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»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Elin antwortete nicht, sondern senkte nur den Kopf. Sie brauchte nicht zu fragen, wovon Lovisa sprach. Die Hofdame wetterte ohnehin schon los.

»Monsieur Tervué war bei den Chanuts zu Besuch und hat dich gesehen! So gut wie nackt auf Monsieur Henris Bett! Bist du noch zu retten? Ist dir klar, dass du deine Zukunft ruinierst?«

»Ich war nicht nackt«, murmelte Elin. »Es war nur …«

»Schweig!« Lovisa rang die Hände. »Und noch dazu mit einem Katholiken. Herr Nilsson wird dich nicht einmal mehr mit der Schmiedezange anfassen. Ganz zu schweigen von …«

»Ich lege keinen Wert auf Herrn Nilsson.«

Die Ohrfeige traf sie so unerwartet, dass Elin erschrocken zurücktaumelte. Entsetzt tastete sie nach ihrer brennenden Wange. Lovisa hatte sich umgewandt.

»Das Traurige ist nicht, dass du ein Hurenkind bist«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Das Traurige ist, dass du dich wie ein solches benimmst.«

Der Abend an der Festtafel verlief für Elin wie ein Besuch am Pranger. Ebbas mitleidiger Blick war die harmloseste Reaktion. Monsieur Tervué verließ demonstrativ den Tisch. Die Gerüchteküche kochte offenbar gut. Vor allem die adligen Mädchen, inzwischen fast alle anständig verheiratet, schienen nur auf die Gelegenheit gewartet zu haben, das Feuer zu eröffnen. Kristina ließ sich nichts anmerken, sie plauderte mit Ebba und Elin, obwohl Elin der scharfe Unterton nicht entging. Auf Silberplatten wurden rote Flusskrebse serviert. Mit brennenden Wangen beugte sich Elin über ihren Teller und bemühte sich, das Getuschel hinter den Fächern zu überhören. »Hure«, zischte es über den Tisch. Ungerührt griff die Königin zu ihrem Weinglas. »Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, raunte sie Elin zu.

Natürlich war es nicht das letzte Wort, das in dieser Sache gesprochen wurde. Am nächsten Tag zitierte Kristina Elin in ihre Kanzlei.

»Du kannst dir hier einiges erlauben, aber kein unzüchtiges Verhalten. Ich lege Wert auf Tugend und Anstand.«

»Warum werde ich behandelt wie eine Verbrecherin? Wenn Monsieur Tervué sich als Moralapostel aufspielen will, müsste man auch über Henri tuscheln. Wir waren immerhin zu zweit.«

»Stellst du dich so dumm? Du bist eine Frau. Und du hast dein Mieder aufgeschnürt und ihn geküsst.«

»Was ist dabei, jemanden zu küssen? Ausgerechnet Sie machen mir Vorwürfe!«

Kristinas Mundwinkel zitterten, dann konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Seufzend schüttelte sie den Kopf.

»Die Liebe, Elin. In deinem Fall ist es nur die Verbindung von Sommerluft und deiner Jugend. Aber ich verstehe dich besser, als du denkst. Als ich siebzehn war, habe ich Karl Gustav leidenschaftlich geliebt – trotzdem glaube ich nicht, dass Henri die richtige Wahl für solche Eskapaden ist. Was ist mit deinem Hampus?«

»Er ist ein Freund! Wie oft muss ich das denn noch wiederholen? Und was ist mit den Grenzen, von denen Sie mir erzählt haben? Wir schaffen sie uns selbst.«

Plötzlich sah die Königin müde aus.

»Ach, Elin. An den Wänden alter Konventionen wirst du dir nur den Kopf einrennen. Lerne nach den Regeln zu spielen, bevor du sie brichst.«

»Aber …«

»Ich werde die Gerüchte dementieren und Monsieur Tervue bitten, über den Vorfall zu schweigen. Dann muss ich darauf bestehen, dass du Monsieur Henri nicht mehr triffst. Du wirst sehen, das Gefühl verfliegt, der Rausch geht vorbei. Und ich brauche dich hier in der Bibliothek.«

Elin dachte an Henri und schluckte schwer. Das war nicht die Kristina, die ihr nahe stand – unmerklich hatte sich etwas zwischen sie geschoben. Es war nicht dicker als ein Theatervorhang, dennoch fühlte sich Elin ausgegrenzt und allein.

»Hast du verstanden?«

»Ja, Majestät«, sagte sie leise.

