Levens Lächeln war schmal wie eine Messerschneide.
»Eine ehemalige Nachbarin, Mademoiselle, keine Verwandte.«
»Darf ich fragen, was der Grund für Ihre Verweigerung ist?«
»Emilias Wunsch«, sagte er schlicht.
Frida trat vor und legte Elin die Hand auf den Arm.
»Es stimmt«, bestätigte sie leise. »Emilia hat darum gebeten, dass nur Herr Leven und ich sie beerdigen. Nicht einmal ihre Kinder wollte sie am Grab haben. Bitte nehmen Sie es uns und ihr nicht übel.«
»Das haben Sie ihr eingeredet, nicht wahr?«, fuhr Elin Leven an. »Warum?«
Aber Leven verschloss sich wie eine Muschel bei der Berührung eines Feindes.
»Wenden Sie sich mit der Beschwerde an den Bischof«, sagte er nur und ließ sie einfach stehen.
Auf dem Rückweg brütete Henri vor sich hin. Schweigend ritten er und Elin nebeneinanderher, bis die ersten Häuser von Uppsala in Sicht kamen. Immer noch fühlte sich Elin wie betäubt. Kester Leven und Emilia, flüsterte es ständig in ihrem Kopf. Beim Schloss angekommen eilte sie direkt zum Arbeitskabinett der Königin. Die Königin war mit neuen Plänen für Seidenfabriken beschäftigt und grübelte über Bauskizzen und Berechnungen. Sie war nicht begeistert, dass Elin sie störte, aber als sie ihr Gesicht sah, schickte sie die Sekretäre aus dem Raum und hörte sich die Geschichte an.
»Es tut mir aufrichtig Leid, dass Emilia gestorben ist«, sagte sie schließlich. »Aber bei Kester Leven kann ich dir nicht helfen.«
»Aber Kristina! Er hat mich von der Beerdigung fortgeschickt! Das hätte Emilia nie gewollt!«
Kristina winkte ab.
»Wer weiß schon, was Emilia wollte«, sagte sie sanft. »Bedenke, sie war eine kranke Frau. Bestimmt war sie sogar ein wenig verwirrt.«
»Vielleicht … hat es etwas mit mir zu tun? Möglicherweise wusste Emilia doch mehr über meine Familie und hat es Leven erzählt. Und er hat ihr daraufhin geraten, mich von der Beerdigung auszuschließen. Und dann die Unterlagen über meine Familie, die bei einem Brand vernichtet wurden. Langsam habe ich den Verdacht, dass es kein Zufall …«
Kristina funkelte sie über den Tisch hinweg an.
»Gib endlich Ruhe damit, Elin. Ich werde dem Bischof eine Bitte um Stellungnahme zukommen lassen. Mehr kann ich nicht tun.«
Niedergeschlagen verließ Elin das Arbeitszimmer. Zu ihrer Überraschung wartete Henri am Fuß der Treppe.
»Gehen Sie ein Stück mit mir spazieren«, sagte er leise. »Ich muss Sie etwas fragen, was für Sie von höchster Wichtigkeit sein könnte.« Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, hatte er sich umgedreht und humpelte die Treppe hinunter. Schweigend gingen sie an Victor vorbei und nahmen den Weg über den Hof.
»Ihre Königin wird Ihnen nicht helfen, habe ich Recht?«, fragte er schließlich.
»Das dürfte Sie wohl kaum interessieren.«
Henri blieb stehen. Elin bemerkte, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte.
»Wenn Sie aufhören würden, sich mir gegenüber wie eine Küchenmagd zu benehmen, würden Sie uns beiden die Konversation erleichtern«, zischte er.
»Ach, neulich sagten Sie noch, ich hätte mich verändert.«
Sein Blick verdüsterte sich.
»Vielleicht bin ich es, der sich viel mehr verändert hat. Das Schlachtfeld zeigt vieles in einem neuen Licht.« Nachdenklich betrachtete er ihr Gesicht. Elin widerstand der Versuchung, ihm eine scharfe Antwort zu geben.
»Kättare«, sagte er plötzlich. Elin zuckte bei dem schwedischen Wort aus seinem Mund zusammen.
»Das bedeutet … Ketzer«, sagte sie. »Woher haben Sie das?«
»Als dieser Pfarrer ins Dorf kam, hat er mit den Dorfbewohnern gesprochen. Dabei fiel Ihr Name – und dann sagte er etwas zu einem seiner Begleiter. Ich verstehe noch nicht genug Schwedisch, aber ich denke, den Satz habe ich mir richtig gemerkt: ›Denna papistunge har inget pä den här begravningen att göra!‹«
Fassungslos starrte Elin ihn an.
