»Enhörning ist immer noch ein guter Läufer, Mademoiselle.«
»Und Sie sind ein besserer Reiter geworden, Monsieur Henri.« Noch während sie diese unbedachten Worte sagte, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Seine Fröhlichkeit verwehte wie der Rauch einer ausgeblasenen Kerze.
»Tja«, meinte er trocken. »Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages besser reiten als laufen kann.«
»Es tut mir sehr Leid, dass Sie verwundet wurden«, sagte Elin. »In Monsieur Chanuts Haus wusste ich noch nichts von Ihrem Unglück. Es war nicht meine Absicht …«
Mit einer schroffen Geste winkte er ab.
»Danke, Mademoiselle«, sagte er heiser. »Es ist nicht nötig, jemandem, der am Boden liegt, auch noch höhnisch ins Gesicht zu treten.«
»Sie unterstellen mir, dass ich mich über Ihr Leid lustig mache? Da redet der Richtige, Monsieur Riksdaler!«
Henri fluchte, wendete sein Pferd und galoppierte den Weg zurück. Mit gemischten Gefühlen sah Elin ihm nach.
»Ist dir ein Troll über den Weg gelaufen?«, fragte Kristina, als sie wenig später Rast machten.
»So etwas Ähnliches«, murmelte Elin.
Am zweiten Tag der Reise kam ihnen eine Delegation des Bischofs entgegen, um die Kutschen zum Schloss zu begleiten. Ein junger Mann ritt direkt auf Elin zu und schwenkte seinen Hut.
»Einen Gruß von meinem Freund Hampus!«, rief er.
»Erik? Sind Sie Erik Gyllenhielm?«
Der Reiter dirigierte sein Pferd näher an Enhörning heran und ergriff Elins Hand. Galant beugte er sich über den Handschuh und grüßte sie mit einem angedeuteten Handkuss. »Hampus hat mir schon viel von Ihnen erzählt, Mademoiselle. Und dabei schamlos untertrieben.« Sein Blick schweifte anerkennend über ihr Gesicht und streifte ihr Dekolletee. »Sind Sie sicher, dass Sie einen Bleikopf wie meinen Freund heiraten wollen? Ich würde mich opfern, für ihn einzuspringen.«
Eriks Grinsen verdarb Elin auf der Stelle die Laune. Was hatte Hampus ihm erzählt?
»Hören Sie lieber auf, Gerüchte zu schüren«, erwiderte sie etwas zu barsch.
Je näher sie dem Schloss kamen, desto mulmiger wurde Elin zumute. Es war, als würde sie mit jedem Schritt, den sie auf Uppsala zuritt, ein wenig kleiner werden, als würden ihre Gewänder immer armseliger und schäbiger. Als sie das Tor zum Schlosshof passierten, war sie wieder die unscheinbare Scheuermagd und starrte mit klopfendem Herzen zu den Fenstern hoch. Es fühlte sich unwirklich an, die Treppe, die zum Eingang führte, zu betreten. Das Seltsamste jedoch war das Greisengesicht von Victor. Der Diener ging ihr kaum noch bis zur Schulter – ein winziges, faltiges Männchen stand vor ihr.
»Victor!«, rief Elin. »Ich bin es! Oh, ich freue mich so, dich zu sehen! Wie geht es den anderen? Was macht Olof? Und Greta? Ist sie immer noch so garstig?«
Die trüben Augen sahen sie lange an, dann lächelte der alte Diener und verbeugte sich.
»Guten Tag, Fräulein Asenban. Danke, es geht allen gut. Wenn ich um Ihren Mantel bitten dürfte?«
Elin schluckte und schämte sich, dass sie den alten Diener in die Verlegenheit gebracht hatte, sie auf ihren neuen Platz verweisen zu müssen.
»Natürlich«, sagte sie kleinlaut. »Danke, Victor.«
Noch unwirklicher war es, die Treppe zu den oberen Stockwerken hinaufzugehen – in die Gemächer, die mit ihren Gobelins und Holzvertäfelungen im Vergleich zum französischen Prunk von Tre Kronor altertümlich und rührend unmodern wirkten. Behutsam, als würde sie in ein verbotenes Zimmer eindringen, öffnete Elin eine Tür. Der Sessel, in dem Madame Joulain vor so langer Zeit gestickt hatte, sah ein wenig schäbig aus. Goldene Webfäden schimmerten durch den abgenutzten Stoff.