Die Wogen glätteten sich nur langsam. Während draußen die Sonne schien, erledigte Elin ihre Arbeit in der Bibliothek und lernte verbissener denn je. Nachts träumte sie von Henri, sehnte sich so sehr nach ihm, dass es schmerzte, und fragte sich, ob er auch an sie dachte. Eines Tages, als sie Enhörning für einen Ausritt mit Lars sattelte, trat ein Stallknecht neben sie. »Schauen Sie in das Geheimfach Ihres Sattels«, flüsterte er. Elin klappte das Leder zurück. Ein ganzer Schmetterlingsschwarm erhob sich in ihrem Bauch, als sie einen Brief fand. Er war von Henri.

Wie vereinbart, hatte sich Elin nach Mitternacht aus dem Schloss geschlichen. Es war nicht schwer gewesen, durch die Gewölbekeller über den Bootsanleger nach draußen zu gelangen. Eine glühende Sommernacht ließ den Mälarsee leuchten. Elin war sogar noch aufgeregter als damals, als sie den Brief an Adler Salvius überbringen sollte. Sie lief durch die Gassen zum Hinterhof in der Skomakargatan. Dort hatte sie einen Diener erwartet, aber die Gestalt im Mauerschatten war Henri! Als er Elin entdeckte, ging in seinem Gesicht die Sonne auf. Er ließ die Zügel der beiden Pferde los und umarmte Elin so fest, dass ihr die Luft wegblieb. Ohne ein Wort zu wechseln stiegen sie auf die Pferde, passierten die Wachen an der Brücke, die Henri offenbar gut dafür bezahlt hatte, das Tor zu öffnen, und galoppierten bald darauf in den mitternächtlichen Wald. Elin kamen all die Feenmärchen in den Sinn, die Emilia ihr einst erzählt hatte. Ein wenig fühlte sie sich selbst wie eine Fee, als sie neben Henri hergaloppierte, während Tre Kronor längst hinter dunklen Vorhängen schlief. An einer Lichtung brachten sie ihre Pferde zum Stehen, stiegen ab und ließen sich auf das Gras sinken. Farne leuchteten in der hellen nordischen Nacht. Eine Weile saßen sie einfach nur da, betrachteten die Waldschatten und lauschten auf das Knacken im Unterholz. Dann fanden sich ihre Hände und sie rückten so nah zusammen, dass sie den Herzschlag des anderen spürten. Es war einfacher zu küssen als zu sprechen, und so schwiegen sie. Jeder Streit war vergessen.

»Ich habe dich so oft beobachtet«, flüsterte er ihr zu – viel später, als sie durch den Wald zurück zu den Pferden gingen, die Finger ineinander verflochten. »Damals, als du reiten gelernt hast. Erinnerst du dich? Das Pferd hat dich an diesem einen Nachmittag mindestens zwanzigmal abgeworfen – und du bist immer wieder aufgestiegen. Ich habe dich für deine Hartnäckigkeit und deinen Mut gehasst. Aber heute …« Er lächelte ihr zu und küsste sie, als würden sie sich nach diesem heimlichen Ausritt nie wieder sehen.

Aber sie sahen sich wieder. Elin verlebte die Tage wie eine Schlafwandlerin die Nächte. Sie lernte mit Feuereifer und machte ihre Arbeit in der Bibliothek so gut, dass die Gelehrten sie lobten und die Gerüchte langsam in Vergessenheit gerieten. Nachts aber verwandelte sie sich in eine andere Elin, eine Elin, die leuchtete wie ein Sommerfeuer und die keinen Schlaf brauchte. Und während die anderen Mädchen, wie es Brauch war, für die Mittsommernacht neun verschiedene Blumen sammelten und sie unter das Kissen legten, um von ihrem zukünftigen Ehemann zu träumen, träumte Elin mit offenen Augen von Henri und schlich sich wie ein Dieb aus dem Schloss.

Während dieser nächtlichen Ausritte ließen sie sich in einem Meer von Farnblättern treiben und küssten sich, bis ihre Lippen pochten. Nach und nach fanden sie zwischen ihren Umarmungen ihre Sprache wieder – und Elin lernte den Henri kennen, der ihr bis zu dem Tag in Chanuts Haus nur selten begegnet war.

»Mein Land unterscheidet sich gar nicht so sehr von Schweden«, erzählte er flüsternd. Elin lag auf der Wiese. Henris Hände spielten mit ihrem Haar und unter ihrer Wange fühlte sie sein Herz schlagen. Bei Henri hatte sie nie Angst davor, die Augen zu schließen. »Es ist nicht so warm wie Italien, aber die Farben über dem Meer sind wunderschön! Unsere Kirchen sind aus Granit gemacht – wie die Klippen auf Södermalm hier. Es ist ein raues Land mit rauen Leuten.«

»So rau wie dein Vater?«, murmelte Elin.

Henri schwieg lange, bevor er antwortete.