»Wie du meinst«, schloss Kristina das Gespräch. Schwungvoll stand sie auf und ging um den Tisch herum, bis sie direkt vor Elin stand. Erst jetzt fiel Elin eine seltsame Unregelmäßigkeit auf: Die rechte Schulter der Königin stand ein wenig höher als die linke. War Kristina verletzt?
»Wie alt bist du?«
»Fünfzehn, Ihre Majestät.«
»Lass das Knicksen und sieh mich an! Sag mir ganz ehrlich: Warum hat dich Leven wirklich von Gudmunds Hof geholt?«
Elin holte tief Luft. Blitzschnell überlegte sie sich eine Hand voll höflicher Antworten, aber jede von ihnen klang falsch. Schließlich entschied sie sich für die einfachste.
»Weil … viele Leute zugeschaut haben. Der Pfarrer war da und zwei andere Gutsbesitzer, die beratschlagten, was mit mir geschehen sollte. Sie waren sehr beeindruckt von Herrn Levens Mildtätigkeit und Güte.«
Die Königin warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus.
»Hör dir das an, Belle!«, rief sie Ebba Sparre zu. »Dumm ist sie auch nicht. Oh, das Mädchen wird es auf Tre Kronor wahrhaftig nicht leicht haben!«
Zügel im Schnee
»Das Erste, was ich von Stockholm gesehen habe, waren die drei goldenen Kronen auf der höchsten Spitze des Schlosses«, flüsterte Emilia. »Dreißig ungarische Münzen hat König Gustav einst einschmelzen lassen, um sie zu vergolden. Damals, als ich und meine Schwester an Deck des Schiffes standen, das uns aus Finnland an die schwedische Küste trug, leuchteten sie nur für mich!«
Heute spürte Elin das alte Stroh nicht, das unter das zerschlissene Laken gestopft war. In der dunklen Magdkammer, wo neben der Bettkiste noch drei große Öltöpfe und eine Wäschetruhe standen, schien Emilias Stimme in jedem Winkel zu schweben. Ihre Arme aber umfingen Elin fester und wirklicher denn je. Unter der grob gewebten Wolldecke war es warm, aber Elin wusste nur zu gut, dass die Haut der Magd heiß vom Fieber war. Sorge schnürte ihr die Kehle zu.
»Und jetzt werden die Kronen dich begrüßen!«, sagte Emilia. »Hast du gesehen, wie Greta und die anderen dich angeschaut haben? Keiner hat gewagt, auch nur ein Wort zu dir zu sagen!«
Elin dachte an die ungläubigen, ängstlichen Blicke und an Annagrit, die schon am Abend in der Küche erschienen war und sich an die Arbeit gemacht hatte.
»Ich verstehe nur nicht, warum die Königin Greta auch noch belohnt hat«, sagte sie. »Sie hat jetzt genau das, was sie wollte – ihre Gemeinheit hat sich für sie ausgezahlt.«
Emilias leises Lachen schwebte in der Dunkelheit. »Unsere Königin ist nicht dumm«, antwortete sie. »Was meinst du, wer wäre die Nächste gewesen, der sie das Leben schwer gemacht hätte?«
»Du.«
»Oh ja – aber jetzt ist ihre Tochter hier und Greta wird keinen Grund mehr haben, Unruhe zu stiften.«
»Leute wie Greta werden immer einen Grund finden«, murmelte Elin. Emilia kniff sie in den Oberarm.
»Sei du nicht undankbar! Die Königin nimmt dich mit auf ihr Schloss! Du wirst nur erlesene Speisen essen und in Atlasseide und Spitze gekleidet sein. Den ganzen Tag spielt Musik und es gibt nichts als Vergnügungen. Am Stockholmer Hof trinkt man nur Wein und isst das zarteste Fleisch.«
»Ich werde in der Küche arbeiten«, flüsterte Elin. »Und dann schicke ich dir Geld und Medizin.« Der Griff an ihrer Schulter wurde fester.
»Nein, Elin«, sagte Emilia streng. »Blick nach vorn und niemals zurück, hörst du? Unsere Wege trennen sich und das ist gut und soll so sein!«
Elin schwieg. Ein Kloß saß in ihrem Hals und je mehr sie sich bemühte, ihn hinunterzuschlucken, desto größer wurde er.
»Wir suchen uns das Schicksal nicht aus«, sagte Emilia bitter. »Gott stellt uns in die Welt wie Spielfiguren. Es gibt nur zwei Wege – in den Schlamm der Armut, auf die Schlachtfelder und ins Elend. Oder in die Schlösser, die feinen Kammern und an die gedeckten Tische. Die Reichen sind reich und die Armen arm – und berühren werden sich diese Welten nie.« Tränen stiegen Elin in die Augen, rannen über ihre Nase und versickerten in Emilias herrlichem Haar, das sie an Herbstblätter erinnerte, die von Raureif überzogen waren.
