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Ein Raunen und Flüstern schwoll um Elin herum an. Mit einem Mal schien sich das halbe Schloss auf dem Gang versammelt zu haben. Brokatgewänder raschelten, Degen klirrten. Goldschmuck und weiße Spitzenkragen leuchteten im flackernden Licht der Wandkerzen. Und mitten unter diesen Edelleuten stand wirklich und wahrhaftig die Königin! Das hellbraune, lockige Haar hatte sie eher nachlässig hochgesteckt, kein einziges Schmuckstück funkelte auf ihrer Haut. Sie war nicht einmal besonders hübsch. Dafür war ihre Nase zu lang und außerdem ein wenig gebogen und ihr Gesicht nicht weich genug.

»Hast du Ebbas Medaillon?«, richtete die Königin das Wort an Elin.

Zögernd streckte Elin die Hand aus. Es tat weh, die verkrampften Finger zu öffnen.

»Meine Rose!« Nachtblauer Brokat leuchtete auf. Wenn Madame Joulain Elin hübsch wie der Mond erschienen war, dann war Ebba Sparre die Sonne. Ihre Augen, die sanft und ein wenig traurig waren, leuchteten vor Freude auf, als sie das Medaillon behutsam an sich nahm. Auf Elins Handfläche blieb ein schwacher Abdruck der goldenen Rose zurück.

»Wo hast du sie her?«, fragte die junge Hofdame.

»Ich habe sie gefunden.«

»Wo?«

»Bei … Madame Joulain.«

Ein Lachen wurde laut, die Damen tuschelten. Ihre Majestät schien die Antwort allerdings nicht so lustig zu finden. Elin beobachtete sie wie ein zum Tode Verurteilter seinen Henker.

»Steht nicht herum«, sagte Königin Kristina. »Bringt sie in die Kanzlei!«

Der Gardist packte Elin wieder am Arm und zerrte sie den Gang entlang. Die Türen und Vorhänge flogen an Elin vorbei, ohne dass sie sie richtig wahrnahm. Über eine Treppe ging es hinauf, in einen viel prächtigeren Teil des Schlosses. Reich bestickte Wandteppiche zeigten Jagdszenen und sonnige Landschaften. Diener öffneten die Türen zu einem Raum, der so riesig war, dass Elin im ersten Augenblick vor Staunen ihre Angst fast vergaß. Bis zu den Decken erstreckten sich Regale mit Büchern, es roch nach Leder und Holz. Unter Elins Füßen knarrte Parkett, das sich durch die Kälte des Winters verzogen hatte. In der Mitte des Raumes befanden sich ein wuchtiger Schreibtisch und eine Reihe von Stühlen. Ein kleinerer Tisch, gerade groß genug für einen Schreiber, stand am Fenster. Mit wenigen Schritten war Königin Kristina hinter dem Schreibtisch und nahm Platz. Sie läuft nicht wie eine Königin, dachte Elin. Zwei Diener beeilten sich, den Lüster über eine Seilwinde von der Decke herunterzulassen und die Kerzen darauf zu entzünden. Leise schlugen die Kristalle gegeneinander und klingelten wie Glöckchen an einem Winterschlitten.

»Also«, sagte die Königin. »Ich höre. Wer bist du und was hast du mit dem Medaillon zu tun?« Hinter dem riesigen Tisch sah Königin Kristina eher wie ein unwilliges Mädchen aus. Sie wirkte viel jünger als die dreiundzwanzig Jahre, die sie zählte. Elin versuchte etwas zu sagen, aber die Worte blieben in ihrem Mund kleben wie mehliger Brei. Die Höflinge sahen sie erwartungsvoll an, aus ihren Blicken sprach Neugier, aber auch Verachtung und Mitleid. Hier, vor dieser Mauer aus schweigenden Gesichtern, spürte Elin ihre Armut wie einen nassen Mantel an sich kleben.

»Sie heißt Elin Ansgarsdotter Asenban und ist seit einigen Wochen Scheuermagd«, meldete sich Olof mit einem kriecherischen Lächeln zu Wort. »Heute ist sie aus der Küche weggelaufen und …«

Die Tür schwang auf und alle Blicke wandten sich dem Eintretenden zu. Elin biss sich auf die Lippe. Kester Leven, der Sekretär des Bischofs! Heute war die Zornesfalte, die seine Stirn furchte, noch tiefer als sonst.

»Ihre Majestät«, sagte er und verbeugte sich tief. »Ich hörte, Sie haben den Dieb aufgespürt.« Noch während er sich wieder aufrichtete, fand sein Blick Elin.

»Sieh an, Elin von den Gudmundshöfen.«

»Noch ist überhaupt kein Diebstahl geschehen«, entgegnete die Königin.