»Das Papistenkind hat bei der Beerdigung nichts verloren«, flüsterte sie. »Papist – das ist das Schimpfwort für einen Katholiken. Warum nennt er mich so?«
»Kurz bevor wir fortritten, gab die rothaarige Frau demselben Bediensteten einige Papiere.«
Elin hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Es ist wichtig für Sie, etwas über Ihre Verwandten und diesen Geistlichen herauszufinden, nicht wahr?«, bohrte Henri weiter. Elin biss sich auf die Lippe und nickte. Einen Moment zögerte sie, dann begann sie zu erzählen. Sie berichtete von den unzähligen Nachforschungen und den Briefen, von dem Brand im Pfarrhaus und ihrer zerstörten Hoffnung, ihre Mutter zu finden. Als sie fertig war, nickte Henri. »Wie steht es mit den Leuten, bei denen Sie gelebt haben?«
»Ein Freund hat dort bereits nachgefragt. Sie wissen von nichts.«
Henri zupfte nachdenklich an seinem Kragen.
»Eins habe ich im vergangenen Jahr gelernt«, sagte er nach einer Weile. »Manchmal kommt es nicht darauf an, was man fragt, sondern wie man seine Frage formuliert.«
Er schenkte Elin ein verhaltenes Lächeln, verbeugte sich und ging davon.
Beim Abendessen fühlte sich Elin so unbehaglich dabei, von Olof bedient zu werden, dass sie den Zettel, den ihr jemand in die Serviette gesteckt hatte, beinahe übersehen hätte. Überrascht sah sie sich um und traf Erik Gyllenhielms Blick. Verschwörerisch grinste er ihr zu. Elin entfaltete den Zettel vorsichtig unter dem Tisch und las:
Monsieur de Vaincourt und ich erwarten Sie heute Nacht an der Stelle, an der wir nach Fräulein Spanes Medaillon gesucht haben. Elf Uhr. Tragen Sie Handschuhe und Schmuck.
Erik zog verschmitzt eine Braue hoch und beugte sich wieder über seinen Teller. Elin zählte die Stunden, bis sie sich endlich davonstehlen konnte. Der Nachtwind war selbst für eine Sommernacht sehr warm und die dünnen Seidenhandschuhe fühlten sich ungewohnt an. An der Stelle, an der sie vor fast zwei Jahren Schnee für die Küche geholt hatte, erkannte sie die Umrisse zweier Pferde.
»Ich hoffe, Sie können auch im Damensattel reiten«, flüsterte Henri ihr zu.
»Was haben Sie vor?«
Sein Lachen verwehte in der Nacht.
»Seien Sie würdevoll«, sagte er nur. »Alles andere erledigen wir.«
Es war gar nicht so einfach, auf der prächtigen Paradestute im Damensitz zu reiten. Nicht weit vom Schloss entfernt hörten sie Hufschläge. Elin erschrak, als sie die zehn schwer bewaffneten Soldaten sah, die ihnen entgegengaloppierten. Angeführt wurden sie von Erik Gyllenhielm! Und da war noch ein weiterer Reiter. Elin fuhr ein freudiger Schauer in den Magen.
»Hampus! Seit wann bist du wieder da?«
»Seit ein paar Stunden erst. Und wenn Erik mich nicht sofort von der Kutsche gezerrt hätte, hätte ich nichts lieber getan, als dich sofort zu begrüßen!«
»Was habt ihr vor?«
»Wir sind eine Delegation«, sagte Hampus geheimnisvoll.
Den Weg nach Gamla Uppsala legten sie in gestrecktem Galopp zurück. Die Pferde schnaubten bereits, als die Hügel der Königsgräber in Sicht kamen. Zu Elins Entsetzen hob einer der Soldaten seine Trompete an die Lippen und blies eine Fanfare. Das winzige Dorf erwachte auf der Stelle. Menschen im Nachtgewand erschienen in den Türen und schrien vor Schreck auf.
»Die Königin!«, rief jemand. »Die Königin ist da!«
Bauer Gudmund rannte als einer der Letzten auf den Hof. Elins Hände krampften sich um die Zügel. Hampus sprang vom Pferd und trat vor. Jetzt erst, im Fackelschein, sah Elin, dass er einen goldbestickten Mantel trug – er gehörte Henri! Mit wichtiger Miene entrollte er ein offiziell aussehendes Schriftstück in seiner eigenen Handschrift.
»Hampus Lundell«, stellte er sich vor. »Sekretarius für besondere Angelegenheiten Ihrer Majestät, Königin Kristina von Schweden.« Elin schnappte unwillkürlich nach Luft. »Mit Wirkung des heutigen Beschlusses hat der königliche Rat einen Richtspruch gefällt. Isak Gudmund! Tritt vor!«