»Nein«, sagte Kristina schon zum dritten Mal. »Du reitest mit den Gardisten oder gar nicht.« Wie immer, wenn sie Briefe las, ging sie in ihrem Kabinett auf und ab. Hier in Uppsala knarrte der Holzboden noch mehr als auf Tre Kronor.
»Es sind nur zehn Meilen. Ich möchte nicht mit der halben Kavallerie in das Dorf reiten und die Leute scheu machen«, erwiderte Elin.
»Es ist mir egal, was du möchtest oder nicht. Ich möchte es nicht. Nur das zählt. Du denkst, nur weil du die Armbrust überlebt hast, bist du unverwundbar. Was sagt denn dein Freund Hampus dazu?«
»Ich habe ihn noch nicht getroffen, er kommt erst übermorgen von einer Reise zurück. Aber das spielt auch gar keine Rolle, ich will einfach …«
»Es treibt sich eine Menge Gesindel herum – und eine ausgeraubte oder geschändete Hofdame ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.«
Elin wollte etwas erwidern, doch die Königin scheuchte sie von ihrem Stuhl auf und schob sie unsanft zur Tür.
»Genug. Raus jetzt! Ich habe zu tun. Der Überseehandel organisiert sich nicht von allein.« Ihre Stimme wurde noch tiefer. »Und sollte ich hören, dass du ohne mindestens zwei Begleiter weggeritten bist, lasse ich dich zurückholen und du kannst bis zum Tag unserer Rückreise in deinem Gemach sitzen und sticken. Verstanden?«
»Ja, Majestät«, murmelte Elin. Sie machte einen wütenden Knicks und stürzte aus dem Raum. Auf dem Weg zu ihrem Gemach verfluchte sie Kristinas Dickköpfigkeit. In dem Zimmer, das man für sie hergerichtet hatte, nahm sie ihre Ledertasche und packte alles ein, was sie für Emilia mitgebracht hatte: zwei Kleider, die Medikamente, ein paar warme Handschuhe für den Winter und gute, feste Schuhe. Die Tasche war schwer, es war ein gutes Stück Arbeit, sie in den Stall zu schleppen. Mit geübten Griffen sattelte Elin Enhörning und schnallte das Gepäck hinter dem Sattel fest. Gerade überlegte sie, wie sie ungesehen vom Hof kommen konnte, als sie Henri bemerkte. Lässig lehnte er an der Stalltür.
»Was haben Sie vor?«
»Wonach sieht es denn aus?«, erwiderte Elin schnippisch.
Henri zog den rechten Mundwinkel hoch.
»Wenn ich ehrlich bin, könnte man den Eindruck bekommen, Sie würden dem Befehl der Königin nicht gehorchen.«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Möglicherweise doch. Zumindest, wenn es nach der Königin geht. Sie ließ mir gerade ausrichten, dass ich mich um Ihre Begleitung kümmern solle.«
Elin verkniff sich einen Fluch und funkelte ihn an.
»Beleidigt Sie die Vorstellung nicht, in ein schäbiges Dorf zureiten?«
»Sie haben sich sehr verändert, Mademoiselle.«
Elin antwortete ihm nicht, sondern führte Enhörning aus der Box. Vor dem Stall atmete sie die kalte Morgenluft ein und versuchte ihr kochendes Blut wieder zu beruhigen. Natürlich warteten bereits zwei Gardisten im Hof. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich geschlagen zu geben.
Der Weg zu Emilias Dorf war schwieriger zu finden, als sie gedacht hatte. Mehrmals mussten sie Bauern fragen, die mit Heukarren, Hühnerkäfigen und Ziegen auf dem Weg in die Stadt waren. Elins Aufregung übertrug sich auf Enhörning, der zweimal versuchte durchzugehen. Die Flaschen und Tiegel im Beutel waren offenbar aus ihren Stoffhüllen gerutscht, denn sie klapperten und klirrten bei jedem Schritt.
Endlich kam ein Dorf in Sicht – eine Ansammlung von niedrigen Hütten aus rot gestrichenem Holz. Von den grasbewachsenen Dächern blickten Ziegen und Hühner auf die Reiter herab. Elin sprang von Enhörnings Rücken. »He, du!«, rief sie einem Bauern zu. »Emilia suche ich! Wo wohnt sie?«
Der Bauer starrte sie mit großen Augen an und deutete mit dem Daumen hinter sich.
»Das Haus dahinten. Gleich beim Tümpel.« Einer der Gardisten nahm Enhörnings Zügel und wartete, bis Elin den Beutel vom Sattel genommen hatte.