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»Schreib mir aus Leyden«, bat sie.

Hampus lächelte. »Sooft ich kann.« Er machte eine scherzhafte Verbeugung. »Auf bald, Gräfin de la Feinte.«

Die Albträume kehrten zurück und verfolgten sie noch, als sie längst wieder in Stockholm war. Nachts hielt sie den Rosenkranz in der Hand, als könnte der kleine Goldjesus am Kreuz ihr die Zweifel nehmen.

Ein glühender Sommer hatte sich über das Land gesenkt, Helga stellte aus den säuerlichen, gelben Multbeeren aus dem Nordland eine köstliche Konfektfüllung her, aber Elin hatte jeden Appetit verloren. Lovisa wunderte sich kaum über Elins Niedergeschlagenheit, als sie von Emilias Tod, dem Abschied von Hampus und Henris Hausverbot im Schloss erfuhr. Kristina hielt es offenbar für das Beste, Elin mit Arbeit abzulenken. Schon bei Tagesanbruch stellte Elin Listen auf, prüfte die Berechnungen für neue Regale und katalogisierte Bücher.

Sooft sie konnte, besuchte sie Monsieur Chanut in der Hoffnung, Henri zu sehen. Mürrisch saß er im Haus des Botschafters, vergrub sich in seinen Büchern über Sternkunde und trank zu viel Wein. Als hätte Uppsala nicht existiert, verwandelte er sich wieder in den arroganten Grafensohn, der sich mit Elin bissige Wortgefechte lieferte. Nur auf ihre Herkunft sprach er sie nicht länger spöttisch an.

»Sind Sie wütend, weil Sie wegen mir Hausverbot im Schloss haben?«, fragte Elin ihn einmal.

Henri zeigte sein arrogantes Lächeln.

»Sollte ich das sein? Für einen Lahmen wie mich ist der Weg zum Schloss ohnehin zu beschwerlich.«

Elin konnte offenbar nichts Richtiges sagen. Umso einfacher war es, die Wut auf Henri wieder aufflackern zu lassen.

Und manchmal war sie sogar froh darum, sich mit ihm streiten zu können, auch wenn sie ihm viel lieber ihre Zweifel anvertraut hätte. Das Band, das in Emilias Haus zwischen ihnen bestanden hatte, schien wieder gerissen zu sein. Trotzdem ertappte sich Elin dabei, wie sie öfter als nötig bei Monsieur Chanut zu Gast war. Manchmal blieb sie im Empfangszimmer sitzen, während der Hauskaplan im Keller die katholische Messe las – über ein Buch gebeugt lauschte sie und stellte sich vor, mit den Katholiken zu beten. Mit scheuer Faszination betrachtete sie die geweihten Gegenstände, die Kelche, die Madonnenbilder und die goldene Monstranz.

Mitten in diesen angespannten Wochen kam die Nachricht aus Holland. Monsieur Descartes hatte zugesagt, nach Stockholm zu kommen und die Königin zu unterrichten. Trotz aller Sorgen gab diese Mitteilung Elin für kurze Zeit ihre gute Laune zurück.

An einem Augusttag, der vor Farben glühte, nahm sie sich ein Herz und klopfte an Henris Kammertür.

Der junge Graf hatte sich auf seinem Bett ausgestreckt, überall lagen Bücher herum. Ein halbvolles Weinglas stand auf dem Nachttisch. Für einen Augenblick leuchtete Henris Gesicht auf, als er Elin erblickte, dann aber verschwand sein Lächeln und ließ Elin umso einsamer zurück.

»Machen Sie doch das Fenster auf, Henri!«, sagte sie ärgerlich. »Draußen ist ein Sommer, wie Sie ihn sicher noch nie gesehen haben.«

»Das mag für Sie etwas Besonderes sein, aber kein schwedischer Sommer kann sich mit einem in Frankreich vergleichen.«

»Wenn es so ist, wundere ich mich, warum Sie hier sind.«

»Weil es für mich keinen Unterschied macht. Verliebte sehen überall die Sonne – und für die Hoffnungslosen ist es überall Nacht.« Mürrisch griff er nach dem Weinglas und leerte es in einem Zug.

Elin verschränkte die Arme. Sie wusste wieder einmal nicht, ob sie ihn schlagen oder umarmen wollte.

»Solche pathetischen Worte, Monsieur Henri«, spottete sie. »Wissen Sie, Sie sind unterhaltsamer, wenn Sie reiten statt zu sprechen. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie mich auf einen Ausritt begleiten wollen.« Jetzt schlug ihr Herz bis zum Hals. Henris Augen schienen zu glühen.

»Ach, kaum sind die Kavaliere aus dem Haus, ist der Krüppel wieder gut genug.«

Das beantwortete Elins Frage. Sie hatte eindeutig Lust, ihn zu schlagen.

