Elin hatte schon bei den ersten Worten der Königin Herzklopfen bekommen. Die Kanten von Henris Brief drückten in ihre Handfläche.
»Dann sprechen wir hier von zwei unterschiedlichen Dingen, Kristina«, sagte sie. »Sie von falsch angewendeter Liebe. Ich von der Liebe zwischen Henri und mir.«
Die Königin lachte auf – es war ein zynisches Lachen. Elin konnte wieder einmal durch die Lücke in der Mauer sehen und erkannte in Kristina eine verbitterte junge Frau, gefangen in ihren Ängsten und Leidenschaften, die sie auch durch alle Vernunft nicht besiegen konnte.
»Wie du meinst, Elin. Dann will ich jetzt ehrlich zu dir sein, auch wenn es grausam klingen mag: Wo, denkst du, soll das, was du für Liebe hältst, hinführen? Meinst du etwa, Graf de Vaincourt heiratet eine Scheuermagd? Und noch dazu einen Bastard?«
»Einen gelehrten Bastard«, erwiderte Elin würdevoll. »Sie sollten wissen, dass mich solche Worte schon lange nicht mehr treffen. Und niemand sagt, dass ich je daran gedacht habe zu heiraten.«
Das war nicht die ganze Wahrheit. In Wirklichkeit war ihr elend vor Angst. Wie immer hatte Kristina das Messer direkt in die Wunde gestoßen.
»Denke daran, dass du nicht die Privilegien hast, die einer Königin gebühren.« Kristina musterte Elin mit einem Ausdruck von Mitleid, der Elin wütend machte. »Weißt du, dass Henris Vater gedroht hat, ihn zu enterben?«
Zu ihrem Ärger konnte Elin ihre Überraschung nicht verbergen. »Aha«, meinte Kristina trocken. »Da haben meine Zuträger also bessere Arbeit geleistet als die Liebe. Kannst du dir vorstellen, was der Grund für diese Drohung ist?«
»Zwischen ihnen … gibt es immer Streit. Sie sind sehr verschieden.«
»Nun, ich wünschte aufrichtig für dich, das wäre der einzige Grund. Nein, Henri ist derzeit nicht gerade entzückt von seiner adligen Verlobten in Frankreich, die dem Haus de Vaincourt einen Aufstieg garantieren würde.«
Die Nachricht traf Elin wie ein Schlag ins Gesicht. Dennoch riss sie sich zusammen.
»Falls es in dieser Hinsicht etwas zu bereden gibt, wird Henri es mir selbst sagen.«
»Oh, hör doch auf, die Eisprinzessin zu spielen!« Wütend setzte Kristina sich auf und schlug mit der flachen Hand auf das Bett. »Glaubst du wirklich an ein Wunder? Es ist eine Sache, vor einer ungeliebten Hochzeit nach Schweden zu fliehen. Eine ganz andere Sache aber ist die Verpflichtung der eigenen Familie gegenüber. Es geht um sein Erbe! Du glaubst doch nicht, dass Henri wegen dir darauf verzichtet!« Ihre Stimme wurde leiser und noch schneidender. »Aber natürlich hat eine Heirat wenig mit Liebe zu tun. Er könnte dich als seine Mätresse nach Frankreich mitnehmen.«
Elin stand da wie betäubt. Der Brief in ihrer Hand war längst zerknittert. Aber Kristina hatte noch einen weiteren Trumpf in der Hand.
»Er hat dir doch wenigstens gesagt, dass er in zwei Wochen nach Frankreich reist, oder?«
Elin spürte kaum, wie ihre Knie einknickten, als sie sich auf den Stuhl sinken ließ. Sie holte Henris Brief hervor und faltete das Schreiben auseinander. Stumm las sie, ohne die Buchstaben richtig wahrzunehmen. Nur so viel verstand sie: Henri hatte sie verraten.
»Nun, mir soll es gleich sein«, schloss Kristina. »Entscheide, was dir wichtiger ist – die Liebe oder die Gelehrsamkeit. Beides gleichzeitig kann und werde ich dir zu deinem eigenen Wohl nicht gestatten. Es gibt zu viel Gerede und Unruhe hier am Hof. Fehlt nur noch, dass du verdächtigt wirst, eine Agentin der Katholiken zu sein, die den Auftrag hat, mich zu bekehren.«
Elin kämpfte gegen die Tränen. Die Stille im Raum war so kalt wie das Winterwasser des Mälarsees. Nur langsam gewann ihre Wut wieder die Oberhand. Es tat unendlich gut, den Brief zu zerknüllen und ihn in die Ecke zu schleudern, was Kristina ein triumphierendes Grinsen entlockte.
