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»Was aber?« Jetzt war es Henri, der die Geduld verlor und wütend wurde. Seine Augen funkelten im Halbdunkel des Stalls. »Ich bin bereit, ins Kreuzfeuer zu gehen und diese Verlobung zu lösen.«

»Das sagst du jetzt, aber wenn du erst wieder zu Hause bist, ist Schweden tausende von Meilen entfernt. Und wenn dein Vater mit deinem Erbe winkt …«

»Natürlich, wir Adligen sind käuflich! Sobald wir Geld und Ruhm sehen, werfen wir sogar die Menschen, die wir lieben, einfach weg«, zischte er. »Du bist es, die feige und voller Misstrauen ist, Elin! Du lernst die Landkarten auswendig und träumst davon, zu reisen und ein eigenes Leben zu führen. Und nun hast du jemanden gefunden, der dieselben Träume hat, der dich aufrichtig liebt und alles für dich wagen will, und den stößt du weg, um weiter an diesem Hof deine Wunden zu lecken und zu träumen.«

»Du hast mich angelogen!«

»Ich habe geschwiegen, weil es nicht wichtig ist, wen ich heiraten soll. Es zählt nur, wen ich heiraten will.«

»Da irrst du dich. Es zählt, dass ich dich auf keinen Fall heiraten will.«

Sein spöttisches, arrogantes Lächeln, das sie nur zu gut kannte, leuchtete auf.

»Das werden wir noch sehen«, stellte er fest. »Schließlich liebst du mich – und zwar sehr!«

»Wirklich? Vielleicht hatte ich nur Mitleid mit dir.«

Er ballte die Hände zu Fäusten. Als er wieder zu sprechen anfing, bebte seine Stimme, als müsste er sich mühsam beherrschen, Elin nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln.

»Was muss ich mir noch alles anhören und tun, um für dich gut genug zu sein?«, zischte er. »Hast du schon einmal das Wort ›Vertrauen‹ gehört, Elin?«

»Vertrauen muss man sich verdienen, statt es zu verspielen, Henri.«

»Du hast mein Wort.«

»Dein Wort genügt mir nicht.«

»Was, verdammt noch mal, genügt dir dann?«

»Beweise«, sagte sie.

Sie verschränkte die Arme und hob das Kinn. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte sie das Gefühl, einen Kampf gewonnen zu haben.

Henri fluchte und schlug mit der Faust auf die Trennwand der Box. Enhörning legte die Ohren an und schnappte nach seinem Arm. Henri drehte sich um und ging. Sie hätte ihm hinterherlaufen sollen, stattdessen trat sie zu ihrem Pferd und fuhr mit den Fingern durch die schwarze Mähne des Tieres, immer und immer wieder, bis das Mähnenhaar glatt war wie ein Band aus Seide.

Seltsamerweise war es ausgerechnet Lovisa, die in dieser Zeit am engsten zu ihr hielt. Als sie Elins verweintes Gesicht sah, verbiss sie sich einen Kommentar und schloss sie einfach in die Arme.

»Kopf hoch, Kind«, murmelte sie. »Alles Schöne geht irgendwann vorbei – aber auch alles Schlechte, jetzt musst du den Kopf stolz erhoben tragen.«

Die nächsten Tage blieb Elin der französischen Botschaft fern und verkroch sich auch am Tag von Henris Abreise im Bett. Sie zog die Vorhänge zu und starrte die Stoffbahnen an, die sie von der Welt, die sie bisher zu kennen glaubte, vollständig abschlossen. Als hätte der Kummer ihr Blut vergiftet, bekam sie Fieber und träumte davon, wie Henri in einem Bett aus leuchtenden Farnen eine französische Herzogin umarmte. Kristina war sehr besorgt und versuchte sie aufzuheitern, indem sie ihr aus dem Trost der Philosophie vorlas, doch auch diese Worte erschienen Elin hohl und bitter. Nachdenklich betrachtete sie die Karten von Terra Australis und der französischen Küste, die sie vor langer Zeit über ihren Tisch gehängt hatte. Trotz des Mitgefühls, das die Königin ihr gegenüber zeigte, hatte Elin den Eindruck, dass Kristina über Henris Abreise erleichtert war. Und manchmal, wenn sie die Königin betrachtete, die gebogene Nase, die wachen Augen und die energischen Bewegungen, fragte sie sich, wann genau der Vorhang zwischen ihnen zu einer Wand geworden war. Längst waren sie und die Königin keine Spiegelbilder mehr – eher zwei unterschiedliche Porträts, die sich zufällig dieselbe Kunstkammer teilten. Elin begann, ihre Worte gegenüber Kristina sorgfältiger zu wählen und ihre Geheimnisse für sich zu behalten. Hampus schrieb aus Leyden von anatomischen Studien und schilderte eine Blasensteinoperation, der er beigewohnt hatte, und Helga brachte ihr Konfekt in Form von kleinen Häusern, in die sie mit einer Nadel Fenster und Türen geritzt hatte. Als Elin das erste Mal wieder zur Botschaft ging, war Descartes so erfreut sie zu sehen, dass er über das ganze Gesicht zu strahlen begann.