»Aber ich habe sie erwischt!« Rote Flecken leuchteten auf Olofs Wangen.

Die Königin hob die Hand. »Ich pflege mir immer alle Seiten anzuhören«, sagte sie. »Im Reichstag in Stockholm sprechen alle Stände, bevor ein Urteil gefällt wird. Zwei Leute glauben bereits, dass ein Diebstahl geschehen ist. Aber das Mädchen hat noch kein einziges Wort gesagt. Also, Elin Ansgarsdotter, hast du das Medaillon gestohlen?«

Elin schüttelte den Kopf.

»Hast du deine Zunge verschluckt?«, fuhr Kester Leven sie an.

»Nein«, brachte Elin kaum hörbar hervor.

»Die Herren hier wirst du schwerlich nur mit einem Wort überzeugen«, sagte die Königin. »Verteidigen musst du dich schon selbst, wenn es kein anderer für dich tut. Also, erzähle uns die ganze Geschichte.«

Ebba Sparre, die schräg hinter der Königin stand, nickte und lächelte ihr aufmunternd zu. Vielleicht war es dieses Lächeln, das die Starre in Elins Kehle löste. Mit einem Mal war sie wütend auf all die Leute, die sie so unverhohlen anstarrten, als wären sie Jäger und Elin der Wolf, den sie in die Enge getrieben hatten. Sie hob den Kopf.

»Ich habe das Medaillon gesucht«, begann sie. »Fräulein Sparre trug kein Nackentuch im Schloss, obwohl es so kalt ist. Aber heute Mittag, als sie mit dem französischen Gast im Park spazieren ging, hatte sie sich eines umgelegt. Deshalb habe ich Victor gefragt, ob er das Tuch nach dem Spaziergang in die Kleiderkammer gebracht hat. Er sagte mir, dass Madame Joulain es ausbessert. Nun, dann bin ich eben zur ihr gegangen und habe ihr den Beinwärmer gebracht.« Ihre Hände zitterten, als sie in der Luft nachzeichnete, was sie gesehen hatte. »Dort lag das Tuch in einem Korb – und darin war, wie ich vermutet hatte, das Medaillon.«

»Jemand hat das Medaillon also im Korb versteckt?«, fragte Leven streng.

»Nein … ich denke, es ist versehentlich dort hineingeraten. Der Verschluss hatte sich schon während des Spaziergangs in einer der Stickereien verhakt. Das passiert sehr leicht. Und wenn es kalt ist, verliert man zudem das Gefühl auf der Haut und merkt nicht, wenn die Kette sich öffnet. Der Hakenverschluss war nur ein wenig verbogen, aber der Spalt war groß genug, um den Verschlussring hindurchgleiten zu lassen. Niemand hatte es bemerkt, auch Fräulein Ebba nicht, als sie das Tuch ablegte.«

»Woher wusstest du, dass es Ebbas Tuch war?«

»Ein Student hat es mir beschrieben.«

»Und woher weiß jemand wie du so viel über Ketten und Verschlüsse?«, insistierte der Sekretär mit scharfer Stimme.

»Frau Gudmund ist einmal etwas Ähnliches passiert.«

»Der Haken war tatsächlich bereits ein wenig verbogen«, sagte Ebba. »Ich wollte ihn längst wieder richten lassen.«

»Und warum hast du das Medaillon an dich genommen?«, bohrte Kester Leven weiter.

»Um es Victor zu bringen. Er sollte sagen, dass er es gefunden hat. Dann …«

»Was dann?«

Die Königin lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

»Dann … wäre Emilia nicht mehr verdächtigt worden.«

»Emilia?«

»Die finnische Küchenmagd«, erklärte Kester Leven. »Sie stammt ebenfalls aus Gamla Uppsala und kannte die Tante des Mädchens, als diese noch lebte. Kürzlich ist sie Witwe geworden. Wir haben ihr Geld aus der Armenkasse gegeben.«

Elin holte tief Luft.

»Die in der Küche verdächtigen sie, das Medaillon gestohlen zu haben.«

»Und du dachtest, wenn du das Medaillon findest, kannst du diesen Vorwurf entkräften«, stellte die Königin fest.

Elin nickte.

»Ihr Mann ist vor ein paar Wochen auf einem deutschen Schlachtfeld erschossen worden«, sagte sie. »Sie hat alles verloren, was sie hatte. Ihre zwei jüngsten Kinder musste sie bei Nachbarn in Gamla Uppsala lassen. Emilia darf ihre Arbeit nicht verlieren, sonst …«

Sie verstummte und hob den Blick. Die Königin sah sie aufmerksam an. Im Raum war es so leise, dass Elin sich einbildete, die Schneeflocken zu hören, die gegen die Fenster geweht wurden.