»Warum sind Sie so verletzend?«

Seine Antwort war scharf.

»Warum spielen Sie mit den Menschen?« Er stellte das Weinglas so hart auf dem Nachttisch ab, dass Elin fürchtete, es würde zerbrechen. »Erik hat mir von Ihrer Verlobung mit Hampus erzählt. Was würde Ihr Verlobter dazu sagen, dass Sie mit anderen Männern ausreifen?«

»Wenn Erik so etwas behauptet, ist er ein Großmaul. Ich habe niemandem versprochen, ihn zu heiraten! Sie scheinen es noch nicht bemerkt zu haben, Monsieur Henri – aber es existiert auf der Welt so etwas wie Freundschaft. Andererseits wundert es mich nicht, dass Sie diese Regung nur sehr selten antreffen.«

»Für Sie ist es einfach, über andere Menschen zu richten«, sagte er heiser. »Sie haben noch ein Leben. Meines ist vorbei. Wer will schon einen Krüppel?« Er räusperte sich. Der Wein vernebelte seinen Blick. »Sie doch sicher nicht, Mademoiselle.«

Der scharfe Spott in seiner Stimme fachte Elins Wut noch mehr an.

»Bilden Sie sich nur nichts auf Ihr Elend ein«, zischte sie ihm zu. »Jeder trägt seine Wunden. Sie sind weiß Gott überhaupt nichts Besonderes, Henri.«

Der Weinduft musste ihr zu Kopf gestiegen sein, anders konnte sie es sich kaum erklären, wozu sie sich nun im Zorn hinreißen ließ. Henri errötete, als er sah, wie sie zu der Schnürung ihres Mieders griff. Mit wütenden Bewegungen löste sie Band um Band, setzte sich zu ihm an den Bettrand und wandte ihm den Rücken zu. Dann zerrte sie das Mieder auf und streifte sich entschlossen das leinerne Unterkleid über die Schultern. Ihre Narbe pochte, als würde Henris Blick sie erwärmen. Sie wusste, was er sah. Mithilfe eines zweiten Spiegels hatte sie die Narbe schon oft betrachtet – eine rote, verzerrte Sonne. Nie hätte sie Hampus einen Blick darauf werfen lassen und selbst bei Lovisa schämte sie sich, so viel Hässlichkeit zu zeigen, aber hier, in Henris Gegenwart, fühlte es sich seltsamerweise richtig an. Das erschreckte sie noch mehr als ihre Kühnheit. Henri schwieg, während ihr Herz so heftig schlug, dass die Narbe pulsierte und wieder zu schmerzen begann. Elin schämte sich unendlich. »Entschuldigen Sie«, flüsterte sie. »Ich benehme mich wie ein Barbar. Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.« Gerade wollte sie das Hemd wieder über ihre Schulter streifen, als eine Berührung sie innehalten ließ. Ein leichter Atemhauch strich über ihre Haut und ließ sie frösteln. So behutsam, als könnte jede Berührung sie verletzen, küsste Henri erst ihre Narbe und dann ihren Nacken. Elin wagte kaum zu atmen, als er die Arme von hinten um sie legte. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, ließ sich ganz in diese Umarmung fallen. Sie schwiegen lange, als hätten sie Angst, ein einziges Wort könne diese Nähe zerstören. Schließlich zog Elin ihr Unterkleid wieder über die Schultern, drehte sich um und sah Henri ins Gesicht. In seinen Augen fand sie Schmerz. Er betrachtete Elin wie eine Kostbarkeit, die er nie besitzen würde. Trotz des bitteren Zugs um seinen Mund waren seine Lippen unendlich schön. Vorsichtig strich sie ihm das schwarze Haar aus der Stirn. Ihre Finger schienen auf einmal alles viel intensiver zu fühlen. Schließlich beugte sie sich zu ihm und küsste ihn. Und selbst wenn er sie dafür verspotten würde – in diesem Augenblick war es unwichtig, wichtig war nur diese Sehnsucht, seine Lippen zu berühren.

Es fühlte sich ganz anders an als Kristinas Kuss oder Hampus’ Umarmung. Das hier war Sehnsucht und gleichzeitig das Gefühl, das Ersehnte endlich gefunden zu haben. Henri zog sie an sich und erwiderte ihren Kuss wie ein Ertrinkender. Als sie sich nach einer Ewigkeit voneinander lösten, verwirrt, mit pochenden Lippen und rasenden Herzen, lächelten sie sich verlegen an.

Erst als die Tür zuklappte, fuhren sie ertappt auseinander.

Als Elin auf Tre Kronor ankam, wartete bereits Lovisa auf sie. Ihr Gesicht war vor Zorn verzerrt. Ohne ein weiteres Wort packte sie Elin grob am Arm und stieß sie in das nächstbeste Zimmer.