»Ich entscheide mich dafür, mich weiterhin um Monsieur Descartes zu kümmern, wenn Sie erlauben«, sagte Elin. »Und bitte Sie, mich von der Arbeit in der Bibliothek bis auf weiteres zu entbinden, Majestät.«
Natürlich hatte sie erwartet, dass Henri sie früher oder später finden würde, aber dass er sie ausgerechnet im Stall aufspürte, wo sie Enhörnings geschwollenes Sprunggelenk mit Tabaktinktur und Branntwein einrieb, überraschte und verunsicherte sie. Die vergangenen paar Stunden hatte sie damit zugebracht, sich Antworten zurechtzulegen, aber als sie nun Henris Gesicht direkt vor sich sah, versetzte ihr sein Anblick einen solchen Stich, dass alle Sätze in ihrem Kopf zu sinnlosen Gedankenfetzen zerfielen. Sie stieß grob seinen Arm weg, als er sie an sich ziehen wollte. Henri runzelte verwirrt die Stirn.
»Elin?«
»Fass mich nicht an!«, zischte sie.
Seine Verwunderung verwandelte sich in Bestürzung.
»Du hast den Brief gelesen«, stellte er fest. »Aber warum bist du so wütend?«
Sie zuckte mit den Schultern und klopfte Enhörnings Hals.
»Du verlässt uns in zehn Tagen. Viel Glück.«
Henri starrte sie so fassungslos an, als hätte sie ihm ohne Grund einen Fausthieb versetzt. Dann machte er den Mund wieder zu und seufzte.
»Ich weiß, ich hätte es dir früher sagen sollen. Mein Vater ist schwer erkrankt. Meine Mutter bittet mich, nach Frankreich zurückzukehren – zumindest, bis einige Dinge geklärt sind. Aber ich komme so schnell wie möglich nach Stockholm zurück. Vielleicht schon im nächsten Sommer.«
»Um der Königin deine französische Frau vorzustellen? Herzlichen Glückwunsch übrigens zur Verlobung.«
Elin gab Enhörning einen Klaps, damit er sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte. Erst als er scheute und zur Seite sprang, wurde ihr bewusst, wie fest sie zugeschlagen hatte. Henri war rot geworden und senkte schuldbewusst den Kopf.
»Es ist die Königin, nicht wahr? Unsere Liebe ist ihr ein Dorn im Auge. Deshalb redet sie dir ein, ich würde mich tatsächlich auf diesen Kuhhandel einlassen.«
Elin warf das Tuch hin und drehte sich zu Henri um.
»Auf den Handel hast du dich längst eingelassen«, sagte sie kalt. »Wie lange bist du schon verlobt?«
Die Antwort kostete ihn viel Überwindung, das konnte sie sehen, und es machte ihr sogar auf eine grausame Weise Spaß, ihn leiden zu lassen.
»Seit ich fünfzehn bin«, antwortete er schließlich. »Es war ein Arrangement, gegen das ich mich damals nie aufgelehnt hätte.«
»Und mir sagst du nichts davon. Sondern machst mir Vorwürfe wegen Hampus. ›Wer nimmt schon einen Krüppel, Mademoiselle?‹ – Mein Gott, und ich habe dir jedes Wort geglaubt.«
Erstaunlicherweise blieb er völlig ruhig und steckte all ihre Schläge ein.
»Du hast Recht«, gab er leise zu. »In allem hast du Recht – aber vielleicht verstehst du wenigstens, dass ich dich liebe, dass ich Angst hatte, dich zu verlieren …«
»Soll ich dich etwa bemitleiden?«, sagte sie scharf. »Ich bin nicht länger deine Mätresse. Was willst du noch von mir?«
Einen Augenblick lang war sie sich nicht sicher, ob er sie umarmen oder zurückstoßen wollte. Sie fürchtete und ersehnte seine Berührung, aber dann gewann ihr Stolz. Sie wich aus dem Verschlag zurück und hob abwehrend die Hand.
Henri hielt in seiner Bewegung inne und blinzelte.
»Was ich von dir will?«, murmelte er. »Das kann ich dir sagen. Ich … habe es satt, mich in Kammern und Ställen herumdrücken zu müssen, um dich zu sehen. Es ist ein offenes Geheimnis – und wenn ich aus Frankreich zurückkomme, würde ich gerne … dich … heiraten.«
»Nein.« Die Pferde scharrten in den Boxen und äugten zu ihnen herüber. Elin räusperte sich und gab sich alle Mühe, vernünftig und beherrscht zu klingen. »Hör auf, in die Sterne zu schauen, Henri. Ich weiß, wer ich bin, und du weißt, wer du bist. Im Wald am Mälarsee spielte es keine Rolle, aber …«