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Gegen Mittag wagten sich erstmals die Hofdamen und die Frauen der Reichsräte in die Kammer und erblassten beim Anblick der nackten Schönheiten, die Maler wie Tizian, Tintoretto und Veronese auf die Leinwand gebannt hatten. Obwohl sie sich insgeheim vor einem Wiedersehen fürchtete, hielt Elin verstohlen Ausschau nach Henri, aber der junge Graf begleitete Chanut und dessen Frau diesmal leider nicht.

An diesem Tag predigten die Geistlichen von allen Kanzeln der Stadt ihre Entrüstung über die schamlosen Kunstwerke, aber Kristina ließ sich nicht beeindrucken, sondern spottete nur über das »Höllenfeuer-Gezeter«. Der Gottesdienst in der Domkyrka erinnerte an den Vorabend des Jüngsten Gerichts. Elin langweilte sich unendlich bei der düsteren Predigt und wusste, dass es der Königin nicht anders ging. Endlich sprach der Pastor die letzten Worte und entließ die Kirchenbesucher. Elin konnte es kaum erwarten, das Gotteshaus zu verlassen. An der Treppe fing Ebba sie jedoch ab und nahm sie beiseite. »Komm heute Nacht in die Bilderkammer«, flüsterte sie mit einem verschwörerischen Unterton. »Sag niemandem etwas davon – und zieh dein gutes Kleid an!«

Mit gemischten Gefühlen machte sich Elin in dieser Nacht auf den Weg. Ihre Schuhe trug sie in der Hand und schlich über den nachtkalten Boden der Flure. Als sie wenig später in der Bilderkammer angekommen war, glaubte sie eine fremde Welt zu betreten. Marzipanduft und der Geruch nach Ölfarbe und Firnisharz erfüllten den Raum. In Glaskaraffen glühte roter Wein. Noch nie hatte sie ein solches Meer an Kerzen gesehen, Wärme wehte ihr entgegen wie eine Sommerbrise. Kristina hatte ein Kleid aus Atlasseide an, das sie sonst nur auf der Ballettbühne trug.

»Willkommen!«, rief sie. »Heute Nacht gehören die Künste dieser Welt nur uns!« Mit einem energischen Wink scheuchte sie die Pagen aus dem Zimmer und verschloss die Tür. Den Schlüssel legte sie in eine der Juwelenkisten. Mit einem verschwörerischen Lächeln drehte sie sich um. »Kommt und seht euch die Bilder an! Ein wunderschönes Geschenk für eine erhabene Königin!«

»Ein Geschenk nennen Sie es?«, sagte Elin mit gutmütigem Spott. »Ich nenne es eher Raub.«

»Fürsten rauben nicht, meine kritische Elin«, wies Kristina sie lachend zurecht. »Nenne diese Kunstwerke einfach meine persönliche Gratifikation. Auch Glaubenskriege sind nun mal nur ein anderes Wort für Eroberungsfeldzüge. Und ich habe längst nicht so sehr geraubt, wie es meinen Ministern und dem Kanzler gefallen hätte.«

Sie gingen von Bild zu Bild, blieben vor jedem Kunstwerk stehen und bewunderten die Formen und die Farben, die Leiber der Götter und die biblischen Gestalten, die Landschaften und Stillleben. Noch nie hatte Elin so viele Farben auf einmal gesehen. »Um wirklich lebendig zu werden, brauchen sie das Licht des Südens«, flüsterte Kristina. »Wünschst du dir nicht manchmal dort zu sein, Elin? In Venedig vielleicht? In Rom oder in Florenz?« Elin wandte den Blick von einem Götterhain und sah die Königin an.

»Ja«, erwiderte sie. »Natürlich! Wer wünscht sich das nicht, mit Ausnahme von Lovisa vielleicht.«

»Wer weiß, was die Zukunft bringt«, sagte Kristina geheimnisvoll. »Heute jedenfalls sind wir im Süden! Heute bin ich nicht die Königin, nicht die Minerva des Nordens und nicht die Tochter des Löwen aus der Mitternacht. Heute bin ich nur Kristina! Und heute Nacht nennst du mich nicht ›Sie‹, sondern ›du‹.«

»Auf Kristina, die Sonne!«, sagte Ebba feierlich. Sie schritt zum großen Tisch und schenkte Wein in die Gläser ein. Elin nahm mit einem Lächeln eines davon und prostete Kristina zu. Der Wein schmeckte süß und herb zugleich, er legte sich wie Öl auf ihre Zunge und füllte ihre Nase mit dem herben Duft von Trauben und Gewürzen, die sie nicht kannte. Noch nie hatte sie so etwas Köstliches getrunken. Nach einer Weile begannen die Götter auf den Bildern zu lächeln. In dieser Nacht war das Leben am Hof so, wie Emilia es Elin vor fast zwei Jahren beschrieben hatte. Kristina und Ebba tanzten, sie schmückten sich mit den Prager Juwelen und tranken die Farben ebenso begierig wie den Wein. Weit nach Mitternacht streckte sich Ebba auf den Seidenkissen einer Sitzbank aus und schlief ein – das Haar offen, sodass es bis zum Boden fiel, das leere Weinglas in der Hand. Kristina setzte sich neben sie und strich ihr behutsam über die Stirn. Elin saß auf dem Boden und betrachtete die beiden Frauen. Die Königin und ihre Hofdame wirkten wie ein Gemälde, eine Szene von großer Vertrautheit.