»Wie schön, dass Sie wieder da sind!«, rief er. »In dieser kalten Botschaft bin ich so einsam wie ein Gletscher. Fast hätte ich das Sprechen verlernt! Monsieur Henri lässt Sie übrigens grüßen. Er hat sich den Abschied sehr schwer gemacht.«

»Wie bedauerlich für ihn«, erwiderte Elin steif. Descartes lächelte und bat den Diener um zwei Becher Wein. »Die Vernunft überwindet Leidenschaften und Laster«, war sein trockener und etwas ironischer Kommentar. Elin machte es nichts aus, dass der Philosoph mit Angelegenheiten, die die Gefühle betrafen, nicht besonders viel anfangen konnte und wenig Takt zeigte. Im Gegenteil – sein mangelndes Mitleid machte es ihr leichter, ihre Sorgen in einer Kammer zu verschließen und sich stattdessen ganz auf die mathematische Betrachtung der Wissenschaften einzulassen, die Descartes zu seiner »Methode« erhoben hatte. Dennoch stellte sie fest, dass sich Kummer nicht in mathematische Formeln und logische Gesetzmäßigkeiten fassen ließ. Es war nicht einmal das Schlimmste, die Liebe unter dem Winterschnee zu begraben. Das Schlimmste war, den Anblick des Nachthimmels mit den von Henri so geliebten Sternen nicht mehr ertragen zu können. Ihre Melancholie schien Descartes anzustecken, denn er wurde immer unzufriedener und klagte: »Was soll ich hier in diesem Land der Bären, in dem die Menschen im Winter zufrieren wie die Flüsse?« Immer noch hatte Kristina ihn nicht zur Audienz gebeten. Neben den Staatsgeschäften übte sie ein großes Ballett zu Ehren des Westfälischen Friedens ein und schlug Descartes lediglich vor, sich am Tanz zu beteiligen. »Um Himmels willen, Majestät!«, antwortete er ihr in seiner direkten Art. »Ich bin über fünfzig – Sie wollen doch kein lahmes Ross zum Rennen schicken?« Kristina lachte und beauftragte ihn kurzerhand damit, stattdessen ein Libretto für das Ballett zu verfassen. Elin sah ihm an, wie unglücklich er über diesen Auftrag war.

»Ich hätte nicht übel Lust, so bald wie möglich nach Holland zurückzukehren«, brummte Descartes, als er sich mit Feder und Papier an den Tisch setzte. »Aber besser dichten als untätig herumsitzen, nicht wahr, Mademoiselle?«

Das Ballett wurde am Geburtstag der Königin, dem achten Dezember, aufgeführt. Elin hatte die Finanzen für die Beschaffung der Kostüme, der Hintergrundmalereien und die Dekoration geführt. Die Kostüme, die die ungeheure Summe von 16850 Riksdalern verschlungen hatten, waren aus Atlasseide genäht und mit silbernen und goldenen Borten verziert. Allein für das Gewand der Königin hatte man zweiundzwanzig Ellen Silberborte und achtundzwanzig Ellen Silbergaze benötigt. Von allen Balletten, die Elin bisher auf Tre Kronor gesehen hatte, war dies eindeutig das prachtvollste. Kristina tanzte mit einer Leidenschaft, die sogar den strengen Oxenstiernianern ein Lächeln entlockte. Descartes’ Ballett-Gedicht mit dem Titel »La naissance de la paix – Die Geburt des Friedens« wurde während des Tanzes verlesen und erntete viel Applaus. Das Publikum war begeistert, aber Elin sah nur schweigend zu. An diesem Abend war das rosenfarbene Land tot, eine Ansammlung von Farben ohne Seele und Leben.

Kurz nach dem Julfest kehrten die Chanuts nach Stockholm zurück. Elin war sicher, dass Madame Chanut von dem Zerwürfnis zwischen ihr und Henri gehört hatte, denn sie ging besonders herzlich und behutsam mit ihr um und vermied es sorgfältig, in ihrer Gegenwart über Henri zu sprechen. Das Haus füllte sich allmählich mit Besuchern und Abendgesellschaften. Selbst Monsieur Tervué war wieder oft zu Gast und unterhielt sich bei diesen Gelegenheiten sogar einmal mit Descartes. Es verwunderte Elin, dass die beiden Männer diesmal nicht in Streit gerieten. Die Anspannung war jedoch trotzdem zu spüren.