»Ich will dich aber wieder sehen, Emilia. Du bist alles, was ich noch habe.«
»Das ist Unsinn, Kind. Ich war mit deiner Tante befreundet, das ist alles. Aber deine Tante und deine Eltern sind tot, also lass sie ruhen – und mich gehen.« Sanft strich Emilia über Elins Wange. »Nicht weinen«, murmelte sie. »Tränen sind so nutzlos wie verschütteter Wein.«
»Erzähl mir noch einmal von meinen Eltern, Emilia!«
»Ach Kind, du weißt, dass es da nicht viel zu erzählen gibt. Es war Herbst, als du ins Dorf gebracht wurdest – dein Vater war immer noch im Krieg, aber er hatte dafür bezahlt, dich nach Gamla Uppsala schaffen zu lassen. Du warst mehr tot als lebendig, als du hier ankamst – starrend vor Dreck und Läusen, krank von der Schiffsfahrt. Aber deine Tante nahm dich mit offenen Armen auf. Sie war eine gute Frau. Sie hat viel geweint in jener Zeit und gebetet, dass dein Vater lebendig zurückkehrt. Nun, wir wissen ja beide, wie es ausging.«
»Und sie wusste wirklich nichts über meine Mutter?«
»Kein Name, nein. Nur dass ihr Bruder sie in Usedom kennen gelernt hatte, erfuhr sie. Du musst ihr wie aus dem Gesicht geschnitten sein. Ich habe Ansgar nie kennen gelernt, aber deine Tante sagte, sie und ihr Bruder wären sich schon als Kinder sehr ähnlich gewesen – sie hatte dunkles Haar und braune Augen. Deine Tante erzählte, dass ihm die meisten Haare ausfielen, bevor er zwanzig war.«
»Glaubst du, dass meine Mutter eine Hure war?«
»Das wird wohl niemand je erfahren – und es ist auch nicht wichtig, Elin. Du bist ein gutes, anständiges Mädchen. Komm, ich erzähle dir noch ein wenig von Stockholm. Als ich aus Finnland kam, war ich kaum älter als du. Und ich fand sofort Arbeit …«
»… auf dem Köpmantorget, dem Kaufmannplatz. Du hast Fisch verkauft.«
»Genau. Nicht weit davon liegt das Fischufer, wo Schiffe von den Schären anlegen. Dort ist auch der größte Marktplatz der Stadt.«
»Und dann hat Elias dein Haar gesehen und dich gefragt, ob du die Kupferfee aus den Minen von Falun bist.«
»Erzählst du die Geschichte oder ich? Ja, Elias war nie um einen Satz verlegen. Er war ein Mälarfischer und besaß zwei Boote. ›Von den zwei Meeren sind wir uns entgegengefahren‹, sagte er immer. Wir hatten ein Leben wie im Paradies am Köpmanporten.« Emilia seufzte tief. »Ich lernte damals sogar lesen und rechnen, das brauchte ich für den Fischhandel. Ach, wären wir doch nur nie nach Uppsala gegangen! Wer hat uns dazu getrieben, die Boote zu verkaufen und unser Glück auf einem Hof zu suchen? Zehn Jahre drückten uns die Schulden, die Steuern wuchsen und wuchsen. In dieser Zeit war es ein Segen, deine Tante zu kennen. Sie hat uns so oft geholfen. Wir hatten kein Geld, nach Stockholm zurückzukehren, kein Geld, den Hof zu halten. Und dann der Krieg in den deutschen Ländern, der seit bald dreißig Jahren Menschen und Geld frisst.
Wie viele Jahre haben wir nur für diesen elenden Krieg geschuftet? Und was hat er uns wirklich gekostet! Dich deine Familie, mich meinen Mann. Und alles nur, weil die einen Katholiken sind und die anderen Protestanten. Als wären wir nicht alle Menschen.« Elin erschrak.
»Lass solche Sätze nicht Greta oder die anderen hören!«
Emilia hustete dumpf und holte tief Luft. »Was soll mir denn noch Schlimmeres zustoßen?« Ihre Stimme wurde so leise, dass Elin sie kaum hörte. »Als die Nachricht von Elias’ Tod eintraf, wollte ich mich hinlegen und die Augen nie wieder aufmachen. Ich wollte den Himmel nicht mehr sehen, der mir das angetan hat. Ich weiß nicht einmal, ob auf dem Schlachtfeld ein Wundarzt bei ihm war oder ob er …«