»Sie … du … liebst sie, nicht wahr?«

Überrascht blickte Kristina auf und lächelte.

»Natürlich«, erwiderte sie. »Sieh sie dir an – wer sollte Belle nicht lieben?«

»Dann wird … Fräulein Ebba auch nicht heiraten?«

»Woher soll ich das wissen? Ich kenne Beiles Pläne nicht.« Sie musterte Elin mit scharfem Blick. »Was willst du wirklich wissen? Heraus damit!«

»Ich … es ist nur, Lovisa will mich verheiraten und ich will nicht. Ich weiß nicht, ob ich jemals heirate. Wenn, dann vielleicht Hampus – aber ich weiß nicht, ob ich ihn liebe. Ich würde gerne so leben wie du. Aber … du hast Fräulein Ebba geküsst … und die Leute erzählen sich …«

»Dass ich Frauen liebe?« Kristina musste sich die Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut loszulachen. »Oder hast du die dummen Gerüchte gehört, die erzählen, dass man mich im Ausland für einen Mann hält?«

In ihre Heiterkeit mischte sich nun Ärger. Wenn diese Spannung in der Luft lag, konnte die launische Königin auf alle Arten reagieren – in Spott verfallen, einen Wutanfall bekommen oder ganz nüchtern auf die Frage antworten. Heute tat sie nichts von alledem. Stattdessen stand sie vorsichtig auf, um Ebba nicht zu wecken, und setzte sich neben Elin auf den blanken Boden.

»Mann oder Frau – spielt das eine Rolle?«, sagte sie. »Bin ich etwas anderes, nur weil die anderen mich anders nennen?«

Im Licht der Kerzenflammen leuchteten Kristinas Augen in einem tiefen Blau. Ihr Lächeln war so schön wie das von Ebba. »Ich zeige dir etwas, Elin. Wirst du mir vertrauen?« Elin schwieg. Sie behielt es für sich, dass Kristina der einzige Mensch war, dem sie ganz und gar vertraute, und nickte nur stumm. »Dann schließe die Augen und gib dir die Antwort auf deine Frage selbst«, sagte Kristina sanft.

Elins Herz klopfte bis zum Hals. Die Augen zu schließen war eine schwierigere Aufgabe, als Enhörning zu reiten, und erforderte mehr Mut, als Oxenstierna und seinen Anhängern zu begegnen. Die Dunkelheit hüllte sie ein, nur dunkelrote Schemen leuchteten hinter ihren geschlossenen Lidern. Noch nie hatte sie sich so schutzlos hingegeben.

»Ich denke, wir sind alle Gottes Geschöpfe«, flüsterte Kristina. »Ob wir nun katholisch sind oder protestantisch, ob Mann oder Frau – die Grenzen existieren nur, solange wir sie aufrechterhalten.« Elin spürte Kristinas Atem auf ihrem Mund und lächelte über den behutsamen Kuss. Die Lippen der Königin waren kühl vom Wein. Elin wunderte sich darüber, wie einfach es war. Es war ein Kuss. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und Elin gestand sich ein, dass sie die Königin liebte – für all das, was sie war. Aber auch für all das, was sie nicht war und nie sein würde.

»Und?«, flüsterte Kristina ihr zu. »Bist du nun etwas anderes, als du warst? Wirst du dafür im Höllenfeuer schmoren?«

Elin öffnete die Augen. Mit einem Mal wurden die Mauern der Welt durchsichtig im Licht der rosenfarbenen Sonne.

»Es gibt Männer, die ebenso sehr Frau sind wie ihre Mütter«, sagte Kristina. »Und Frauen, die so männlich sind wie ihre Väter. Die Seele kennt kein Geschlecht. Ob du eines Tages heiratest oder nicht, ist allein deine Entscheidung. Niemand kann es dir befehlen. Und wenn du mich fragst, rate ich dir sogar davon ab – ich bin überzeugt, dass jeder über kurz oder lang in einer Ehe unglücklich wird.« Elin spürte unendliche Erleichterung. Kristina streckte sich und betrachtete nachdenklich das Bild, das vor ihnen auf dem Boden stand. Im Licht der letzten Kerzen begann das Gemälde allmählich zu verlöschen. Schatten krochen über die gemalten Körper und sonnigen Landschaften.