bist vielleicht schreckhaft geworden! Fehlt nur noch, dass du mir auf der nächsten Jagd beim ersten Schuss durchgehst wie ein Pferd.«
»Seit wann schleichen Sie sich von hinten an einen Briefschreiber heran?«
»Seit es so viel zu entdecken gibt«, meinte Kristina spöttisch und deutete auf den Brief. »Lovisa gibt also immer noch nicht auf?«
»Sie führt sich schlimmer auf als damals der Kanzler bei Ihnen und Karl Gustav.«
Kristina lachte ihr etwas raues, herzliches Lachen, was Elin wie immer sofort wieder versöhnte. Dann schwenkte sie einen versiegelten Brief und strahlte Elin an.
»Monsieur Chanut sagte mir, dass er heute noch einen Brief an unseren Freund Descartes losschickt. Und ich möchte ihm dieses Schreiben hier mitgeben. Rate, was darin steht.«
Elin vergaß auf der Stelle ihren Kummer und sprang auf.
»Monsieur Descartes kommt zu Besuch auf Tre Kronor?«
»Zwingen kann ich ihn natürlich nicht«, sagte Kristina. Ihr siegesgewisses Lächeln verriet jedoch etwas ganz anderes. »Jedenfalls möchte ich, dass du Monsieur Chanut diesen Brief überbringst. Und zwar jetzt gleich.«
»Was werden Ihre Gelehrten dazu sagen, die seine Schriften als Teufelszeug bezeichnen?«
»Heulen und mit ihren Zähnen klappern werden sie«, meinte Kristina leichthin. Sie war schön geworden in diesem Winter und trug seit dem Friedensschluss den Kopf noch ein Stückchen höher. Aus ihren Bewegungen sprach nicht mehr so viel Fahrigkeit wie früher. Auf der Jagd hielt sie zehn Stunden oder länger im Sattel aus und spottete über Elin, die schon nach wenigen Stunden das Gefühl hatte, nicht mehr richtig sitzen zu können.
»Ich bringe ihn sofort in die Botschaft!«, rief Elin. Ihre Finger kribbelten vor Aufregung, als sie den kostbaren Brief entgegennahm. Beschwingt lief sie die lange Treppe hinunter, überquerte den Hof und verließ das Schloss. Sie wusste, dass sie einen Gardisten als Begleitung hätte mitnehmen müssen, aber sie genoss es, alleine unterwegs zu sein. In ihrem grauen Kleid fiel sie kaum auf – und Monsieur Chanut würde sie nicht tadeln, wenn sie nicht im Festgewand erschien.
Obwohl es ein warmer März war, türmten sich in den Gassen immer noch die Schneehaufen. Elin sog den Geruch nach brennendem Feuerholz tief in die Lungen und beschleunigte ihre Schritte. Die Französische Botschaft residierte in einem Stadthaus, dem »Scharenbergska Huset«. Niemand würde vermuten, dass der Keller zu einer kleinen Kapelle umgebaut war, in der Monsieur Chanut der lutherischen Empörung zum Trotz immer noch die katholischen Messen lesen ließ. Bei ihrem ersten Besuch im Haus des Botschafters hatte Elin vor allem eine Madonnenfigur bewundert. Solche Abbilder waren bei den Lutheranern verpönt, ebenso andere Zeichen katholischer Frömmigkeit wie zum Beispiel Rosenkränze. Wie immer war auch heute in Monsieur Chanuts gastfreundlichem Haus viel los. Herr Tervué saß im Salon und diskutierte mit dem Hauskaplan. Elin erkannte auch den französischen Tanzlehrer der Königin, der ein Glas Wein in der Hand hielt. Madame Chanut begrüßte Elin und deutete mit einem nachlässigen Winken zur Treppe.